Geschichte
Weine aus der Côte de Sézanne werden bereits im Mittelalter genannt, und bis zur Reblauskrise wanderten sie in viele Cuvées der großen Markenchampagner. Danach brach der Weinbau in den 12 Gemeinden im Süden der Appellation ab und wurde erst in den 1960er-Jahren wieder aufgenommen. Einer der Vorreiter war die „La Crayère“ genannte Kooperative von Bethon, die 1963 von 27 Winzern der Region gegründet wurde, darunter ihr erster Präsident André Vandier sowie die Comtesse de Reviers, Erbin der Hauses Le Brun de Neuville und des Schlosses von Bethon. Die Genossenschaft gedieh und verkaufte ihre Grundweine an Maisons wie Charles Heidsieck, Veuve Clicquot und Bollinger für deren Blanc de Blancs. Ab 1972 wurden eigene Champagner unter dem Namen Le Brun de Neuville vertrieben. Heute machen die etwa 300.000 unter diesem Namen etikettierten Flaschen etwas ein Drittel der Produktion aus.
2008 markierte dann einen Umbruch, als Damien Champy (seit 2020 auch Generalsekretär des Winzerverbands der Champagne, SGV) Dominique Barrat als Präsidenten ablöste. Unter Champy wurde das Volumen reduziert, das Handelsmarkengeschäft beendet und zog man sich aus den Supermärkten zurück. Stattdessen konzentrierte sich der Keller auf Qualität und der Vertrieb auf Restaurants und Fachhandel und intensivierte das Exportgeschäft. 2010/11 wurden der Weinkeller und die Gärkellerei vergrößert und ein Lagerkeller für Weine in Fässern eingerichtet. Seit 2019 hat sich das Haus neu ausgerichtet – nicht nur optisch, sondern auch mental. So sollen nicht mehr die Négociants, sondern die eigenen Winzergrundsätze als Vorbild dienen. Der für 2020 geplante Bau eines neuen Kelterzentrums, der die getrennte Verarbeitung nach einzelnen Crus vorsieht, wurde wegen Corona verschoben, soll aber im Oktober 2023 nachgeholt werden.
Stilistik
Seit 2020 besitzt die Kooperative Mitglieder in allen 12 Gemeinden des Sézannais, für Damien Champy eine Art „territorialer Grand Slam“. Tatsächlich ist das Sézannais geologisch so etwas wie die Verlängerung der Côte des Blancs, einer Bruchfalte aus Campanien-Kreide, die als idealer Untergrund des Chardonnays gilt. Entsprechend begehrt sind die Trauben. Doch es gibt Unterschiede: Die Côte des Blancs ist nach Osten gerichtet, die Côte de Sézanne blickt nach Südosten. Das heißt, dass die Trauben reifer und fruchtiger werden, die Weine cremiger. Die Gemeinde Villenauxe-la-Grande liegt bereits außerhalb des Departements Marne in der Aube – aber mit diesen südlichsten Weinen der Champagne haben die aus dem Sézannais nichts gemein, sie ähneln eher denen aus Montgeaux. Neben 85 Prozent Chardonnay sind vor allem Pinot Noir und Pinot Meunier (13 und 2 Prozent) bepflanzt. Bewirtschaftet wird zunehmend ohne Herbizide, teilweise VDC-zertifiziert.
Noch unter Chef de Cave Gilles Baltazart wurde eine Terroir-Strategie bei Le Brun de Neuville gestartet, um die Herkunft der Weine zu unterstreichen. Durchgängige Charakteristika sind nun die Verwendung eigener Hefen, ein Hefelager von mindestens vier Jahren, ein pragmatischer Einsatz der malolaktischen Gärung und Reservewein-Anteile zwischen 25 und 40 Prozent. Die Weine lagern in Kellern von mehr als 15 Metern Tiefe und kommen erst sechs Monate nach dem Degorgieren und einer mittleren Dosage-Zugabe in den Verkauf.
Abgesehen davon, bedient sich das Haus dabei je nach Produktlinie ganz unterschiedlicher Mittel. Gedacht als Aperitif, wird bei den Côte-Champagnern vor allem mit temperaturgesteuertem Edelstahl gearbeitet. Die Reihe Les Chemins ist strukturierter und mehr auf die Gastronomie ausgerichtet. Hier kommen auch unterschiedlich große Holzgebinde, Naturkorken bei der zweiten Fermentation und teilweise eine Solera zum Einsatz. Die Autolyse-Reihe setzt dann auf sehr lange Hefelagerung und überwiegenden Verzicht derMalo. Cyril Delannoy, neuer Chef de Cave seit März 2023, hofft, im neuen Keller auf kleinere Pressen umsteigen zu können, um dann bei der Assemblage mit noch mehr unterschiedlichen Grundweinen von kleineren Parzellen arbeiten zu können.
Portfolio
Das Angebot hat sich in den letzten Jahren deutlich verändert: Zunächst geprägt von einer klassischen Aufteilung Brut, Rosé, Blanc de Blancs, Brut millésimé und den Prestige-Cuvées „Lady de N“ nach dem Vorbild der Grandes Marques wurden 2008 die beiden jahrgangslosen Reihen Tradition und Authentique eingeführt. 2020 wurde aus Tradition die Linie Côte, die das Terroir des Sézannais widerspiegeln soll: als Extra Blanc aus 100 % Chardonnay, 5 Jahren Hefelagerung und mit 4 Gramm Dosage, dem Klassiker Côte Blanche, ebenfalls ein Blanc de Blancs, Côte Rosée (48%Ch, 32%PN, 20% PN als Rotwein), Côte Brute (68% Ch, 32% PN) sowie Douce Côte mit 35 Gramm Dosage.
Die Linie Authentique heißt nun Les Chemins und ist geprägt durch traditionelle Porduktionsmethoden wie die Vergärung mit autochthonen Hefen, Zugabe der Reserve aus einer Solera und Reifung unter Naturkorken. Das Trio besteht aus Le Chemin Empreinté als Blanc de Blancs, La Croisée des Chemins (75% Ch, 25% PN) sowie dem Rosé Au Bout du Chemin (60% Ch, 25% PN, 15% PN als Rotwein). Darüber steht die Autolyse-Reihe, die Lady de N abgelöst hat: Champagner, die sehr lange reifen und von den dabei entstehenden Hefearomen geprägt werden. Diese bildet ebenfalls ein Trio und besteht aus Autolyse Noirs & Blancs (86% PN, 14% Ch mit aktuell 13 Jahren Lagerung auf der Hefe), dem etwas jüngeren Autolyse Rosée (56% Ch, 26% PN, 20% PN-Stillwein) sowie dem Blanc de Blanc Double Autolyse, dessen Grundweine bereits auf den Hefen ausgebaut worden waren.
Den Millésime schließlich gibt es als Blanc mit sehr hohem Chardonnay-Anteil sowie als Rosé (78% Ch, 2% PN, 20% PN als Stillwein). Zuletzt kamen die Experimentalcuvées Côte à Côte (als Mono-Crus aus Bethon und Villenauxe-la-Grande sowie deren Assemblage als Magnum) hinzu. Ein Rosé de saignée sowie Champagner aus Pinot Blanc und Arbane sind in Vorbereitung.
Verkostung
Auf Champagne Le Brun de Neuville bin ich 2017 erstmals aufmerksam geworden, richtig beeindruckt haben mich ihre Champagner seit 2021. In der Form, in der ich sie ab 2022 verkostet habe, hätte ich sie bereits auch in mein Buch aufgenommen. Die neue Linie habe ich mehrfach verkostet, für diesen Beitrag und die Verkostung hat mir das Haus zu jeder Linie einen Champagner zugeschickt: Den Beginn macht Côte Blanche Brut aus dem Basisjahr 2018 mit 25 Prozent Reserveweine, ausgebaut sowohl im Holz wie im Edelstahl mit teilweise abgelaufener Malo. Floral und zitrisch in der Nase, schlägt der heiße Jahrgang 2018 erst am Gaumen durch. Reich, fast üppig und mit sehr cremigem Mundgefühl ist dies ein Champagner für Hedonisten (89 P.).
Es folgt Le Chemin Empreinté Extra Brut, ein Jahr älter, ebenfalls aus Stahl und Holz bei partieller Malo. 2017 gilt als schwierig, und der Champagner ist deutlich karger. Aber auch säurebetonter, kalkiger, salziger und transparenter. Deutlich stärker (92 P.). Der Autolyse Noirs & Blanc Brut stammt zu 88 Prozent aus dem Ausnahmejahr 2008 (komplette Malo). Hier offenbart sich der Pinot in seiner fleischigen Art und dunklen Charakteristik. Gleichzeitig wirkt der Champagner verschlossen und fast abweisend. Andererseits spielt die Farbe bereits ins Dunkelgold und sind Reifenoten schmeckbar. Das macht die Prognose schwierig (91 P.) Der Millésime 2012 Extra Brut strahlt dagegen in voller Entfaltung. Er besteht aus 97 Prozent Chardonnay und 3 Prozent Pinot Noir, auch hier wurde die Malo nicht blockiert. Sehr klassisch und reich, aber auf pure, feine Art und Weise. Ein wunderbarer Botschafter des Sézannais (93 P.). Degorgierdaten: April, Juni und Februar 2022, der Vintage im März 2021.
Bildrechte
Beitragsbild: [César-François Cassini de Thury] : Generalkarte von Frankreich. N°45, Flle 4 [Meaux]. Bibliothèque nationale de France
Alle übrigen Fotos: Stefan Pegatzky / Time Tunnel Images
Mehr zum Thema und einführende Informationen:
Stefan Pegatzky: Champagner: Die 100 wichtigsten Maisons, Winzer und Kooperativen.
240 Seiten, zahlreiche Abbildungen.
Wiesbaden: Tre Torri Verlag, 2001.
Ausgezeichnet als bestes Weinbuch des Jahres 2021 mit dem Deutschen Kochbuchpreis in Gold