Paterico: Die Neuerfindung des Taurasi

Seit gut 50 Jahren ist es eine beliebte Veranstaltung der internationalen Weinszene: das Underdog-Tasting. Eine No-Name-Region oder ein unbekanntes Weingut messen sich mit den unbestrittenen Champions des Fine-Wine-Universums. Das Paris Tasting von 1976 katapultierte das kalifornische Napa Valley, das Berlin Tasting von 2004 die chilenischen Weine von Eduardo Chadwick an die Spitze. Nun versuchte es in Hamburg Gian Luca Mazzella mit dem Paterico.

4 Minuten Lesezeit
Gian Luca Mazzella
Gian Luca Mazzella

Von den noblen Rebsorten der Welt ist er die wohl unbekannteste: der Aglianico. Önologe Denis Dubourdieu identifiziert ihn mit dem berühmten Falerner-Wein, den schon der römische Autor Plinius preist. So kommt er zu dem Schluss. dass der Aglianico „wahrscheinlich die Rebsorte mit der längsten Weingeschichte“ ist. Lange Zeit ist man von einer griechischen Herkunft (als Verballhornung von „vitis hellenica“) des Aglianico ausgegangen, was DNA-Tests aber als Legende erwiesen haben. Stattdessen leitet sich der Name nach Forschungen von Professor Attilio Scienza vom spanischen „llano“ (für „Ebene“) ab. Ein „Wein aus der Ebene“ also, sozusagen von „vor der Haustür“ für die spanischen Herren in Neapel, die Kampanien im 15. Jahrhundert erobert hatten. Der Italien-Spezialist Ian D’Agatha zählt den „Barolo des Südens“, wie man den Aglianico gelegentlich bezeichnet, neben Nebbiolo und Sangiovese zu den drei besten Rebsorten Italiens.

Der Paterico des Gian Luca Mazzella

Angesichts dieser Voraussetzungen ist es verwunderlich, dass es bisher kein Aglianico geschafft hat, sich dauerhaft in der internationalen Weinelite zu platzieren. Immerhin gab es insbesondere von der DOC Taurasi Weine, die bereits Schlagzeilen produziert hatten. So hatte Antonio Galloni dem Taurasi Riserva 1982 vom Weingut Mastroberardino im August 2010 auf „Robert Parker՚s Wine Advocate“ 97 Punkte verliehen. Dazu nannte er ihn mit den 1982 Barolos von Giacomo Conterno und Bruno Giacosa sowie den Brunellos von Gianfranco Soldera und Pertimali in einem Atemzug. Auch meine Kollegen von „FINE – Das Weinmagazin“ hatten bereits legendäre Taurasi-Proben veranstaltet. Gian Luca Mazzella, ehemaliger Weinjournalist, Weinberater und mit familiären Wurzeln in Kampanien, beschäftigte sich dann ausführlich mit der Region. Schließlich kaufte er 3,5 Hektar Weinberge mit altem Aglianico (später pachtete er noch 2,5 Hektar hinzu) und baute ein kleines Weingut. Von der Ernte 2019 füllte er dann im September 2023 seinen ersten  Wein, den Paterico.

Gian Luca Mazzella hat sein Projekt, da schlägt der ehemalige Theologiestudent durch, sehr wortreich in Szene gesetzt. So gibt es ein „Manifest“ von ihm, quasi sein „Credo“, das ausgiebig von seiner persönlichen Leidenschaft erzählt. Und das vielleicht noch überzeugender gewesen wäre, wenn der visionäre Gestus etwas weniger pathetisch vorgetragen worden wäre. Und sich in ihm weniger Marketing-Blingbling von der Sorte „Wine making is a journey“ finden würde. Denn Mazzella hat tatsächlich ein paar Argumente auf seiner Seite. Zunächst ist der Aglianico die am spätesten ausreifende Traubensorte Italiens, mit Ernten bis weit in den November hinein, was Aromen- und Phenol-Bildung sehr unterstützt. Zudem wachsen seine Trauben in der Unterzone Irpinia auf gut 500 Metern Höhe in relativer Kühle. Die Reben sind alt, in einer Parzelle stehen sogar 111-jährige ungepfropfte Reben der Prä-Phylloxera-Zeit. Im Keller wird nicht-interventionistisch gehandelt, neue Barriques kommen nicht zum Einsatz.

Die Verkostung der 2019er

Mazzellas deutscher Importeur WeinArt hatte nun Winzer und Wein nach Deutschland eingeladen. Ziel war es zu zeigen, wie der Paterico als erster moderner Fine Wine Süditaliens mit den Spitzenweinen Europas mithalten kann. Um es gleich vorwegzunehmen: Es misslang. Aus verschiedenen Gründen. Zum einen hatte WeinArt eine sehr beeindruckende Phalanx von Weinen aus Frankreich, Italien und Spanien aus dem gleichen Jahrgang 2019 aufgeboten. Sie verkörperten auf ihre Art allesamt den önologischen State-of-Art. Das begann bei einem sehr starken Bordeaux-Pärchen. Montrose war bereits ein ziemliches Statement, sehr definiert, dabei dicht und kraftvoll, aber warm und nahtlos gefügt. Haut-Brion dann weniger wuchtig, fast leichtfüßig, aber delikat und wunderbar komplex. Ornellaia vermittelte mit seiner luxuriösen Textur eine Idee von „Neuer Welt“. Solaia war dann noch einmal wärmer, mit weicher Säure und stärker vom Neuholz geprägt. Nach etwas Belüftung folgte spektakulär der Pingus. Ein Elixir von reinstem Samt, mit Tanninen nicht von dieser Welt.

Und der Paterico? Dicht, kraftvoll und auf seine Weise auch komplex. Aber ein Wein wie aus einer anderen Epoche: mit Phenolik und Säure bis zum Anschlag. Und ohne Gleichgewicht und Eleganz. Der Winzer selbst verweist stolz auf die ultra-niedrigen Ernteerträge von 9 bis 11 Hektoliter pro Hektar. Und er erwähnt die enorm lange Mazeration von vier Monaten mit mehrfach täglichem Überpumpen des Mostes und Unterstoßen des Tresterhutes. Das Resultat sind beeindruckend konzentrierte Weine, die aber außer Balance geraten sind. Das war einmal Trend in den Neunzigern – während heute Finesse und eine perfekte Textur dank ausgeklügeltem Phenolmanagement an erster Stelle stehen. Zudem zeigte der Wein Spuren von flüchtiger Säure und gar eine leichte Aceton-Note, auch das heute ein No-Go. Geradezu als Gegenentwurf präsentierte sich dann ein Vosne-Romanée Aux Brulées von Méo Camuzet, einer der schönsten Weine der Probe. Ein Burgunder voller Frische, der Vielschichtigkeit und Komplexität mit enormer Trinkfreude verband.

Das Folgejahr 2020

Zum Essen gab es dann ein Fassmuster des zweiten Jahrgangs Paterico 2020. Wie sein Vorgänger ist er ein klassischer Taurasi Riserva DOCG und muss eigentlich vier Jahre reifen – die Zeit hatte er noch nicht hinter sich. Der Wein ist ein deutlicher Schritt nach vorne für das Weingut, gezähmter im Tannin und der Säure, fleischiger und gleichsam „entspannter“ in der Aromatik. Auch der direkte Vergleich war einfacher: Der würzige Clos de la Roche aus dem gleichen Jahr von Felettig in der Magnum brillierte mit seinen etwas rauen Tanninen nicht in dem gleichen Maße wie der Méo-Camuzet. Die gut gereifte Doppelmagnum (!) Château Cheval-Blanc von 1999 erinnerte schließlich daran, dass der „Proof of Time“, der Nachweis guten Alterns, zu den nicht-hintergehbaren Bedingungen von Fine Wine gehört.

Die Probe hinterließ (nicht nur) mich einigermaßen ratlos. 3.151 Flaschen sind vom 2019er-Jahrgang gefüllt worden. Der Preis in Deutschland für Endkunden beträgt bereits für den Premierenjahrgang um die 350 Euro. Aus dem Stand auf das Preisniveau von einigen von Europas Topweinen zu kommen ist eine relativ junge Pricing-Strategie. Früher mussten Winzer „exotischer Potential-Rebsorten“ wie beispielsweise Sagrantino oder Tannat Jahre oder gar Jahrzehnte dafür kämpfen, bis ihre Top-Cuvées die 100-Euro-Schwelle überspringen konnten. Zudem hat das Luxus-Segment derzeit schwer zu kämpfen, wie die Liv-ex-Auswertungen der letzten Quartale zeigen. Keine einfache Zeit für Neueinsteiger.

Auf der anderen Seite ist es sicher zu früh, bereits den Stab über den Paterico zu brechen. Als Moët Hennessy den ersten Jahrgang 2013 des Ao Yun aus dem chinesischen Yunnan präsentierte, konnte niemand ahnen, wie gut sich der Wein in späteren Jahrgängen entwickeln sollte. Hinter dem Paterico steht freilich kein Konzern mit tiefen Taschen, immerhin aber auch Leute mit Sachverstand, die an ihn glauben. Es ist Gian Luca Mazzella zu wünschen, dass er über die Standfestigkeit verfügt, noch über viele Jahre an seinem Wein zu arbeiten. Auf eine Vertikale in zehn Jahren wäre ich gespannt!

Bildrechte

Time Tunnel Images / Stefan Pegatzky

Kommentar

Your email address will not be published.

Zuletzt gepostet