Von vielen Weingütern heißt es, sie haben eine „reiche Geschichte“. Bei San Leonardo ist sie offensichtlich. Das Weingut liegt an der Via Claudia Augusta, eine der wichtigsten Römerstraßen, die Norditalien mit dem süddeutschen Raum verbanden. Vor gut 1.000 Jahren diente das Anwesen als Kloster. Im 17. Jahrhundert ist es im Besitz der Familie Gresta (später: De Gresti), in die 1890 Marquese Tullo Guerrieri Gonzaga di Montebello einheiratet. Zu dieser Zeit liegt der Herkunftsort Borghetto d’Avio noch im Königreich Österreich-Ungarn. Von hier sind nur wenige Kilometer bis zur Grenze zum Königreich Italien, die vor 1866 noch die zur Republik Venedig gewesen war. Die preisgekrönten Riesling- und Borgogna-Weine von hier werden als Château St. Leonard abgefüllt. 1919 wird das Trentino dann von Italien annektiert – und vom Wein hören wir erst einmal wenig.
Lehrjahre in der Toskana
Anfang der 1960er-Jahre aber entschließt sich Carlo Guerrieri Gonzaga, in Lausanne Önologie zu studieren. Nach dem Abschluss 1962 hat der Vater die Leitung des Familienweinguts aber einem anderen übertragen – und Carlo geht als unabhängiger Weinberater in die Toskana. Dort arbeitet er mehrere Jahre bei einem Freund seines Großvaters, Mario Incisa della Rocchetta, der dort 1968 seinen ersten Jahrgang Sassicaia abfüllen sollte. Als Carlo 1974 nach dem Tod des Vaters San Leonardo übernahm, nahm auch er einen italienischen Rotwein mit französischen Rebsorten in Angriff. Dabei konnte er sich auf alte Rebanlagen mit Merlot und Cabernet Franc stützen, die noch aus Habsburgerzeiten stammten. Unterstützt vom Önologen Giacomo Tachis, dem Berater von Sassicaia, pflanzte er 1978 auch den ersten Cabernet Sauvignon. 1982 wurde dann der erste San Leonardo abgefüllt, ein „Vino da tavola dei Campi Sarni“ von gut 9.780 Flaschen.
Seit dieser Zeit hat sich einiges verändert. Doch der Stil ist überraschend konsistent geblieben. Zunächst wurde der angebliche Cabernet Franc Anfang der Neunzigerjahre als Carmènere „entlarvt“. Ein Nachweis des Ampelographen Jean-Michel Boursiquot, der weltweit für Überraschungen sorgte. Der Blend des San Leonardo wurde allmählich stärker vom Cabernet-Sauvignon dominiert und beträgt heute 60% Cabernet Sauvignon, 30% Prozent Carmenère und 10% Merlot. Carlo Ferrini ersetzte ab dem Jahr 2000 Giacomo Tachis als Berater. Und Anselmo Guerrieri Gonzaga leitet heute als Nachfolger seines Vaters Carlo das Weingut. In manchem beschreitet er neue Wege – wie der teilweisen Rückkehr zur alten Pergola-Erziehung, wodurch die Traube weniger Zucker produziert. An zentralen Punkten, wie den französischen Rebsorten, steht er hinter der Vision seines Vaters.
San Leonardo 2019 im Glas
65.400 Flaschen des San Leonardo 2019 sind gefüllt worden, seit dem Jahr 2000 trägt der Wein die I.G.T. Vigneti delle Dolomiti. Der Ernteverlauf war verhältnismäßig kühl, so wie es San Leonardo eigentlich am liebsten hat. Einem kalten Winter mit kühlem Frühling und später Blüte folgte ein Sommer mit gemäßigten Temperaturen und, im Vergleich zu 2018, eine um zwei Wochen spätere Ernte. Vinifiziert mithilfe spontaner Hefen in Zementtanks, bei täglichem Umpumpen. Die Reife erfolgte dann für 24 Monate in Barriques und Tonneaux mit Erst-, Zweit- und Drittbelegung sowie weiteren 24 Monaten in der Flasche.
Im Glas tiefdunkles Rubinrot mit violetten Reflexen, im Bouquet Noten von Veilchen, Trockenkräuter und Gewürze, zu denen retronasal noch Johannisbeeren und Sauerkirschen kommen. Wirkt am Gaumen zunächst schlank durch seine hohe Säure, besitzt aber eine fein gefügte, nahtlose Textur und gut gemanagtes, pudriges Tannin. Mit etwas Luft enthüllt sich die Vielschichtigkeit des Weines, er entwickelt zunehmend Druck und eine beeindruckende Länge. Sehr fokussiert, sehnig und sicher für eine lange Lagerung gemacht (97 P.).
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Stefan Pegatzky / Time Tunnel Images
Guten Tag lieber Herr Pegatzky,
Gratuliere zu dem Newsletter!
Gerne würde ich Ihren Bericht zum 2019er San Leonardo an unsere Kunden senden. Zum einen ein brillanter Artikel und zum anderen könnten wir Ihren Newsletter einer Breiten Zielgruppe näher bringen.
Freue mich auf Ihre Antwort
Grüße
Rudolf Knickenberg