Die Genossenschaften der Champagne verändern sich. Natürlich produzieren sie auch heute noch große Mengen Grundweine für die großen Handelshäuser. Aber mit ihren ersten Eigenmarken hatten sie – nicht anders als die ersten unabhängigen Winzer („Récoltant-manipulant“) – zunächst versucht, die Codes der Grandes Marques zu imitieren. Die gleichen Cuvées wie Standard-Brut, Rosé, Vintage und Prestige Cuvée. Ähnliche Etiketten mit aristokratischen Wappen und goldener Schrift. Das war auch bei Le Brun de Neuville der Fall. Bis sich die Kooperative zunächst 2008 vom Handelsmarkengeschäft zurückzog, massiv in Qualität investierte und sich 2019 komplett verwandelte. Nun dienen nicht mehr die Négociants, sondern das Selbstverständnis als Winzer als Vorbild. Jüngste Beispiele: ein im Holz ausgebauter Blanc de Blancs sowie ein ungewöhnlicher Rosé-Stillwein, ein sogenannter Côteaux champenois.
Die Kooperative
Über gut 160 Hektar Rebfläche verfügt die Kooperative aus Bethon heute. Die verteilen sich, worauf das Unternehmen stolz ist, vor allem auf alle zwölf Gemeinden der Côte de Sézanne. Die ist geologisch so etwas wie die Verlängerung der Côte des Blancs. Deren Untergrund aus Campanien-Kreide gilt als idealer Untergrund des Chardonnays – selbstverständlich der Trumpf der Region. Gut 250.000 Flaschen werden unter der 1973 geschaffenen Marke Le Brun de Neuville vermarktet. Die wurde in den letzten Jahren zunehmend im Premiumsegment platziert. Merkmale sind etwa ein langes Hefelager, teilweise Spontanvergärung sowie eine starke Terroir-Prägung − und ein markanter optischer Auftritt. Vorbildlich ist die Kommunikation auf dem Rückenetikett.
Le Chant des Fûts
Mit der neuen Cuvée Le Chant des Fûts erinnert Le Brun de Neuville an die Champagnerproduktion des frühen 20. Jahrhunderts vor der Einführung der Zement- und Edelstahltanks. Dafür wurden Chardonnay-Trauben aus dem Sézannais des (bemerkenswerten) Jahrgangs 2019 im Holz vergoren. Danach reifte der Grundwein noch einmal für 19 Monate in kleinen Gebinden von 205, 228 und 400 Litern sowie demi-muids. Für 24 Monate folgte – für die erste Edition − die zweite Fermentation auf der Flasche (dég. 18/4/23). Abgefüllt wurden schließlich ganze 2.227 Flaschen ohne jede Dosage.
Erste Verkoster merkten im Oktober 2023 noch die deutliche Holzprägung des Champagners an. Das hat sich mittlerweile erfreulich harmonisiert. Neben einem Hauch Vanille in der Nase vor allem Limette und junge Ananas, dazu etwas weiße Blüten. Am Gaumen kraftvoll, mit cremiger Textur, aber schöner innerer Spannung (92 P.).
Le r(Ô)sé
Noch ungewöhnlicher ist der r(Ô)sé. Nicht umsonst trägt im Namen das Wort ôsé, der französische Ausdruck für riskant oder gewagt. Als Stillwein von 100 Prozent Pinot Noir aus dem Jahrgang 2020 fällt er unter die AOC Côteaux champenois. Sein Ursprung sind gut 45 Jahre alte Rebanlagen auf Ton- und Kalkböden in „Les Foizardes“ in Bethon sowie „Les Vallées“ in Montgenost, dem südlichsten Weinbau-Ort des Départements Marne. 18 Stunden mazerierten die Trauben, nach Vergärung und Malo reifte der Wein für 24 Monate in Eichen- und Akazienfässern. Auch hier ist die Menge mit gerade einmal 1.572 Flaschen gering. Helles Smaragdrot im Glas, im Bouquet dezente Walderdbeeren, Sauerkirschen und Himbeeren, dazu etwas Trockenkräuter. Das raffinierte, seidige Mundgefühl verrät das große Savoir-faire und stellt diesen Wein meilenweit über die omnipräsenten Mainstream-Rosés (90 P.).
Beide Weine sind nicht ganz billig, aber ihren Preis mehr als wert. So bleibt nur zu hoffen, dass Le Brun de Neuville trotz der schwierigen Zeiten den Kurs Richtung Innovation beibehält.
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