Miss Gamay: Marine Descombe und ihr Beaujolais

Die Domaine Descombes im Beaujolais feiert in diesem Jahr ihren 120. Geburtstag. Ihre Leiterin aber denkt kaum an die Vergangenheit, sondern vor allem an die Zukunft. Die sieht sie nicht nur in klassischen Beaujolais von Granitböden, die sie auf dem 1662 erbauten Château de Pougelon erzeugt. Vielmehr auch in zeitgemäßen Vins de Table für die junge Generation.

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Wenn im Weinbau mehr Frauen wie Marine Descombe arbeiten würden, müsste man sich um dessen Zukunft keine Sorgen machen. Die Absolventin der Kedge Business School war 2013 in das Familienweingut eingetreten. Neun Jahre später war sie eine von zwei Frauen, die erstmalig in den Großen Rat des Ordens der Compagnons du Beaujolais aufgenommen wurde, der bis dahin ausschließlich von Männern besetzt war. 2024 war sie in die französische Liste der „Forbes Femmes 40“ aufgenommen worden, als erste Winzerin überhaupt und als eine von wenigen Frauen, die nicht aus der Großregion Paris stammt. Auf ihrer Domäne erzeugt sie nicht nur klassische Weine unter der Beaujolais-Appellation. Sondern auch kühl zu trinkende Rot- und Orangeweine sowie Pét-Nats als Vins de Table. Deswegen wurde sie in diesem Jahr auch zur neuen Vorsitzenden des Branchenverbandes Anivin de France gewählt, dem Interessenverband der Vins de France. Wie schmecken die Weine der Powerfrau?

Vins de Table

Den Auftakt macht die Miss-Gamay-Reihe. Das ist ein Quartett von Weinen unter dem Label Vins de France. Die Trauben werden hier zumindest teilweise zugekauft und einige der Cuvées könnten wohl auch als AOP verkauft werden. Aber Marine Descombes ist überzeugt: „Vin de France ist eine Bezeichnung, die Winzer und Weinmacher inspiriert, weil sie ihnen ermöglicht, neue Wege zu gehen. Aber auch Verbraucher, die wissen, dass die Welt der VdF-Weine frei, zugänglich und innovativ ist.“ Das hat nicht unbedingt etwas mit dem Preis zu tun. Tatsächlich ist dieser höher platziert als beim Einstiegs-Beaujolais des Weinguts. Gleich zu Beginn fällt einem der Hinweis „Récolte à la main“, also Handlese, ins Auge. Auf dem Rückenetikett fallen Worte wie unfiltriert, intrazelluläre Gärung, Méthode Anchestrale und Spontanvergärung. Teilweise stammen die Trauben aus Bio-zertifizierten Anlagen. Mit den traditionellen Tafelweinen „de masse“ großer Kellereien hat das nichts zu tun: Dies sind perfekt vinifizierte Trinkweine von heute!

Leider ist der Miss Chardo: Macération, ein als Orange-Wein ausgebauter Chardonnay, derzeit ausverkauft. Also beginnt die Verkostung beim Pétillant Naturel aus Gamay-Trauben. Der jahrgangslose Pét-Nat ist trotz Sponti-Gärung sehr pur, fruchtbetont und schlank und weist nur 10 Prozent Alkohol auf, ein schöner, belebender Beginn (85p.) Der Rosé Gamay von 2023 ist dann schon ein richtig ernst zu nehmender Rosé-Wein. In der Nase zeigen sich zarte Rhabarbernoten und florale Aromen. Am Gaumen eine reife, aber nicht überreife Frucht, bei überraschender Struktur und Länge ohne jede störende Süße (87p). Pflaumen, Sauerkirschen und Gewürze finden sich im Bouquet des Gamay noir aus 2022, den man vorzugsweise gekühlt trinken sollte. Auch hier fällt die Ernsthaftigkeit der Vinifizierung auf. Frische, Transparenz und eine präsente Säure sind seine großen Pluspunkte, auch wenn der Wein dann recht kurz am Gaumen bleibt (86p.). Natürlich ist das eigentlich ein Beaujolais, aber so vermarktet er sich heute wohl besser.

Château de Pougelon

Die Domänen-eigenen Beaujolais-Weine der Familie Descombe werden unter dem Label Château de Pougelon vertrieben. Dieses 1662 erbaute Anwesen mit 12 Hektar Reben wurde 2017 von der Familie aus Saint-Etienne-des-Oullieres erworben und liegt wenige Kilometer nördlich des ursprünglichen Weingutes und wie dieses in der Appellation Beaujolais-Villages. Der dortige Besitz wurde Zug um Zug um Parzellen in einigen wichtigen Crus im nördlichen Beaujolais erweitert. Durch die Heirat von Marine mit Kevin Jandard kamen auch mehrere Hektar in den Pierres Dorées im Süden dazu, wo auf lehmig-kalkhaltigen Böden auch Chardonnay angepflanzt wurde. Wie alle Weine der Pougelon-Reihe stammt der Beaujolais Blanc Pierres Dorées 2022 von Bio-bewirtschafteten Flächen und wurde ungeschwefelt abgefüllt. Birne, Pfirsich und Thymian in der Nase, am Gaumen präsentiert sich der Wein mittelgewichtig, cremig und mit reifer Säurestruktur. Die schöne Textur verdankt sich nicht dem Holzfass, sondern dem 12-monatigen Ausbau auf der Feinhefe. Ein guter Speisebegleiter mit schönem Trinkfluss (88p.).

Den Beaujolais-Villages von Pougelon überspringe ich, um mich gleich zu den Crus zu kommen. Diese werden allesamt als „Lieu-dits“ angeboten. Allerdings muss man sich das nicht wie im Burgund vorstellen, wo es sich um echte (umklassifizierte) Einzellagen handelt. Im Beaujolais werden damit eher Unter-Gemeinden bezeichnet. Der Brouilly Lieu-dit Voujon etwa stammt von Hügeln um die kleine gleichnamige Gemeinde im Nordwesten der Appellation, der Brouilly Lieu-dit Clos Reisser von einem etwa 250 Meter hochgelegenen Plateau der Gemeinde Cercié im Nordosten – beide bereits in der Nachbarschaft von Régnié. Clos Reisser 2022 von alten Schwemmlandböden ist der offenere, fruchtbetontere Wein, mit Kirschen und Gewürzen, vor allem aber markanten Erdbeeraromen. Frisch, mit guter Säurestruktur und sehr trinkig (88p.). Voujon 2022 tendiert mehr in Richtung Kirsche und hat noch merklich Reserven. Kühl und ziemlich pur am Gaumen, zeigt er sich dichter und bietet mit Belüftung ein breiteres Spektrum und eine schönere Textur (89–90p.).

Beaujolais auf Granit

Der Juliénas Lieu-dit Beauvernay stammt aus dem nördlichsten Beaujolais-Cru, in der die Familie Weinberge besitzt. Die Reben stehen in der gleichnamigen, im südwestlichsten Zipfel der Appellation gelegenen Gemeinde auf gut 400 Meter Höhe. Hier herrscht ein schieferhaltiger Boden vor, sogenannte „Pierres Bleues“, also „Blaue Steine“. Etwa von der gleichen Höhe stammen die Trauben vom Morgon Lieu-dit Courcelette. Hier liegen die Reben im gleichnamigen Sektor westlich von Villié-Morgon, der von Granit-Verwitterungsböden geprägt ist. Der Juliénas von 2022 ist der einzige Wein der Reihe, der zunächst etwas reduktiv wirkt. Mit etwas Belüftung dominieren dann Blaubeeren, Pflaumen und florale Noten das Bouquet. Ein mittelgewichtiger, fast schlanker Wein, der enormes Trinkvergnügen bereitet, auch weil die Tannine enorm smooth wirken (90p.). Der Morgon aus dem gleichen Jahr ist dunkler und kraftvoller. Fokussierter und weniger hedonistisch, zeigt er erst am zweiten Tag etwas Frucht und füllt dabei den ganzen Mundraum aus (92p).

Ein eigenes Geburtstagsgeschenk hat sich die Familie Descombe dann mit einer Sondercuvée zum 120. Jubiläum gemacht. La Centenaire 2022 stammt von 1919 gepflanzten Reben von Château Pougelon. Dies ist sozusagen ein Beaujolais-Villages „de luxe“, von dem es nur 985 Flaschen und einige Magnums gibt. Er ruft nicht laut „Grand Vin“, sondern überzeugt wie alle Weine der Familie durch Finesse und Eleganz. Entsprechend wurde er auch nicht im Holz ausgebaut, sondern, wie auch die Beaujolais-Crus, vollständig in Zement. Trotz des heißen Jahrgangs bei nur 12,5 Prozent Alkohol, auch das eine Stilistik der Pougelon-Weine. Im Bouquet zeigen sich Sauerkirsche und rote Beete, am Gaumen wirkt der Wein transparent und beinahe burgundisch, mit Reserven für eine lange Lagerung. Sicherlich einer der besten Beaujolais-Villages überhaupt auf dem Markt (94p.).

Man darf gespannt sein, was Marine Descombe und ihr Team in den nächsten Jahren noch alles auf die Beine stellen werden. Auf dem Château de Pougelon wurde kürzlich ein ultramoderner Keller eingeweiht. 2017 wurde zudem die Domaine Passy le Clou übernommen, wo die Familie Chablis produziert. Das Négociant-Geschäft erstreckt sich mittlerweile bis ins Burgund und die Rhône, mit Weinen die von einem Chassagne-Montrachet bis zu einem Côte-Rôtie reichen.

Bildrechte

Porträt Marine Descombes: Famille Descombes

Übrige Fotos: Stefan Pegatzky / Time Tunnel Images

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