Champagne Pannier: Im „Outer Rim“ der Champagne

Fährt man das westliche Marne-Tal entlang, könnte man es einfach für eine Fortsetzung des zentralen Vallée de la Marne halten. Doch die Region zwischen Dormans und Saâcy-sur-Marne wurde erst 1927 in die Appellation Champagne aufgenommen. Die Weinberge im Department Aisne gehören gar zur Region Hauts-de-France, der nördlichsten in ganz Frankreich. Die Klimaveränderung und Innovationen vor Ort lenken derzeit viel Aufmerksamkeit auf den einstigen Hinterhof der Champagne. Ein Besuch bei Champagne Pannier in Château-Thierry.

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Von Paris aus gesehen ist das an der Marne gelegene Château-Thierry auf dem Weg nach Reims die erste Stadt mit einer gewissen kulturellen Bedeutung. Weinbau gibt es hier seit dem Mittelalter. Champagnerfreunde kennen die westlichste Region der Champagne vor allem durch eine Handvoll engagierte Winzerbetriebe. Françoise Bedel et Fils ist sicherlich der bekannteste. Aber derzeit buhlen besonders viele junge Produzenten wie Champagne O. Belin aus Essômes-sur-Marne – sehr stark der Millésime aus 2018 − um Aufmerksamkeit. Doch auch beim historischen Pionier der Region, Champagne Pannier, gibt es spannende Neuigkeiten. Dessen Logo und Motto – „Nach Perfektion streben“ − wurde abgeleitet durch einen in den historischen Kellern in den Fels geschlagenen Bogenschützen.

Die Geschichte

Champagne Pannier besitzt – nicht unüblich in der Champagne – eigentlich zwei Geschichten. Die des Namensgründers. Und eine zweite, die in die Jetztzeit führt. Tatsächlich war die Maison durch Louis-Eugène Pannier 1899 gut 50 Kilometer östlich in Dizy nahe Reims gegründet worden. 1937, zehn Jahre nach der Eingliederung der westlichen Marne in die Champagne-Appellation, war dann sein Sohn Gaston mit dem Betrieb nach Château-Thierry umgezogen. Dort hatte er nämlich an einem Hügel unweit des Zentrums einen unterirdischen Steinbruch entdeckt, der den Bürgern im Mittelalter den Aufbau der Stadt ermöglicht hatte. In bis zu 30 Metern Tiefe ein idealer Lagerkeller für seine Champagnerproduktion! Von den übrigen großen Champagnerkellern unterscheidet sich die 2,5 Kilometer lange Kelleranlage von Pannier durch sein Alter, seine niedrigen Decken und sein weniger kalkhaltiges Gestein. Heute noch in Funktion und Teil eines modernen Besucherzentrums, ist er der spektakulärste Keller der gesamten westlichen Champagne.

In den 1960er-Jahren vermietete das Haus Pannier einen Teil der Keller an eine junge Genossenschaft aus Château-Thierry. Die zeigte eine deutlich größere Dynamik als ihre Vermieter. So übernahm sie 1971, mittlerweile unter dem Namen Covama, Champagne Pannier samt Keller und Weinbestand von den Erben der Familie. Ab 1981 entschied die Kooperative, Pannier als Marke für den besten Teil der eigenen Produktion einzusetzen. Seit 1998 ist SA Pannier eine eigene Tochterfirma der Covama. Zu ihr gehören nach mehreren Zusammenschlüssen (mehr in meinem Champagnerbuch) mit anderen Kooperativen heute auch die Marken Jacquart und Montaudon. Die Produktionsstätte der Covama für ihre gut 5 Millionen Flaschen im Jahr aber liegt direkt hinter dem Besucherzentrum von Pannier in Château-Thierry. 550.000 bis 600.000 Flaschen entfallen davon etwa auf Champagne Pannier. Interessanterweise schreibt das Haus, dass die Trauben von gut 70 Hektar kämen, von denen nur ein Drittel von den 700 Hektar der Genossenschaftsmitglieder stammen.

Eine zweigeteiltes Portfolio

Auch wenn die Covama stark in der Region verwurzelt ist, wird der Rebspiegel weniger stark vom Pinot Meunier, der Leitrebe des westlichen Marne-Tals, dominiert, als man vermuten könnte. Heute verteilt sich die Herkunft der Trauben bei Pannier nahezu gleichmäßig auf Marne, Montagnes de Reims und Côte de Blancs. Zwischen 1981 und 2019 war mit Philippe Dupois nur ein einziger Chef de cave für die Produktion von Champagne Pannier zuständig. Der prägte mit seiner Vorliebe für reifes Lesegut die Stilistik von Pannier nachdrücklich. Der als Entrée servierte Sélection (40|30|30 Chardonnay, Pinot Noir und Meunier, davon 30% als Reserveweine) zeigt noch den traditionellen weichen und wenig präzisen Stil (86 P.). Er soll im Einstiegsbereich die Prosecco- und Schaumwein-gewohnten Konsumenten abholen. Warum ein Haus wie Pannier, das auf den Supermarktvertrieb verzichtet, so defensiv denkt, erschließt sich mir nicht, zumal die Gruppe mit Montaudon preiswertere (und kaum schwächere) Cuvées im Angebot hat.

Was für bemerkenswerte Champagner Pannier zu produzieren in der Lage ist, zeigen dagegen drei der Top-Cuvées. Der Velours Blanc stammt im Wesentlichen aus dem Jahrgang 2013 (Ch|PN 80 zu 20) und wurde 2018 degorgiert. Er zeigt eine hochreife Nase mit viel Honig und Konditorcreme. Seine hedonistische Textur wird durch komplexe autolytische Aromen und gute Säure ausbalanciert (92 P.). Noch eine Spur stärker, weil frischer und präziser, ist der Blanc de Noirs aus 2016 (PN|PM 95 zu 5, weniger als 2.000 Flaschen produziert). Auch hier gibt es in der Nase neben roten Früchten viel Brioche. Am Gaumen eine weiche Perlage, zugleich aber auch der Eindruck einer herrlichen, puren Frische, die für schönsten Trinkfluss sorgt (93 P). Ungewöhnlich und hochpreisig ist dann der jahrgangslose Egérie de Pannier Brut Rosé de Saignée (Ch|PN 20 zu 80, vorwiegend Jahrgang 2014). Hier „bluteten“ die roten Trauben gut 30 Stunden aus. Auch hier reiches, hefiges Bouquet von Blätterteig und Himbeeren, mit zarter Mousse und weiniger Textur. Etwas Phenolik sorgt für ausreichend Spannung (93 P.).

Die Ode an den Meunier

Und dann waren da noch zwei ganz spezielle Cuvées. 2021 hatte ich noch geschrieben, dass im Pinot Meunier zwar das Erfolgsrezept des Aufstiegs der Covama bestünde – aber ausschließlich als Cuvée. „Entsprechend gibt es noch immer keine reinsortigen Meuniers im Haus, wie von einigen Winzern der Region, auch wenn Pannier sicher über entsprechende Flächen und das Know-how verfügt.“ Nun stoße ich auf zwei Abfüllungen mit dem Titel „L’Ode au Meunier“. Es sind beides reine Pinot-Meunier-Champagner aus einem einzigen Jahrgang. Und jeweils einem einzigen Cru, also aus Trauben einer Gemeinde. Zum einen Venteuil im zentralen Marnetal, zum anderen Charly-sur-Marne ganz im Westen. Und beide sind in Barriques ausgebaut, ganz im Gegensatz zum Edelstahl-geprägten Stil des übrigen Sortiments. Beide sind Schöpfungen von Yann Munier, der 2019 die Nachfolge von Kellermeister Philippe Dupois angetreten hatte.

Munier spielt hier mit der vom Burgund-inspirierten Winzerchampagner-Philosophie. Ein Terroir, eine Traube, ein Jahrgang (hier: 2019). Dazu kurze Hefelagerung von nur zwei Jahren, Ausbau im Holz und Extra-Brut mit nur 3 Gramm Dosage pro Liter. Und, so zumindest der Eindruck, nur sehr wenig Schwefel. Die Verkostung präsentiert dann zwei völlig verschiedene Gesichter: Charly-sur-Marne, erstmals in der Maison verkostet, zeigt keine primäre Frucht und eine ausgesprochene Naturwein-Charakteristik. Die Nachverkostung zu Hause vertieft den Eindruck. Vinteuil punktet mit reifem Apfel, Holunder und Konditorcreme, am Gaumen fruchtsüß, weich und cremig (91 P.). Charly-sur-Marne zeigt statt Fruchtnoten eher Fenchelaromen, ist herber und im Charakter deutlich dunkler (90 P.).

Von beiden gibt es jeweils nur 1.500 Flaschen, jedes Jahr soll ein neuer Ort dazu kommen. Für die Selektion ist Frédéric Feltrin verantwortlich, der Weinbergmanager der Covama. Yann Munier ist freilich als Nachfolger des verstorbenen Laurent Fresnet zu Champagne Mumm gewechselt. Sein Nachfolger: Arnaud Van Der Voorde, der ehemalige Chef-Önologe von Champagne Mumm – quasi eine Rotation. Das sagt nicht nur etwas über das aktuelle Verhältnis zwischen Grandes Marques und Kooperativen. Es sagt auch: Die überraschende Geschichte von Pannier ist längst noch nicht zu Ende.

Bildrechte

Stefan Pegatzky / Time Tunnel Images

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