Crémants von der Loire (1): Die Maisons

Crémant de Loire eilt von Erfolg zu Erfolg. Mittlerweile wird in Deutschland mehr traditionell erzeugter Schaumwein von der Loire getrunken als Champagner. Am 17. Oktober wurde die französische Appellation 50 Jahre alt. Aus diesem Anlass war Sur-la-pointe exklusiv in die Region eingeladen worden. Es war ein Besuch mit vielen Verkostungen, Weingutsbesuchen und Gesprächen. Teil eins meines Reiseberichts beschäftigt sich mit den historischen Lokomotiven des Crémant de Loire: den großen Maisons. Drei von Ihnen stelle ich an dieser Stelle vor.

8 Minuten Lesezeit

Die Schaumweinproduktion an der Loire ist jünger als die in der Champagne. Aber sie weist einige vergleichbare Strukturen auf und ist historisch eng mit ihr vernetzt – sowohl durch ihre Auseinandersetzungen als auch durch ihre Kooperationen. Eine Ähnlichkeit besteht zunächst in der Dreiteilung der wesentlichen Akteure: Die Maisons, die als Négociants auch Trauben dazukaufen, die Winzer und schließlich die Kooperativen. Wie in der Champagne waren die Négociants an der Loire die historischen Lokomotiven. Sie haben die regionalen Schaumweine als eigene Marken kreiert und in der Welt bekannt gemacht.

Und wie in Reims (mit der Butte St. Niçaise) und Épernay (mit der Avenue de Champagne) gibt es auch für den Crémant de Loire ein geografisches Zentrum. Es ist die Rue Jean Ackerman samt ihrer Verlängerung, der Rue Léopold Palustre, in Saint-Hilaire-Saint-Florent nahe Saumur. An dieser Stelle mündet das Flüsschen Le Thouet in die Loire. Die südlichen Hänge direkt unterhalb der Weinberge wurden bis zur Ankunft der Schaumweinproduzenten jahrhundertlang als Tuffsteinbrüche benutzt. Noch beute finden sich hier zahlreiche renommierte Maisons.

1. Maison Ackermann

Jeder ernsthafte Besuch bei den „Fines bulles de Loire“, den feinen Schaumweinen von der Loire, muss bei der Maison Ackerman beginnen. Für die Geschichte des Crémant de Loire ist dabei weniger deren offizielles Gründungsjahr 1811 von Bedeutung (als Weinhandelshaus Ackerman-Laurence). Sondern die Herstellung erster Schaumweine im Jahr 1834. Nach dem Umzug der Produktion in einen alten Tuffsteinsteinbruch 1840 (heute im Wesentlichen nur noch das Besucherzentrum der Maison mit eindrucksvollem Museum) begann die eigentliche Schaumweinindustrie an der Loire. Und für gut ein Jahrzehnt ohne einen eigentlichen Mitstreiter oder Konkurrenten! Das Haus, das zeitweise auch in Reims Champagner produzierte, erzielte trotz starkem Gegenwind unter den Eigentümern Jean-Baptiste und Louis-Ferdinand Ackerman weltweit Erfolge. 1965 wurde es von Maurice Rémy übernommen und dessen Rémy-Pannier-Gruppe angegliedert. 2002 erwwarb die Landwirtschaftskooperative Terrena erste Anteile, 2015 wurde sie Mehrheitseigner. Heute ist die Maison Ackermann (Umbenennung 2009) ein Teil von deren Weinsparte Orchidées Maisons de vin.

Die Maison Ackerman ist mit geschätzten jährlich produzierten 2,5–2,7 Millionen Flaschen „Fines Bulles“ Platzhirsch der Region. Der Weinbergsbesitz beträgt 150 Hektar, insbesondere im Sektor „Les Dames de la Vallée“. Hier ist die Bewirtschaftung auf Schaumweinanforderungen ausgerichtet – mit einem Forschungs- und Entwicklungszentrum direkt im Weinberg. Die eigentlich Schaumweinproduktion findet heute in Vaudelnay südlich von Saumur statt. Das Portfolio besteht neben Crémant de Loire auch aus Saumur Mousseaux AOP. Irritierenderweise teilweise auch in gleicher Ausstattung und Markennamen (dazu mehr im Teil 3 des Reports). Klassiker ist Bulles Royale (70% Chenin, 15% Chardonnay, 15% Cabernet Franc), auch als Rosé (CF dominiert) und als Bio (hier engagierte sich die Maison zuletzt stark). Etwas gehobener ist die Linie Émilie Ackerman. Dies sind grundsätzlich korrekte, fruchtbetonte und sehr zugängliche Schaumweine. Mehr Anspruch verkörpert der Royale Vintage mit 36 Monaten Hefelagerung (60% Chenin, 40% Chardonnay): spürbare Hefearomatik mit angenehm reduzierter Dosage und weicher Säure.

2. Gratien & Meyer

Das Crémant-Haus ist neben Langlois das letzte an der Loire mit Verbindungen in die Champagne, nachdem Taittinger 2006 Bouvet-Ladubay wieder verkauft hatte. Gegründet hatte es 1864 der Franzose Alfred Gratien. Die Adressen um die heutige Rue Jean Ackerman (wo neben Ackerman auch Langlois, Bouvet-Ladubay und Veuve Amiot residieren) waren bereits vergeben. Also bezog das Haus seinen Sitz in einem aufgegebenen Steinbruch nahe Saumur hoch über der Loire. Im gleichen Haus gründete Gratien auch das nach ihm benannte Champagnerhaus in Épernay. 1874 stieg der Elsässer Albert-Jean Meyer in den Betrieb ein, seit 1896 wurden die Schaumweine unter dem Namen Gratien & Meyer verkauft. Meyers Sohn Albert-Edmond übernahm 1922, seit 1936 unterstützt durch Schwiegersohn Eric Seydoux, der die Häuser ab den 1960er-Jahren führte. 1993 formten dessen Söhne die Holding Gratien Meyer Seydoux, die dann 2000 (inklusive des Champagnerhauses) an die deutsche Unternehmensgruppe Henkell & Söhnlein (seit 2018 Henkell Freixenet) verkauft wurde.

Die Kellerei samt fünf Kilometer Stollen sind historisch von großem Interesse, nicht nur wegen ihrer Art-Déco-Glasfassade. So hatte Albert-Edmond Meyer hier Anfang der Dreißigerjahre einen gewaltigen Daubron-Zentralisator einbauen lassen. Der ermöglicht einen weitgehend pumpen- und schlauchfreien Betrieb der Kellerei. Noch immer findet hier vom Ausbau (überwiegend in Zement- und Edelstahltanks), der zweiten Flaschengärung bis hin zur Füllung, Lagerung und Etikettierung die gesamt Produktion des Hauses statt. Im Holz werden die Grundweine für die Nobel-Cuvée Flamme ausgebaut. Für diese reifen sogar die Grundweine (Coteaux de Layon!) für die Fülldosage im Holz. Hier kommt aber Akazien- statt Eichenholz zum Einsatz. Auf die Malo wird, wie beim Schwesterhaus in Épernay, verzichtet. Pierre Charon, Önologe und Technischer Direktor von Gratien&Meyer, hält beim Crémant eine Flaschengärung zwischen 18 (für die Rosés) und 24 (für die besten Blancs) Monate für optimal. Darüber hinaus würde die delikate Frucht zu sehr von der Autolyse überdeckt.

Qualitätsoffensive

Auch wenn das Haus weitgehend unabhängig vom deutschen Mutterkonzern arbeiten kann, hat man in Wiesbaden doch die Signale des Crémant-Booms vernommen. Entsprechend investiert Henkell Freixenet seit einigen Jahren beträchtlich in die Zukunft von Gratien&Meyer. Neben Marketing und Kommunikation betrifft das vor allem den eigenen Landbesitz. Das Haus besitzt bereits 82 Hektar Reben an der Loire, nun sind noch einmal 18 Weinberge hinzugekommen, neben Chenin Blanc auch 5 Hektar Chardonnay. Chenin Blanc ist die Signatur des Loire-Crémants, davon ist Pierre Charon überzeugt, aber Chardonnay gibt ihm Struktur und erhöht („enlighten“) sein Niveau. Tatsächlich sei es schwer, Chardonnay-Trauben von Winzern zuzukaufen. Denn es gebe nur noch wenige junge Anlagen in der Region. Weil die Traube nicht für Stillwein-AOPs zugelassen ist, hätte sie nach 2000 kaum mehr jemand angepflanzt. Deshalb verstärkt das Haus seine Weinbergszukäufe und Neuanpflanzungen – was bei Hektarpreisen um die 25.000 Euro immerhin deutlich einfacher ist als in der Champagne.

Auch Gratien&Meyer produziert deutlich mehr als 2 Millionen Flaschen Schaumwein jährlich – mit einem entsprechenden Vertrieb in die Breite. Und auch hier wird Saumur Mousseux produziert, allerdings nur in einer Basislinie bis einschließlich Millésime. Das Portfolio beim Crémant de Loire umfasst zunächst die zum Saumur visuell identischen Einstiegslinie mit Chenin Blanc als Leitrebe (inklusive Vintages). Es folgt eine gehobene Range namens Diadem mit höherem Chardonnay-Anteil. Und schließlich das Flamme-Trio, das neben der klassischen weißen Cuvée einen Rosé und einen Vintage beinhaltet.

Sie blicken schon von der Komposition am deutlichsten Richtung Champagne. Beim Blanc übernimmt der Chardonnay nun mit einem Anteil von 50 Prozent die Führung vor 25 Prozent Chenin Blanc und 25 Prozent Pinot Noir. Beim Rosé führt umgekehrt Pinot Noir (45%) vor Chardonnay und Chenin Blanc (jeweils 20%) sowie Cabernet Franc (15%). Flamme Brut 2017 ist dann mit sechs Jahren Flaschengärung die Ausnahme im Sortiment. Hier kommen dann ausschließlich burgundische Reben zum Einsatz – wobei Chardonnay (89%) gegenüber Pinot Noir (11%) klar dominiert. Dies sind sowohl aromatisch wie von der Textur her nicht unbedingt typische Crémants von der Loire. Aber gerade der Vintage zeigt mit dezenter Cremigkeit, Vielschichtigkeit und guter Säure einige Klasse.

3. Langlois

Die Maison Langlois ist von den drei vorgestellten Häusern das jüngste. Und auch hier steht das Gründungsdatum von 1885 nicht für den eigentlichen Beginn. Das ist tatsächlich das Entstehungsjahr eines Weinhandelshauses Deslandes aus Saumur, das im Jahre 1912 vom Ehepaar Edouard Langlois und Jeanne Chateau übernommen wurde. Es gab aber noch eine zweite Wurzel des entsprechend als Langlois-Chateau (sic) eingetragenen Unternehmens. Im Jahr der Gründung beteiligte sich nämlich auch Max Baron von Bodmann (mit Wurzeln im Badischen) an Langlois-Chateau und überließ dem Ehepaar Keller, Gebäude und Weinberge seines Château de Saint-Florent. Nach Édouards Tod im Ersten Weltkrieg führte zunächst die Witwe Jeanne Chateau das Weingut weiter. 1958 wandelte ihr Neffe Maurice Leroux das Haus in eine Aktiengesellschaft um, an dem schließlich die Familie Bollinger 1973 die Mehrheit erwarben. 2001 stieß François-Régis Fougeroux als Produktionschef dazu, seit 2008 ist er Generaldirektor. 2023 beschloss die Bollinger-Gruppe, das Haus in Maison Langlois umzubenennen.

Der Weinbergbesitz ist nicht zuletzt wegen des Bodman-Besitzes beeindruckend. Zu ihm gehören die legendäre Parzelle Les Poyeux in Saumur-Champigny sowie der Clos St Florent direkt über den historischen Kellern des Weinguts. Hier wachsen bis zu 60 Jahre alte Cabernet-Franc-Reben. Aus ihnen, ebenso wie aus den besten Chenin-Blanc-Plots, werden auch Stillweine produziert. Dennoch wurde der Weinbergsbesitz in den letzten Jahrzehnten sukzessive vergrößert. Das Haus ist stolz, die Crémants aus vier bis fünf Terroirs unterschiedlicher Böden (Tuff, Kalk, Schiefer) zu komponieren. Saumur Mousseux werden nicht erzeugt. Seit 2000 ist das Weingut nachhaltig zertifiziert. Aus dem Jahrgang 2021 kam in diesem Jahr mit dem Blanc de Blancs der erste biozertifizierte Langlois-Crémant auf den Markt. In zwei Jahren soll die gesamte eigene Weinbergsfläche organisch zertifiziert sein. Von Vertragswinzern kauft das Haus nur Trauben und keine Moste oder gar Weine ein, weil man die gesamte Kontrolle ab der Pressung in der Hand haben will.

Ein eigener Weg

Der Champagner-Autor Tom Stevenson hat Langlois-Chateau vor zwölf Jahren einmal kritisiert, zu sehr Bollinger-Champagner nachahmen zu wollen. Davon kann heute keine Rede mehr sein. Der Vergleich war schon damals fraglich, weil bei Langlois kein Holz zum Einsatz kommt und die malolaktische Gärung vermieden wird. Der entscheidende Moment für François-Régis Fougeroux ist allerdings der Pressvorgang, der hier schon einmal vier Stunden dauern kann. Die Vergärung mit neutralen Hefen erfolgt möglichst parzellengenau in Edelstahltanks zwischen 27 und 200 Hektolitern. Die Malo wird blockiert –  aber die Voraussetzung dafür sind reife Chenin Blancs und Cabernet Francs ohne jegliche grüne Aromatik. Dafür muss der potentielle Alkoholgehalt möglichst bei hohen 11 Prozent liegen. Die zweite Flaschengärung liegt bei mindestens zwei Jahren. Sie kann aber auch – vielleicht die einzige wesentliche stilistische Parallele zur Champagne – deutlich länger dauern. Zudem legt das Jahr Wert auf seine Reserve-Weine (mindestens zwei Jahrgänge). An das Degorgieren und die moderate Zugabe von Dosage schließt sich eine mindestens dreimonatige Ruhephase an.

Das mit 80 Prozent Ausfuhren stark exportorientierte Haus betrachtet sich selbst – bei immerhin 1 Millionen Flaschen Jahresproduktion – als mittelgroßen Player. Alle Cuvées im Portfolio sind Chenin-dominiert (beim Rosé: Cabernet Franc). Als Ergänzungen kommen nur Chardonnay und Pinot Noir zum Einsatz mit maximal etwa einem Drittel im Blend. Schon die Einstiegs-Crémants beeindrucken. 2020 Brut und 2021 Blanc de Blancs zeigen dann bereits beide, wie hervorragend Chenin Blanc mit längerer Flaschengärung zusammengeht. Letzterer besitzt mit 2 Gramm Dosage gute Präzision und sogar ein jodig-salziges Finish. Cadence 2017 ist die neue Prestige Cuvée von Langlois von den besten Parzellen des Terroirs von Saumur. Ein Crémant, der etwas Luft zur Entfaltung benötigt und dann bei viel Frische schöne autolytische Aromen zeigt.

Schließlich öffnet Fougeroux noch zwei Flaschen aus der Schatzkammer. „PNG“, wie er sagt, „pour nos gueles“: einfach zum Genuss. Er beginnt mit einem 2012er Quadrille. Es ist die ehemalige Spitzenabfüllung von Langlois, deren Name sich auf die große Reittradition von Saumur bezieht. Das ist sicher ein ziemlich entwickelter Crémant, aber er zeugt noch vom sinnlichen Reichtum eines wunderbaren Jahrgangs. Und zum Finale ein Crémant des legendären Schaumwein-Jahres 2008, der 2015 degorgiert wurde. Hier tritt man in eine Welt von stärker oxidativen Aromen ein wie Nougat und gerösteten Haselnüssen. Ein Erlebnis und ein Plädoyer für neue Wege beim Crémant!

Anmerkungen

Die Reise an die Loire erfolgte auf Einladung und auf Kosten von Vins de Loire und wurde auf deutscher Seite durch ff.k Public Relations koordiniert. An dieser Stelle danke ich noch einmal allen Organisatoren und den beteiligten Weingütern.

Der Historiker Valentin Taveau, einer meiner Gastgeber bei der Maison Ackerman, hat eine faszinierende, materialreiche Doktorarbeit über das Haus Ackerman und die Frühgeschichte der Crémant-Produktion an der Loire verfasst. Eine Adaption ist soeben, illustriert von Simon Bonnefoy, als Comic erschienen (hier). So etwas ist nur in Frankreich möglich!

Das zumindest in Deutschland wohl bekannteste Crémant-Haus, Bouvet-Ladubay, habe ich bereits anlässlich eines Marktreports für „WEIN+MARKT“ 2022 besucht und im Artikel „Die Über-Schäumer“ porträtiert (leider mit Bezahlschranke) .

Bildlegenden

Eingangsbild: Clos St Florent der Maison Langlois mit Blick auf das Schloss von Saumur; Bild 1: Alte Rüttelpulte bei Langlois; Bild 2: Habilliage bei Gratien-Meyer; Bild 3 und 4: Alter Weinkeller der Maison Ackerman und der aktuelle Jahrgang Royale 2022; Bild 5 und 6: Ansicht der Art-Déco-Fassade von Gratien & Meyer, Aphrometer zur Druckmessung des Champagners; Bild 7 und 8: Pierre Charon, der Technische Direktor von Gratien & Meyer, sowie die aktuelle Flamme-Serie; Bild 9 ud 10: Ansicht des Empfangsgebäudes, alte Rebstöcke im Clos St Florent; Bild 11 und 12: François-Régis Fougeroux, Gutsdirektor von Langlois sowie Teil 1 des Tastings; Bild 13 und 14: PNG:  der inoffizielle Teil des Tastings.

Bildrechte

Stefan Pegatzky / Time Tunnel Images

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