Porträt: Champagne Roger Coulon

2021 ist mein Buch „Champagner: Die 100 wichtigsten Maisons, Winzer und Kooperativen“ erschienen. Damals fiel es mir ausgesprochen schwer, unter den Hunderten erstklassig arbeitenden Champagnerproduzenten eine Auswahl zu treffen. Deswegen gibt es online auf Sur-la-pointe eine Fortsetzung! Teil 10 widmet sich einem Mehrgenerationenprojekt in Vrigny.

5 Minuten Lesezeit

Geschichte

Die Familie Coulon ist bereits seit dem 17. Jahrhundert in den sogenannten Petites Montagnes südwestlich von Reims verwurzelt. Im Jahr 1806 pflanzt die Familie erstmals Rebberge in der Region, heute das Gründungsdatum des Hauses. Zum ersten Mal vermarktet Marcel Coulon 1935/36 Champagner unter seinem eigenen Namen. Sein 1929 geborener Sohn Roger übernimmt den Betrieb, aber er stirbt 1979 noch nicht einmal fünfzigjährig. Dessen Sohn Éric, der heutige Eigentümer, ist zu der Zeit noch ein Jugendlicher. Also übernimmt die Witwe Bernadette, bis dieser Schule und Ausbildung abgeschlossen hat. 1991 gründet Éric Coulon schließlich Roger Coulon et Fils in Vrigny. Gemeinsam mit seiner Frau Isabelle macht er das kleine Haus schnell bekannt. Die Cuvées sind zunächst klassisch: ein Grande Tradition und ein Grande Reserve Premier Cru, ein Rosé, ein Millésime … Aber bald auch ein Les Coteaux de Vallier von einem gleichnamigen Lieu dit und andere, individuelle Cuvées.

Der Ansatz, sich auf die enorme Vielfalt der eigenen Weinbergparzellen zu stützen, findet um 2010 Ausdruck in einer neuen Etikettengestaltung. 2012 kauft die Familie auch eine Parzelle in Chouilly, der erste Grand-Cru-Besitz des Weingutes. Unterdessen schlagen auch die Kinder Louise und Edgar ihren Weg in Richtung Weinbau ein – als neunte Generation der Familie Coulon. Tochter Louise studiert Weinbau und Önologie und sammelt im burgundischen Weingut Philippe Pacalet erste Erfahrungen. Es folgen Stationen in Südengland, Australien und Neuseeland, bis sie 2016 in das Familienweingut eintritt. Sohn Edgar macht einen Master in Wein und Spirituosen in Dijon und arbeitet an Rot- und Roséweinen während eines Praktikums in Bandol bei den Domaines Ott. Er stößt 2019 zu Roger Coulon hinzu, wo er mittlerweile für die Kellerarbeit zuständig ist. Heute ist das Champagnerhaus im wahrsten Sinne ein „intergenerationelles Projekt“, wo jedes Mitglied der Familie ganz eigene Erfahrungen und Ansätze einbringt.

Stilistik

Das Haus besitzt auf 11 Hektar Weinbergen nicht weniger als 115 unterschiedliche Parzellen. Allesamt Premiers Crus aus Vrigny sowie den Nachbargemeinden Coulommes-la-Montagne, Pargny-les-Reims, Villers-Allerand und Gueux. Bis auf die Ausnahme der erwähnte Parzelle in Chouilly in den Côtes des Blancs. Historisch dominiert der Meunier mit 40 Prozent, teilweise sind bis zu 80-Jahre alte Anlagen darunter. Aber inzwischen nehmen auch Chardonnay und Pinot Noir zu je 30 Prozent einen wichtigen Anteil ein. 2019 wurde die Rebfläche auf Bio-Konversion umgestellt. Seit 2022 ist die Ernte AB-zertifiziert. Dazu folgen aber noch weitere umweltschonende und qualitätssteigernde Schritte im Weinberg, wie Massenselektion, Ertragsreduzierung und Begrünung der Rebzeilen. Grundsätzlich lautet die Devise, sich an die Natur anzupassen und ihr nichts aufzuzwingen. Darüber hinaus hat Louise Coulon die Prinzipien der Weinforstwirtschaft im Betrieb eingeführt. Dadurch soll das natürliche Gleichgewicht im Weinberg erhalten und die Reben widerstandsfähiger werden.

Die Kellerarbeit läuft traditionell und schonend ab. Nach der Pressung wird der Most kurz vorgeklärt. Die alkoholische Gärung verläuft mit einheimischen Hefen. Der Wein wird natürlich geklärt, geschönt und filtriert wird nicht. Die malolaktische Gärung läuft in der Regel ab, allerdings gibt es mittlerweile Ausnahmen. Durch Edgar Coulon haben zunehmend Holzfässer Einzug in den Keller gehalten, sowohl für den Ausbau als auch die Vergärung. Das Haus bevorzugt eine dezente Mousse mit einen niedrigeren Druck von 4,5 statt 6 Atmosphären. Durch die Verwendung von weniger Liqueur de tirage übersteigt der Alkoholgehalt nicht 12 Prozent. Die Flaschengärung findet im kühlen unterirdischen Keller der Familie statt. Bei den klassischen Cuvées wird zunehmend die Frische gesucht, weniger dagegen autolytische Aromen durch lange Gärzeiten. Degorgiert wird von Hand, die Dosage übersteigt nicht die 3-Gramm-Marke. Die Hälfte des Portfolios besteht sogar aus Zero-Dosage-Champagnern. Wichtig ist der Familie eine ausgedehnte Lagerung in der Flasche „post-dégorgement“.

Portfolio

Roger Coulon teilt sein sehr individuelles Portfolio in eine „Collection Référence“, die das Haus mit dem Savoir-faire der Region und seiner Vorfahren verbindet. Und eine „Collection empreinte“, die den Fußabdruck des Terroirs in den Champagnern herausarbeiten möchte. Für Erstere steht zunächst die Cuvée Heri-Hodie (lateinisch für „gestern-heute“), ein reinsortiger Meunier. Hier wird ein Zehntel Grundweine aus dem aktuellen Jahr, die wie bei Coulon üblich für zehn Monate auf der Vollhefe gelegen haben, mit 90 Prozent aus einer seit 1995 bestehenden Solera geblendet. Daneben steht L’Hommée, ein Ausdruck für ein altes Flächenmaß, das das Tagewerk eines Weinbergarbeiters bezeichnet. Dabei dominiert Chardonnay (60%) gegenüber Pinot Noir (40%). Hier erfolgt die Vergärung im Holz, und auch der kleine Anteil Reserven kommt aus dem Eichenholzfass. Der Rosé Rosalie schließlich wird mittlerweile nach der Saignée-Methode, also dem 12 bis 24 Stunden dauernden „Ausbluten“ der Trauben, hergestellt. 100 Prozent Meunier aus über fünfzigjährigen Anlagen in Vrigny.

Die „Collection empreinte“ umfasst als Erstes den Esprit de Vrigny. Jeweils ein Drittel Meunier, Chardonnay und Pinot Noir, jeweils auf spezifischen Böden gewachsen. Konkret: Sand, Kreide und Lehm. Vergärung in kleinen Holzfässern, hier erstmals mit deutlich längerer Flaschengärung. Dann kommt der Millésime Blanc de Noirs, im aktuellen Jahrgang 2014 aus hälftig Pinot Noir von der Parzelle Limons in Vrigny und hälftig Meunier aus Les Linguets in Gueux. Das Besondere der 1959 gepflanzten Meunier-Trauben ist die wurzelechte Erziehung als „Francs de pied“, also ohne Unterlagsreben. Der Wein wird im Tank ausgebaut, die Malo blockiert, die Flaschengärung sehr lang ausgedehnt.

Einziger Grand Cru ist der Blanc de Blancs Les Hauts Partas Millésimé aus Chouilly. Bei dieser Cuvée parcellaire finden Vergärung und Ausbau wieder im Holz statt. Nach Redaktionsschluss hat das Weingut eine neue Cuvée namens Continuum aus dem Lieu-dit Champs Chevalier aus alten Jahrgängen angekündigt. Dazu wurden mit einem Vrigny Rouge Pinot Noir aus der gleichen Lage und einem reinsortigen Meunier Coulommes-la-Montagne Rouge aus der Lage Le Mont Moine die Coteaux Champenois des Hauses wiederbelebt.

Verkostung

Mein drittes Tasting nach der Berliner Paulée von 2022 und 2024. Auch in der Verkostung im Februar 2025 zeigten die Champagner ihre Klasse. Heri Hodie Extra-Brut (Deg, 7/23, Grundweine von 2021) wirkt hell und dunkel, reif und fruchtig zugleich. Lebhafte Perlage und altgoldene Farbe mit zartrosa Reflexen. Im Bouquet Mirabellen, Birne, Haselnüsse, etwas Trester und Biskuit. Am Gaumen weinig, fruchtbetont, aber auch vielschichtig, dabei etwas kurz. Wirkt trotz nur 3 Gramm Dosage recht süß (91 Punkte). L’Hommée Extra-Brut (deg. 11/23, Grundweine von 2020) zeigt ein tiefes Strohgelb. Ein Bouquet von Zitrus, Himbeere und Ingwer. Zeigt sich komplex , mit einiger Tiefe und sehr schöner Säure (94 P.). Rosalie Brut Nature ist dies Mal ein reiner Vintage (2022) und zeigt als erster Champagner des Hauses das AB-Sigel. Bonbon-Roséfarben, Äpfel, Himbeerbiskuit aus Reims und Bienenwachs in der Nase. Schöne Textur, weich und hedonistisch, aber auch etwas spannungslos (90 P.).

Esprit de Vrigny Brut nature (deg. 11/23, Grundweine von 2018) ist in seiner geradlinigen Horizontalität das Gegenstück zum L’Hommé. Horizontal aber im Gegensatz zu „breit“, sondern im Sinne von Entwicklung und Evolution am Gaumen. Herber und weniger auf der Frucht, als das übrige Sortiment, aber dennoch mit schönem Trinkfluss (93 P.). Lediglich 2.300 Flaschen wurden produziert. Geradezu spektakulär zeigt sich Millésime 2014 Extra-Brut (deg. 3/23, keine Malo). Im Bouquet Ananas, Himbeeren, Orangenschalen und Honig. Am Gaumen weinig und üppig, aber sehr schön balanciert mit salzigem Finish. Großes Kino (96. P.)! Dagen zeigt sich der Haut-Partas 2018 Brut Nature (deg. 7/24) aus einer nur 0,2 Hektar großen Parzelle mit alten Chardonnay-Reben in Chouilly noch etwas ungebändigt. Die Mousse ist lebhaft, in der Nase finden sich Birne, Apfelwein und Sauerteig. Am Gaumen komplex, aber jahrgangsbedingt auch recht reif mit weicher Säure (93 P.). Eine starke Vorstellung charaktervoller Individualisten, mit keinem Champagner unter 90 Punkten!

Bildrechte

Stefan Pegatzky / Time Tunnel Images

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