Kubanischer Rum hat eine lange Tradition, in die sich wie in nur wenige Spirituosen die Zeitgeschichte eingeprägt hat. Die Marke Havana Club wurde 1935 gegründet, geht in ihren Ursprüngen aber auf das Jahr 1878 zurück. 1960 verstaatlicht, kam es 1993 durch ein Joint Venture mit Pernod Ricard quasi zur Wiedergeburt. Heute wird der Rum in zwei eigenen Destillerien auf der Antilleninsel produziert: Santa Cruz del Norte und San José. Für die Kontinuität des Produkts durch die Wechselfälle der Geschichte hindurch steht das „Movimiento de Maestros del Ron Cubano“, das ihre Tradition auf den Beginn des kubanischen Rum-Stils im Jahre 1862 zurückführt. 2022 hat die UNESCO das Wissen dieser Rum-Meister in die Liste des immateriellen Weltkulturerbes aufgenommen. Asbel Morales, Maestro del Ron Cubano von Havana Club, ist einer von ihnen.
SLP: Herr Morales, ich würde gerne mit Ihnen persönlich beginnen. Wie sind Sie der geworden, der Sie heute sind? Wie war Ihr Weg in die Rum-Branche?
AM: Oh, das ist eine lange Geschichte, dazu gehören schließlich 37 Jahre Leben im Beruf. Als Kind hat man viele Träume, über das, was aus einem werden soll. Pilot vielleicht, oder Entdecker? Wenn man aufwächst, bietet das Leben dann andere Optionen. Bevor ich auf die Universität gegangen bin, wollte ich eigentlich etwas ganz anderes werden. Wir mussten damals nach der Oberschule mehrere Studienwünsche angeben. Auf Platz 1 gab ich Bergbauingenieur an. Als zweite Option ein Studienfach namens „Spirituosen und Getränke“, auch wenn ich wenig darüber wusste. Für mich war es das Beste, denn ich stamme aus einem Zentrum der Zuckerindustrie, es gibt dort Rum-Brennereien und einen sehr entwickelten Sektor. Ich ging also nach Havanna an die Universität und direkt im Anschluss wechselte ich an eine Brennerei. Dort verliebte ich mich regelrecht in die Arbeit.
Sie hatten unerwartet Ihre Berufung gefunden?
Ich hatte zwar eine Idee, von dem, was mich erwartet, aber es ist dann völlig anders, wenn du dann mit der Arbeit beginnst. Ich war überrascht und wurde mir mehr und mehr meiner Fähigkeiten bewusst. Das erlaubte mir, sehr nahe an der Produktion zu sein, an all den verschiedenen Stadien der Rum-Herstellung. Nach einigen Jahren Arbeit sprach mich dann einer der damaligen Rum-Maestros an. Tatsächlich war es der wohl wichtigste zu seiner Zeit, Premio Maestro Don José Navarro. Er fragte mich, ob ich Teil eines kleinen Personenkreises sein wollte, aus dem heraus man die zukünftigen Maestros rekrutieren würde. Da wurde mir klar, dass man meine Arbeit seit langer Zeit beobachtet hatte. Natürlich habe ich ja gesagt.
Waren Sie damals schon auf einen bestimmten Teil der Rum-Produktion spezialisiert?
Während der Ausbildung in einer Rum-Brennerei gibt viele Zwischenstationen, die späteren Maestros gehen durch sämtliche diese Stationen. Wir haben zunächst die Destillerie selbst, wo Fermentation und Destillation stattfinden. Das Resultat hiervon ist das Aguardiente, diese kommen dann in den Reifekeller. Die Brände verbleiben in der Destillerie nur eine sehr kurze Zeit. Im Gegensatz zum Reifekeller, wo sie für mehr als zwei, fünf, zehn, 20 und mehr Jahre verbleiben. An diesem Ort verbringen auch die Maestros mehr Zeit, um Informationen zu sammelnd. Zum Zeitpunkt des Kontakts mit Don Navarro arbeitete ich im Reifekeller. Damals bekam ich von ihm so etwas wie eine Hausaufgabe. Danach schloss ich alle weiteren Vorbereitungsstationen ab. Ich wurde „Maestro in formatíon“, Meister in Ausbildung. Wir haben dafür das Wort: „Aspirante“. Das war ich für etwa zehn Jahre. Insgesamt hat meine Ausbildung 15 Jahre gedauert.
Gab es in all dieser Zeit einen Kontakt zu Don Navarro? Und fand das bereits bei Havana Club statt?
Ja, permanent, er wurde mein Mentor, wie ich dann wiederum Mentor von Aspirantes wurde. Aber das war noch nicht in der Destillerie, die wir heute haben. Bevor Pernod Ricard 1993 das Joint Venture mit der Corporación Cuba Ron begonnen hatte, hat nicht eine Destillerie einen bestimmten Rum produziert. Alle kubanische Brennereien produzierten damals alle Brands gemeinsam. Erst im Jahr 2000 haben wir damit begonnen, ausschließlich für Havana Club zu produzieren. Als Aspirante war ich im Zentrum der Insel beschäftigt, nicht in Santa Cruz. Um das Jahr 2000/2001 entschieden die Maestros, und allen voran Don Navarro, das ich reif genug war, auch ein Maestro zu werden. Dann wurde ich ausschließlich Havana Club zugeteilt und kam zunächst nach Santa Cruz.
Wurde damals Havana Club im Grunde neu erfunden?
Ja und nein. Die Produktion wurde auf eine Destillerie konzentriert, aber das Konzept des Rums hat sich nicht geändert. Dazu gehört als Erstes natürlich: Das Rohmaterial ist Melasse, die wir von den Zuckerproduzenten bekommen. In Kuba sind Zucker und Rum zwei unabhängige Industrien. Beim Prozess der Zuckerherstellung fallen sehr unterschiedliche Melasse-Arten ab, aber wir als Brand haben einen strengen Auswahlprozess für hochwertige Molasse, die wir in der Destillerie benötigen. Dort haben wir dann einen ganz besonderen Prozess, diese Melasse in zwei Destillate zu transformieren. Einmal das sogenannte Aguardiente, das einen Alkoholgehalt von 74 bis 76 Prozent hat, und aromatischer ist. Und dann das „Destillado de cana“ (Zuckerrohrdestillat) mit einem sehr hohen Alkoholanteil, aber leichter in seinen aromatischen Bestandteilen. Dabei ist die Fermentation, übrigens mit unseren eigenen Hefestämmen, sehr kurz und dauert nur knapp einen Tag. Danach kommt es zur kontinuierlichen Destillation in unseren Brennsäulen („column stills“).
Das ist der kubanische Stil, der „Ron legero“ …
Um den zu verstehen, müssen wir zurück in die Geschichte schauen. Historisch war Rum oder besser seine Vorläufer, zunächst quasi illegal produziert worden, von Sklaven beispielsweise oder Piraten. Irgendwann hieß das Produkt dann Rum, aber es war noch lange kein gesellschaftsfähiges Produkt. In Jamaika etwa fermentiert der Zucker zwischen einer Woche und einem Monat und wird in Pot Stils gebrannt. Hier kam es auf eine möglichst hohe Menge an Ester-Verbindungen an. Das war der „Ron pesado“, der schwere Rum. Die Kunst, Rum reifen zu lassen, den rauen Brand weich werden zu lassen, komplex und delikat, wurde in Kuba kreiert. Dazu gehört etwa auch der Einsatz von gebrauchten Fässern. In der Folge kamen dann neue Methoden und Technologien, bis wir dort ankamen, wo wir heute stehen. Das ist die Geschichte der Verfeinerung des Rums, sodass wir heute auf Augenhöhe mit besten Cognacs oder Whiskys stehen.
Eine kubanische Besonderheit ist auch die Kunst des Reifens und Blendens.
Ja genau. Die Destillate wandern direkt zur Reifung in gebrauchte Holzfässer aus weißer amerikanischer Eiche. Gesetzlich benötigen die Aguardientes zwischen sechs Monaten und einem Jahr, um als Rum klassifiziert zu werden. Wir gehen einen Schritt weiter und lassen sie zwei Jahre reifen. Nach einer Reinigung durch Kohlefilter werden sie mit den hochprozentigen Destllaten geblendet und kehren dann wieder zurück ins Fass. Der Brennmeister kann dabei entscheiden, wie viele Optionen er haben möchte, in dem er Aguadientes und High-Proof-Destillate in unterschiedlichem Verhältnis verschneidet. Und beim finalen Blenden kann er natürlich zwischen verschiedenen Altersstufen wählen.
Das ist die Geschichte der Verfeinerung des Rums, sodass wir heute auf Augenhöhe mit besten Cognacs oder Whiskys stehen.
Asbel Morales, Maestro del Ron Cubano
Zudem spiele ich mit dem Alter der Fässer und deren Position in den verschiedenen Fasslagern. Dort variiert die Temperatur und die Feuchtigkeit teilweise deutlich. Und dann wenden wir einen Prozess an, den wir als „Total Ageing“ bezeichnen. Es ist anders als das Solera-Verfahren. Wir füllen ein Fass mit zweijährigem Basis-Blend, dann extrahieren wir diese Basis nach einer gewissen Reife und füllen das Fass mit frischer Basis. Ein Teil des entnommenen Rums geht in den Verkauf, ein anderer reift weiter in anderen Fässern. So haben wir haben eine kontinuierliche Reifung und schaffen einen Kreislauf. Das steht in der kubanischen Tradition, zeichnet aber Havana Club besonders aus. Ich selbst überwache alle diese Blends, wobei mir eine Top-Ausstattung zur Verfügung steht, um sie technisch zu analysieren. Aber alle Blending-Entscheidungen werden durch uns und unsere Sinne bestimmt.
Wie wirkt sich der Klimawandel auf die Rum-Produktion aus? Neulich habe ich gelesen, dass die globale Bananenproduktion durch die Erwärmung gefährdet ist. Gibt es einen solchen Alarm auch beim Zuckerrohr?
Glücklicherweise ist Zuckerrohr eine recht resiliente Pflanze. Und wir arbeiten nicht mit einem Direktprodukt wie Bananen oder gar Weintrauben, sondern mit Melasse, also einem Sekundärprodukt. Natürlich gibt es auch Auswirkungen des Klimawandel auf die Zuckerindustrie und damit auch auf die Melasse. Aber wir haben die Möglichkeit, die Profile des Ausgangsstoffes, den wir benötigen, anzupassen. Wie den Säurewert, da passen wir etwa das Blending entsprechend an. Wir können das ausbalancieren. Was wir nicht ändern können, sind die Hefen oder Design und Material der Destilliersäule, denn das Kupfer ist als Material notwendig.
2020 verstarb Don Navarro. Sie sind nun so etwas wie sein Erbe und ein Hüter der Tradition des kubanischen Rums. Aber Innovation ist Ihnen ebenso wichtig?
Das war schon bei Don Navarro so, so bedeutend das Erbe auch für ihn war. In seiner Zeit war er sehr innovativ. In den Siebzigerjahren hat er die kontinuierliche Reifung erfunden. Er kreierte den Havana Club 7 años. Aber in den letzten 30 Jahren hat sich der Rum stark verändert, der Wettbewerb hat enorm zugenommen. Junge Konsumenten erwarten etwas Neues, was sich vom Alten abhebt. Zum Beispiel das Thema „Finish“. Es ist unsere Aufgabe, das Konzept des „Finish“ in die kubanische Rum-Industrie einzuführen. Aber wir haben auch neuartige Produkte geschaffen. Aber all das Neue bleibt im Rahmen des traditionellen Art und Weise, kubanischen Rum zu produzieren. Es ist eine Evolution, die auf einer Weitergabe von Tradition beruht.
Für Havana Club arbeiten mehrere Maestros Roneros. Sie sind vor allem für alte Rums verantwortlich?
Von den neun Maestros Roneros, darunter übrigens auch Frauen, arbeiten vier für Havana Club, dazu noch einer von fünf Aspirante derzeit. Die anderen Havana-Club-Kollegen arbeiten in Santa Cruz del Norte. Ich und ein weiterer Maestro arbeiten heute in San José de las Lajas, 40 Kilometer südöstlich von Havanna. Unsere Arbeit ist den „dunklen Rums“ gewidmet. Vor 30 Jahren hat es nur drei Produkte dieser Kategorie bei Havana Club gegeben. Heute sind es mehr als 15.
Kubanischer Rum folgt sehr strikten Regeln, das geht von den kubanischen Zuckerrohr-Klonen und über die Brennvorrichtung bis zu den vorgeschriebenen Fässern aus amerikanischer Weißeiche. Ist das nicht sehr einengend, wenn Sie über Innovationen nachzudenken haben?
Im Gegenteil, wir, die Maestros del Ron Cubano, sind es ja, dies diese Vorschriften formulieren. Zuletzt in der der „Resolucíon 12/2019“. Diese ist kein Hindernis für unsere Kreativität, sondern formuliert unsere Vision.

Wenn Sie über Rum-Innovationen nachdenken, was interessiert Sie, woran arbeiten Sie?
Ich bin es nicht alleine, wir sind ein ganzes Team. Wir haben unterschiedliche Abteilungen, die Produktion und die Brand-Entwicklung etwa. Im Marketing gibt es die Insights-Abteilung. Diese registriert und analysiert neue Tendenzen im Rum- und Spirituosenmarkt. Die Daten bekommt sie von Konsumenten, Bar-Tendern, Sommeliers. Manchmal bittet uns der Konzern dann, eine Lücke in unserem Portfolio zu schließen, oder er fragt uns, ob es sinnvoll und möglich ist, ein bestimmtes Produkt zu machen. Aber auch wir selbst geben Impulse. Beispielsweise die Tributo-Kollektion, die kam von uns, nicht vom Marketing. Bei der Iconica-Reihe ging es dagegen um die Notwendigkeit, den Auftritt im Markt zu ändern. Die einzelnen Rums gab es bereits. Aber die neuen Flaschen sollten besser unterscheidbar sein und die Identität von Havana Club klarer machen. Und das haben wir natürlich alle gemeinsam diskutiert. Meine Rolle wird es aber vor allem sein, nun auch neue Produkte für diese Linie zu erschaffen.

Können Sie schon was verraten? Die Bestandteile dieser Blends reifen sicher alle schon in den Fässern?
Ja, sicher. Wir erhalten beispielsweise auf Reisen manchmal neue Fässer, damit experimentieren wir dann und füllen Basis-Blends hinein. Das hat mit keiner konkreten Anfrage oder Aufgabenstellung zu tun. Aber zehn Jahre später kommt dann vielleicht jemand aus dem Marketing und sagt: „Wie haben die und die Vorstellung oder benötigen dies und das.“ Und dann habe wir etwas parat. Aber diese Experimente benötigen viele Jahre, weil es sich eben um eine natürliche Alterung handelt, die nicht beschleunigt werden kann. Ein aktuelles Projekt ist, dass wir unsere Rums mit anderen kubanischen Ikonen verbinden wollen. Etwa mit Zigarren … Wir haben eine Reihe von Projekten für Iconica in der Pipeline. Aber die Säulen bleiben Seleccíon de Maestros, Gran Reserva Anejo 15 Años und der Máximo Extra Añejo.
Das Interview wurde auf Englisch geführt, wobei Alfredo Guerra vom Englischen ins Spanische und vice versa übersetzte.
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