In den ersten Monaten des Jahres 1836 war es, daß in den rheinischen Zeitungen, in der Preußischen Staatszeitung, in der Augsburger Allgemeinen, im Amsterdamer Handelsblatt und in den angesehensten Pariser, Londoner und St. Petersburger Blättern die Anzeige einer Weinversteigerung im Kloster Eberbach für den 14. und 15. März erschien, welche die Welt aller jener, die mit dem Wein geschäftlich oder aus Liebhaberei zu tun hatten, aufhorchen ließ und geradezu in Aufruhr versetzte. Versteigerer war die Herzogl. nass. Domänen-Direktion. Um diese in der Geschichte des Weinbaus einzig dastehende Versteigerung zu verstehen, bedarf es eines kurzen geschichtlichen Rückblicks.
Die Domänen-Direktion des neuen Herzogtums Nassau hatte bei der Übernahme der Weinbauverwaltung in den Kellern der drei Schlösser zu Erbach im Rheingau, Biebrich und Weilburg und des Klosters Eberbach gar wunderbare Schätze vorgefunden. Nicht weniger als 179 Stück edler Tropfen aus den Jahrgängen 1706 bis 1811 lagerten dort. Die edleren hießen Kabinettweine, die minder edlen Tafelweine.
In Weilburg fanden sich Hochheimer von 1706, 1746, 1779, 1783, 1802, 1806, 1811. Rüdesheimer von 1726, 1760, 1776, 1781, 1783, 1794, 1811. Marcobrunner von 1807. Hattenheimer, Hochheimer und Wiesbadener Neroberger von 1811. Nürnbergerhofer (Frauensteiner) von 1807, 1811, Cauber von 1815. Niersteiner von 1760, 1783, 1788 und Moselwein von 1748.
In Biebrich lagerten: Hochheimer von 1806, 1807, 1811. Marcobrunner und Steinberger von 1804, 1806, 1811. Hattenheimer von 1806, 1807, 1811, Rauenthaler und Neudorfer von 1806. Wiesbadener von 1811. Forster von 1802, 1813 und Aßmannshäuser von 1811.
Und im Eberbacher Keller ruhten: Steinberger von 1806, 1807, 1811. Rüdesheimer Berg, Hinterhaus und Kiesel von 1806, 1807, 1811, Hattenheimer, Marcobrunner u. Hochheimer Domdechaney von 1811.
Misserfolg Flaschenbfüllung
Lauter Perlen, echte Weinperlen! Das Beste und Feinste, was im Laufe eines Jahrhunderts die goldene Sonne im rheinischen Weinlande aus dem Boden hervorgezaubert hatte, von liebevollen und verständigen Händen gesammelt und gepflegt. Man muß sich nur wundern, daß diese edlen Tropfen in den Stürmen der Kriegszeiten nicht den Weg durch die Gurgeln der doch sonst so findigen, allzeit durstigen und wahrlich wenig pietätvollen Krieger gefunden haben. Kurz, sie waren noch da. Ewig behalten aber konnte und wollte man sie aber nicht. Um die Welt mit diesen Schätzen bekannt zu machen und damit auch den Ruf der Rheingauer Weine zu fördern, auch den Eberbacher Klosterkeller zu einer Berühmtheit zu bringen, ähnlich wie sie früher der Keller des Fürstabts von Fulda hatte, beschloß die Domänen-Direktion, zunächst die mehrfach vorhandenen Weine älterer Jahrgänge, vor allem die der Jahre 1804, 1806, 1807 und 1811 und jüngere Weine zu veräußern.
Sie füllte vorerst ein Stück vom besten 1811er Steinberg in Flaschen zu ½ Maß (1 Liter) und stellte sie in den Kurhausrestaurants von Wiesbaden, Ems und Langenschwalbach zum Preise von anfänglich 6 fl. 30 cr. (Mk. 11,03), später 8 fl. 6 cr. (Mk. 13,80) zum Verkauf. Es war ein Mißerfolg. Wenn es auch an Liebhabern nicht gefehlt haben wird, dafür hatte der 1811er, der berühmte Kometenwein, einen zu großen Ruf, der Liebhaber mit dem dicken Geldbeutel gab es leider zu wenige. So versuchte man es mit weniger kostbaren Rheingauern, einem 1811er Steinberg zu 5 fl. 30 cr. (Mk. 7,65), 4 fl. (Mk. 6,80), 3 fl. 30 cr. (Mk. 4,95) und einem Neroberger, Rüdesheimer und Hochheimer zu 2 fl. 42 cr. (Mk. 6,60) die Flasche. Wenn auch diesem Angebot der erhoffte große Erfolg versagt blieb, so hatte es doch das gute, daß die Aufmerksamkeit weiter Kreise auf das große Lager wertvoller Weine im Eberbacher Kabinettskeller gelenkt wurde.
Platznot
Mit jedem Jahre mehrte sich das Lager desselben, 1815 allein kamen 86½ Stück dazu, und als 1821 auch die älteren Jahrgänge des Weilburger Schlosskellers dorthin überführt wurden und auch 1822 wieder eine reiche Ernte von ganz ausgezeichneter Güte brachte, da wußte man schier nicht aus noch ein mit all dem flüssigen Gold, und notgedrungen ging man ernstlich an die Liquidation der Bestände.
Den Flaschenverkauf gab man auf, da er zu Konflikten mit dem Weinhandel geführt hatte. Nur eine Reihe von befreundeten Höfen wurde auf des Herzogs Wunsch noch direkt beliefert.
Zunächst wurden 35 Stück älterer Weine, die zu firn geworden waren, und jüngere, die sich nicht in der erwarteten Weise entwickelt hatten, zum Verkauf ausgestoßen. In den darauf folgenden Jahren setzte die Domänen-Verwaltung diese Säuberungsaktion fort. Nun gab es einigermaßen Luft. Wie es aber im Rheingau so geht, nach einer Reihe gar magerer Jahre kam endlich wieder ein Volltreffer, das gottgesegnete Jahr 1834 mit seiner Rekordernte an Quantität und an Qualität. 111 Stück Weißwein und8 ½ Stück Rotwein eigenen Wachstums lagerte die Domäne ein u. dazu kamen 377 Stück Zehntwein und 4 Stück Zinswein. Da füllten sich endlich wieder die Kassen und konnte die Unterbilanz der Fehljahre getilgt werden. Nicht weniger als 430 Stück Wein brachte die Domäne im Jahr 1835 auf den Markt und erlöste für das Stück Zehntwein 392 Gulden im Durchschnitt (Zehntwein stammt aus verschiedenen Lagen, von verschiedenen Besitzern, aus guten und geringen Weinbergen, war mit einem Wort zusammengeschüttetes Zeug), für den 1834er Domänenwein jedoch durchschnittlich 1087 Gulden.
Teilung der Gebinde
Wiederum stand man vor der Frage, ob man jetzt nicht endlich sämtliche alten Kabinettsweine verkaufen sollte, namentlich die des 18. Jahrhunderts. Wäre der Oberkellermeister nicht gewesen, dann wäre damals die Frage in bejahendem Sinne entschieden worden. In der weisen Erkenntnis, daß es unverantwortlich sei, wenn man eine solche Seltenheit wie den Kabinettskeller nicht dem Lande erhalte, setzte der es durch, daß man die Weine, von denen nur noch ein Stück vorhanden war, versteigert würden und schlug vor, aus kaufmännischen Gründen die alten Weine in kleinere Gebinden zu teilen. Auf diese Weise konnte er für den Kabinettskeller doch wenigstens ein gewisses Quantum und dem Lande eine Sehenswürdigkeit retten, wie sie nirgends mehr bestand. Und so geschah es. Um diese denkwürdige Versteigerung handelt es sich bei der Einleitung dieses Aufsatzes.
Es kamen zum Ausgebot: Je ein Halbstück Hochheimer von 1706, 1748, 1779, 1783, 1806, 1827, 1828, 1831, und je ein ganzes Stück Hochheimer von 1807 und 1819, je ein Halbstück Rüdesheimer von 1783, 1794, 1807, 1911, 1818, 1822, und je ein ganzes Stück von 1806 und 1819, je ein Halbstück Rüdesheimer Berg Riesling von 1825, 1831 und ein ganzes Stück von 1826, je ein Halbstück Markobrunner von 1811, 1822, 1825, 1826 und 1831, je ein Halbstück Steinberger von 1811, 1818, 1829, 1825, 1831 und je ein ganzes Stück von 1822 und 1826, außerdem 40 Stück Steinberger, 6 Stück Markobrunner und 15 Stück Hattenheimer Domänenweine von 1834, endlich 16½ Stück Hattenheimer und Erbacher Zehntweine von 1834.
Ein Mittagsmahl zur Verkostung
Wie man heute bei den großen Weinversteigerungen „zum Putzen der Zunge“ wohl Brötchen oder „Wasserweck“ herumzureichen pflegt, so hatte die nassauische Domänenverwaltung damals den schönen Brauch, den Besuchern ihrer Weinversteigerungen ein freies Mittagsmahl zu spenden. Diese Ausgabe war nicht gar so schlimm, wie man im ersten Augenblick denken möchte, die abgelegene Lage des Klosters Eberbach sorgte schon von selbst dafür, daß bei den primitiven Beförderungsmitteln nicht solche Volksversammlungen zustande kamen, wie wir sie in unseren Tagen kennen gelernt haben In der sicheren Erwartung eines diesmal aber sehr starken Besuchs war voraussichtlicherweise dieser Brauch für diese Versteigerung aufgehoben, doch dafür gesorgt worden, daß die Besucher für ihr Geld ein Mittagsmahl haben konnten, wozu die Domänenverwaltung jedem vornehmerweise ½ Flasche Wein spendierte.
Die Rechnung erwies sich als richtig, nicht weniger als 600 Kauf- und Probierlustige aus aller Herren Länder strömten in diesen Frühlingstagen nach dem alten Cisterzienser Kloster in dem weltabgeschiedenen Tale im Rheingau. Es herrschte ein Sprachengewirr wie fast auf einer Tagung des Völkerbundes. Die größten Weinkenner waren alle zur Stelle. Das Ergebnis übertraf alle Erwartungen. Allerdings nicht bei den ganz alten Weinen. Die waren, mit den Worten Wilhelm Buschs bildlich gesprochen, „krumm und faltig geworden, grimmig, gräulich, mißgestaltig“, hatten die Kraft und den Schmuck der Jugend und Mannesjahre verloren und hatten dafür eine ganz erhebliche Faßfirne eingetauscht. Man bedenke, der älteste zählte bereits 30 Jahre und lagerte noch immer im Faß! Man wußte wohl noch nicht, daß der Wein erst auf der Flasche seine edlen Eigenschaften entwickelt und immer wertvoller wird. Bis zu einem gewissen, bei jedem Wein verschiedenen Alter natürlich.
Die Ergebnisse in Zahlen
Das Halbstück 1760er Hochheimer erwarb die Firma Deinhard in Koblenz für 325 Gulden (es ist nicht mehr eine Flasche davon vorhanden, wie sie mitteilt), das Halbstück 1828er Hochheimer die Firma Vogt in Frankfurt für 655 Gulden, das von 1779 die Firma Urbach in Köln für 485 Gulden. Und jetzt ging՚s stetig in die Höhe: Das Halbstück Hochheimer von 1783 kam schon auf 580 Gulden, das Halbstück Rüdesheimer von 1783 auf 665 Gulden. Ein für den Herzog von Cambridge ersteigertes Halbstück Rüdesheimer Berg Riesling von 1825 erzielte schon 2255 Gulden. Die höchsten Preise wurden für den 1822er angelegt, je Halbstück 2915, 3900, 4510 Gulden, ein Halbstück Steinberger wurde dem Prinzen Emil von Hessen zu 6105 Gulden zugeschlagen. Der Großherzog von Baden erwarb ein Halbstück 1834er für 4005, der Herzog von Cambridge ein solches für 5100 Gulden. Der Durchschnittspreis betrug 2900 Gulden.
Georg Fiebig, Freiendiez. In: Koblenzer Heimatblatt (= Koblenzer Generalanzeiger, Beilage). 5. 1928, Nr. 28, S. [4].
[Bemerkungen des Herausgebers:
Stück meint ein Rheingauer Stückfass von 1.200 Litern, das Halbstück von 600 Litern.
Die Währungsangaben sind Gulden [fl. = Florin] und Kreuzer [cr.] bzw. Mark [Mk.]
Der Umrechnungskurs nach https://www.eurologisch.at/docroot/waehrungsrechner/#/ beträgt für 1 Gulden 24,90 Euro. Das heißt, dass der Durchschnittspreis der Versteigerung für eine heutige Flasche von 0,75 Litern bei 90,27 Euro lag. Der 1822er Steinberger kostete den Prinzen von Hessen etwa 190 Euro die Flasche.]
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