Kochkunst vol. 5: Apicius (42 n.)

Zur Küche des antiken Rom kursieren hartnäckig immer wieder dieselben Gerüchte: dekadent, überwürzt, ungenießbar. Zudem soll ihr über tausendjähriges Nachleben die Entwicklung einer modernen europäischen Gastronomie verhindert haben. Im Brennpunkt der Kritik steht dabei immer wieder das „Buch über die Kochkunst“ von Apicius, das einzige vollständig erhaltene Kochbuch der römischen Antike. Das freilich wirft genauso viele Fragen auf, wie es Antworten liefert, zumal es den Autoren scheinbar gleich vierfach gab. An der überragenden Bedeutung des römischen Imperiums für die Entwicklung der Kochkunst ändert das freilich wenig.

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„Breifressende Barbaren“, so lässt der Dichter Plautus in einer um 200 vor Christus entstandenen Komödie einen Griechen über die Römer spotten. Selbstironie schien ihm also nicht fremd zu sein, denn Plautus war selbst ein Römer – und als solcher ein Feind Griechenlands, das sich zur Zeit der Entstehung wieder einmal im Krieg mit Rom befand. Zu dieser Zeit war Rom noch kein Imperium, sondern eine durch zahlreiche Kriege vom Stadtstaat zur Regionalmacht aufgestiegene Republik. Entsprechend trug ihr Ethos deutlich militärische Züge: in erster Linie Härte zu sich selbst, Disziplin, Genügsamkeit. Der Getreidebrei „puls“, auf den Plautus anspielt, war tatsächlich das Hauptnahrungsmittel nicht nur der Soldaten, sondern eines Großteils der römischen Bevölkerung.

Luxus aus dem Osten

Das änderte sich nach den siegreichen Feldzügen im Osten. Die Heerführer inszenierten die exotische Beute in zahlreichen Triumphzügen durch die Stadt Rom. An den des Konsuls Gnaeus Manlius Vulso von 187 vor Christus über die (griechischen) Makedonier knüpft der römische Historiker Livius den Beginn einer neuen Epoche. Denn damals hätte das Heer die „erste Reize der ausländischen Üppigkeit“ nach Rom gebracht: teures Kunstgewerbe, vor allem aber aufwendige Gastmähler. „Nun erhielt der Koch, bei den Alten im Rang der Niedrigste, einen Wert, und was Sklavengeschäft gewesen war, galt nun als Kunst.“

Tatsächlich öffneten sich Teile des römischen Adels in wenigen Jahrzehnten der griechischen Kultur, von Philosophie und Dichtung über Architektur bis hin zur Kochkunst. Das Kochbuch des Archestratus wurde von Quintus Ennius ins Lateinische übersetzt, es wurde Mode, sich spezialisierte, gebildete Kochsklaven zu halten (während Köche in Griechenland einen Status als freie Bürger hatten). Konsul Markus Aemilius Lepidus ließ für zwei seiner Köche sogar Statuen bauen. Kulinarische Fachausdrücke aus dem Griechischen wanderten in die lateinische Sprache ein – wie dann 2.000 Jahre später französische ins Deutsche.

Kulturkampf um die Küche

Dem konservativen Teil der römischen Oberschicht passte Derartiges gar nicht, und so wurde die verfeinerte Küche „aus dem Osten“ als unrömisch, dekadent und verweiblicht gebrandmarkt. Der Staatsmann und Feldherr Cato der Ältere etwa hetzte gegen die „grundverdorbene Art“ der Griechen und verstieg sich zu der Auffassung, dass griechische Ärzte einen Eid geleistet hätten, alle Römer zu vergiften. Es entstand ein Kulturkampf, in dessen Zentrum die „richtige“ Ernährung stand und in der jede Zutat und jedes Rezept symbolisch aufgeladen wurde.

Die schnell wachsende Schicht von Neureichen in Rom nach dem Sieg über Karthago hielt freilich von der rigiden Moral wenig – und so wurde eine ganze Reihe von Luxusgesetzen erlassen, die die neu erwachte kulinarische Genusssucht zügeln sollte: beginnend mit der Lex Fannia 161 vor Christus, die die Ausgaben für das Abendessen, die Art des angebotenen Essens und die Anzahl der Gäste begrenzte, bis hin zur Lex Aemilia von 115 v. Chr., die etwa die Zubereitung von gefüllten (oder gemästeten) Siebenschläfern, Muscheln oder Vögeln aus fremden Ländern verbot.

Das römische Küchenwunder

Allmählich setzte sich freilich der grundlegende römische Pragmatismus durch, alles Wertvolle von anderen Kulturen zu erlernen und zu perfektionieren. Sowohl der Weinbau wie die Landwirtschaft und die Techniken der Nahrungszubereitung erreichten im Römischen Reich nie gekannte Höhen. Mit Meerwasser versorgte Fischaquarien im Binnenland, die ersten Austernparks, künstliche Wildtiergehege und die Anpflanzung neuer Gemüse- und Obstsorten aus allen Teilen der Welt wie Kirsche, Pfirsiche und Mandeln stellten die Versorgung der Küche mit Spezialitäten sicher. Neue Techniken wie die Feigenmast von Gänsen (aber auch Schweinen) sorgten für Produktoptimierung. Kein Wunder, dass sich bald auch römische Gourmets einen Namen machten: etwa der sprichwörtliche Senator und Feldherr Lucius Licinius Lucullus und seine üppigen Gastmähler. Oder in den Neunzigerjahren vor Christus ein legendärer Feinschmecker namens Apicius.

Dessen Ruf scheint so beträchtlich gewesen zu sein, dass sich wohl bis zu drei weitere Personen und schließlich auch ein Kochbuch mit diesem Namen verbanden. Von der wichtigsten, Marcus Gavius Apicius (um 25 vor bis etwa 42 nach Chr.), der zur Zeit der Kaiser Augustus und Tiberius lebte, sind vor allem zwei Anekdoten überliefert: Die erste berichtet, dass er, aufgewachsen im von Garnelen verwöhnten Kampanien, nach Hinweisen auf noch bessere Ware nach Libyen aufbrach. Als er nach stürmischer Reise dort ankam und ihm von Beibooten erste Muster präsentiert wurden, kehrte er sofort wieder um, ohne einen Fuß an Land zu setzen. Die zweite erzählt von seinem Selbstmord nachdem er erfuhr, dass sein Vermögen auf „nur“ noch 10 Millionen Sesterzen gefallen war – wodurch er seine Lebensführung minimal hätte einschränken müssen.

Das Kochbuch des Apicius

Die älteste Handschrift des Kochbuchs stammt aus einem Kloster in Fulda.

Das Kochbuch, das sich mit dem Namen Apicius verbindet, ist nur in verschiedenen mittelalterlichen Abschriften erhalten und scheint in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts aus einer Reihe von Quellen zusammengestellt worden zu sein – wohl um einen Kern von Rezepten des Marcus Gavius Apicius. Anders als vielfach dargestellt, ist es erstaunlich „zurückhaltend“ – in kaum einem Rezept spiegelt es die kulinarischen Orgien der späten Kaiserzeit, als sich Imperatoren wie Elagabal darin gefielen, Exzesse mit Pfauenzungen und Flamingohirnen als Gastmahl zu präsentieren. Vielmehr ist es in seinen zehn griechisch betitelten Kapiteln (etwa zur Gemüse-, Geflügel- und Fischküche) ein getreues Abbild der eklektischen fusion cuisine (Werner Tietz) Roms nach dem 1 Jahrhundert, in der die altrömische Küche der Republik mit griechischer Kulinarik eine friedliche Koexistenz eingegangen war.

Diese Küche sollte sich allmählich in sämtlichen Provinzen Roms durchsetzen, und es heißt, dass noch bis ins 17. Jahrhundert jedes Kochbuch Europas von „Apicius“ beeinflusst sei. Nach der Kochrevolution in Versailles setze dann freilich das große Vergessen ein, und selbst prominente Wiederbelebungsversuche von Königin Christina von Schwedin, Kaiserin Joséphine Bonaparte oder Starkoch Alexis Soyer blieben erfolglos. Der Disput zwischen asketischer Tugend und lasterhaftem Genuss aber, aus dem heraus das „Buch der Kochkunst“ entstanden war, dauert bis heute an.

Der Teller: Patina Apiciana

Diese Fleischpastete, die durch die unterschiedlichen Brotteigschichten an eine Lasagne erinnert, trägt ausdrücklich den Hinweis auf ihren Schöpfer „nach Apicius“ und ist auch vom Aufbau her eines der aufwendigen Rezepte im Buch. Charakteristisch ist dabei der hohe Anteil an Singvogelfleisch wie Grasmücke und Wacholderdrossel – aber auch von Schweinseuter. Tatsächlich war die römische Küche ganz außerordentlich vom „Noise-to-Tail“-Gedanken beseelt und verwertete gerade vom Schwein sämtliche Teile bin hin zur Gebärmutter. Auch die Verwendung von eingekochtem Most, vor allem aber der Fischwürzsauce Garum (ähnlich der thailändischen Nam Pla), sind typische Kennzeichen der römischen Küche, die sie freilich von der modernen europäischen Küche trennen.

Das Gericht wurde nach dem Rezept von Linda-Marie Günther, Professorin für Alte Geschichte in Bochum, realisiert. Die Füllung zwischen den Schichten aus Lavash-Brot besteht aus Wildschwein, ungestopfter Gänseleber und geräucherter Makrele.

Bildrechte

Beitragsbild: Roberto Bompiani: A Roman Feast. © The J. Paul Getty Museum, Los Angeles

Tellertragender Sklave: Vorbereitung zu einem Bankett. Mosaikfragment aus Karthago, 4. Jhd. Musée du Louvre, Département des Antiquités grecques, étrusques et romaines, MNC 1577.  © 2007 RMN-Grand Palais (musée du Louvre) / Hervé Lewandowski

Peter Paul Rubens: A Roman Triumph (um 1630).  © The National Gallery, London

[Ausschnitt aus:] Schweinemetzger mit seiner Frau in seinem Ladenlokal. Römisches Relief, um 140−150 n. Chr. Staatliche Museen zu Dresden/Skulpturensammlung

[Stillleben mit Eiern, Rebhühnern und Bronzegeschirr]. Fresko aus dem Haus der Julia Felix, Pompeji, vor 79 n. Chr. Museo Archeologico Nazionale di Napoli

Stillleben. Fresko aus der Insula 10/Regio IX in Pompeji, vor 79 n. Chr. © Parco Archeologico di Pompei

[Stillleben mit Lebensmitteln]. Mosaik aus der Villa der Numisi im Landgut Tor Marancia bei Rom, 2. Jahrhundert n. Chr., © Archivo del Parco Archeologico dell’Appia Antica

Bodenmosaik mit Darstellung von Vögeln, Fischen und Obstkorb aus den Grotte Celoni. Ende des 1. Jahrhunderts v. Chr./Anfang des 1. Jahrhunderts n. Chr. Museo Nazionale Romano di Palazzo Massimo, Rom. Foto: Jean-Pol Grandmot

Älteste überlieferte Apicius-Handschrift (um 900 n. Chr.) aus dem Kloster Fulda, seit 1929 im Besitz der New York Academy of Medicine. Quelle: upload.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0 Deed © Bonho 1962

[Frontispiz von :] Apicius, De Opsoniis et Condimentis (Amsterdam: J. Waesbergios), 1709. Hrsg. Von Martin Lister. Quelle : K[ansas]-State [University] Libraries

Patina Apiciana: Stefan Pegatzky / Time Tunnel Images.

Literatur

Marcus Gavius Apicius: Das römische Kochbuch. Aus dem Lateinischen übersetzt und kommentiert von Robert Maier. Stuttgart 1991/2016.

Andrew Dalby:  Food in the ancient world from A to Z. London und New York 2003.

Veronika Grimm: Zum leckerbereiteten Mahle. Geschmack in der Antike. In: Paul Freedman (Hg.): Essen. Eine Kulturgeschichte des Geschmacks. Darmstadt 2007. S. 63−97.

Linda-Marie Günther: Kochen mit den Römern. Rezepte und Geschichten. München 2015.

Werner Tietz: Dilectus ciborum. Essen im Diskurs der römischen Antike. Göttingen 2013.

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