200 Jahre Cognac Delamain

In der neunten Generation familiengeführt, feierte das kleinste der großen Cognac-Häuser 2024 seinen 200. Geburtstag. Der Höhepunkt der Feierlichkeiten: die Enthüllung der Édition Rare du Bicentenaire. In diesem Cognac fasst die Maison nicht weniger als die Essenz seiner Geschichte zusammen. Sur-la-pointe war zum Geburtstag eingeladen und tauchte tief hinab in die Geheimnisse der Cognac-Produktion.

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„Was ist die Zeit?“ hatte Thomas Mann in seinem Roman „Der Zauberberg“ gefragt und geantwortet: „Ein Geheimnis – wesenlos und allmächtig“. Über das Geheimnis der Zeit muss man jedenfalls viel nachdenken, wenn man nach Jarnac reist, neben Cognac selbst eines der wichtigsten Zentren der Cognac-Produktion. Dort nämlich scheint sie zunächst wie stehen geblieben. Die Gässchen des knapp 4.000 Einwohner großen Ortes mit ihren eng an eng stehenden Hausfassaden aus gelb-grauem Sandstein haben sich seit dem 18. Jahrhundert kaum verändert. Der zentrale Eingang zu Delamain & Cie. ist an Understatement kaum zu übertreffen. Tatsächlich ist das Haus eines der exklusivsten im Charentais. Seine Produktion beginnt da, wo sie bei den meisten bereits aufhört: den XOs, also den extra-alten Cognacs. Auf die Frage nach dem Wesen des Hauses Delamain angesprochen, antwortet Etienne Bizot, der Chef des Verwaltungsrates: „Delamain versteht es, der Zeit Zeit zu geben.“

Die Geschichte

Aber der Reihe nach. Nicht nur seine Cognacs, auch das Haus Delamain selbst hat eine lange Geschichte. Und sie beginnt schon deutlich vor 1824. Die erste entscheidende Wegmarke der Familiengeschichte ist jedenfalls die Emigration von Nicolas Delamain aus dem Cognac-Gebiet.  Aufgrund der Verfolgung und Repressalien der Hugenotten in Frankreich gelangt er zunächst nach England und lässt sich dann in Irland nieder. Erst 1759 kehrt James Delamain wieder in die Charente zurück. Dort heiratet er 1763 Marie Ranson und gründet zusammen mit seinem Schwiegervater Isaac Ranson die Firma Ranson & Delamain. Die Umwälzungen der Revolutionszeit, vor allem aber das neue Erbrecht des Code Napoleons, der zum Streit der zahlreichen Erben des Unternehmens führt, münden 1817 in den Bankrott. Mit seinen Cousins von der Familie Roullet gründete Henry Delamain, der Enkel von James, dann 1824 das Unternehmen Roullet und Delamain. Es ist der Beginn des heutigen Cognac-Hauses.

Charles Braastad
Charles Braastad, seit 2024 Kellermeister (Maitre du chai)

Vier Generationen lang bleibt diese Konstruktion unverändert, bis 1920 Jacques und Robert Delamain die Anteile der Roullet-Familie aufkaufen und dem Haus ihren heutigen Namen geben. In dieser Zeit glänzen die Vertreter der Familie auch intellektuell. Maurice Delamain wird 1921 Verleger von „Stock, Delamain & Boutelleau“ und publizierte US-Autoren wie Thomas Wolfe auf Französisch. Der Ornithologe Jacques Delamain schreibt den Klassiker „Warum Vögel singen?“ (1928), Robert die nach wie gültige „Histoire du cognac“ (1935). In den frühen 1990er-Jahren gerät das Haus aber wegen steigender Trauben- und Branntweinpreise in Schieflage. 1994 steigt die befreundete Familie Bollinger vom gleichnamigen Champagnerhaus als Teilhaber ein, 2017 übernimmt sie über die Société Jacques Bollinger die vollständige Kontrolle. Geführt wird das Haus aber weiterhin von Mitgliedern der Familie. Charles Braastad, dessen aus Norwegen stammender Großvater France Delamain geheiratet hatte, wurde 2017 Geschäftsführer und löste im März 2024 den langjährigen Kellermeister Dominique Touteau ab.

Das Haus und seine Stilistik

Geschäftsführer Eric Le Bouar vor dem Jahrgang 1947 im Chai du Prieuré

Bereits 1920, im Jahr der Umbenennung zu „Delamain & Cie.“, schufen Robert und Jacques Delamain die Cuvée Pale & Dry. Sie ist der Signature Brand des Hauses und macht gut 80 Prozent von dessen Produktion aus. An ihr zeigen sich bereits die wichtigsten Charakteristika der Marke. So produziert Delamain ausschließlich XO-Cognacs oder Qualitäten darüber. Die gesetzliche Vorschrift (seit 2018) eines Mindestalters von zehn Jahre übertrifft der freilich um das Doppelte. „Pale“, also bleich, bezieht sich auf den Umstand, dass Delamain ausschließlich mit gebrauchten französischen Eichenfässern arbeitet, die kaum Farbe und nur wenig Tannine abgeben. Zuckercouleur wird ebenso wenig benutzt wie süßender Zuckersirup (deswegen „dry“). Delamain war lange Zeit ausschließlich ein Négociant, der sich darauf beschränkt hatte, mindestens zehn Jahre alte Destillate von Cognac-Brennern aufzukaufen. Nicht auf Basis langfristiger Verträge, sondern ausschließlich nach vorheriger Verkostung! Hierbei kommen noch heute ausschließlich Brände aus dem Herzen der Region, der „Grande Champagne“ infrage.

Dominique Touteau entnimmt Cognac von 1965

Seine Aufgabe sieht Delamain dann nach der Selektion in erster Linie im Ausbau und der Verschnitt der Brände. So ist das Haus mit den Worten des früheren Direktors Alain Brastaad, der Meinung, dass frisch destillierter Cognac gerade einmal „für 25 Prozent der Qualität des späteren Produkts“ stehe. Neben der Qualität der Fässer kommt daher dem Ort der Reifung eine besondere Bedeutung zu. Bei Delamain handelt es sich dabei um sieben verschiedene Keller („Chais“) in und bei Jarnac, die sich hinsichtlich wesentlicher Faktoren grundsätzlich unterscheiden. Etwa hinsichtlich der Nähe zum Fluss Charente (Feuchtigkeit). Oder der Verteilung von Tages- und Nachttemperaturen bei Kellerräumen beziehungsweise höheren Stockwerken. Eine Besonderheit bei Delamain ist die Verwendung von „vielles faibles“ („alten, schwachen“) zur Alkoholreduzierung der Destillate. Weil einfaches destilliertes Wasser „die Feinheit und die Balance zerstören würde“, verdünnt das Haus sehr langsam mit einer 15-Prozent-starken Mischung aus Wasser und alten Cognacs.

Die neuen Cuvées

L’Édition Rare du Bicentenaire

Jahrzehntelang bestand Delamains Portfolio im Pale & Dry sowie den älteren und teureren Cuvées Vesper, Très Vénerable und Réserve de la Famille. Mit der Übernahme durch Bollinger 2017 erweiterte sich der Fokus. So kaufte das Haus 2019 erstmals in seiner Geschichte 20 Hektar Weinberge (La Rambaudie, Montplaisir, La Sentinelle und Les Grands Champs) nahe Bellevigne und Malaville im Herzen der Grande Champagne. Hiervon produziert das Haus unter dem Titel Pléiade eine Reihe von Single-Barrel-Abfüllungen. Als eines der ganz wenigen Cognac-Häuser besaß Delamain darüber hinaus das Recht der Produktion von Jahrgangscognacs, bevor die Regularien 1988 geöffnet wurden. Daher hatte das Haus bereits in den Sechzigerjahren einen Vintage-Keller bauen lassen. Hier lagern mit Wachs verschlossene Fässer mit Jahrgangsdestillaten. Und die größte Kostbarkeit: 10-Liter-Glasballons (Dames-Jeannes) mit sehr alten Cognacs, die ihre Reifung im Holz abgeschlossen haben. Um den Chai Millésimé für die Geburtstagsgäste zu aufzuschließen, musste eigens ein Mitarbeiter der Aufsichtsbehörde BNIC anreisen. Tatsächlich gibt es nur alle paar Jahre einen Jahrgangscognac von Delamain.

Zum zweihunderten Geburtstag zeigen zwei neue Cuvées aber auch noch einmal Delamains außerordentliche Kompetenz in der Assemblage alter Brände. Einmal der L’Oiseau Rare, quasi ein Abschiedsgruß des in diesem Jahr in den Ruhestand gewechselten Kellermeisters Dominique Touteau aus sehr alten Cognacs. Und dann vor allem in L’Édition Rare du Bicentenaire. Sie enthält fünf Destillate aus den Jahrgängen 1893, 1914, 1947, 1965 und 1969. Und zwar nicht nur Tropfen, sondern mindestens 15 Prozent von jedem Jahrgang.

Bei unserem Besuch verkosten wir in einer Tour durch die verschiedenen Keller die vier ältesten Jahrgänge separat. Es ist eine Meditation über die Wirkung der Zeit. Und eine faszinierende Reise in ein aromatisches Universum, wie es nur Cognac bietet. Von einer letzten Ahnung frischer Früchte über Dörrobst, Nüsse, „beurré“-Noten bis hin zu den oxidativ-komplexen Aromen des Rancio Charantais. 200 Flaschen gehen in den Verkauf (zu je 6.000 Euro). Eine vom Pariser Juwelier Goosens dekorierte Dame-Jeanne wurde bei Bonham’s für 93.000 Euro versteigert.

Bildrechte

Stefan Pegatzky / Time Tunnel Images

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