SLPs Top-10 Champagner von „Einhundert Prozent Champagne“

2022 ins Leben gerufen, fand dieses Jahr die vierte Ausgabe der Fach- und Besuchermesse „Einhundert Prozent Champagne in München statt. Sur-la-pointe war in diesem Jahr zum ersten Mal in vor Ort und war sehr beeindruckt.

7 Minuten Lesezeit
Aurore Casanova

Nun sind in den letzten Jahren in Deutschland einige vergleichbare Messen, Galas oder Festivals entstanden, die sich um Champagner und/oder Schaumwein drehen. Von diesen hat „Einhundert Prozent Champagne“ mittlerweile sicher die größte Bedeutung. Das liegt zum einen an der Teilung der Veranstaltung in einen Publikums-Sonntag und einen Fachbesucher-Montag. Der zweite Grund ist die quasi „zweigleisige“ Organisation der Messe durch den Meininger Verlag als Veranstalter. Denn hinter einem professionellen Event-Team steht mit Sascha Speicher einer der führenden Champagnerkenner Deutschlands, der wie kaum ein zweiter sowohl in der französischen Champagner- wie deutschen Sommelier-Szene vernetzt ist.

Jean-Baptiste Geoffroy

Premiere hatten 2025 sechs sogenannte „Chef’ Tables“, besondere Verkostungen von Champagnerraritäten im kleinen Kreis. Themen waren Top-Cuvées von Champagne Bollinger, Laurent-Perrier, Fleur de Miraval, Roederer, Bruno Paillard und Jacquesson. Weil ich hierüber für den Meininger-Verlag exklusiv berichte, gehe ich auf Sur-la-pointe nicht näher darauf ein. Hier aber zumindest meine Top 10 der allgemeinen Sektion. Wie immer bei Messen habe ich Neuentdeckungen gegenüber Bekanntem bei der Auswahl den Vorrang gegeben. Dies betrifft besonders Champagne Roederer, Leclerc-Briant, Ablelé, Franck Bonville und Le Brun de Neuville, die ebenfalls großartige Champagner präsentierten.

1. Vazart-Coquart Blanc de Blancs Chouilly Grand Cru Special Club 2016

Das 1954 gegründete Champagnerhaus Vazart-Coquart ist ein führender Erzeuger von Winzerchampagner in der Grand-Cru-Gemeinde Chouilly. Es ist einer der wenigen Produzenten an der nördlichen Côte des Blancs, der hier auch etwas Pinot Noir anbaut. Aber im Zentrum steht natürlich der Chardonnay. Für mich war hier der Special Club der Höhepunkt, die Abfüllung für die exklusive Winzervereinigung „Club Trésors de Champagne“. Diese Abfüllungen gelten als die Prestige Cuvées der jeweiligen Mitglieder. In diesem Fall ist es ein Vintage Mono Cru, also Grand Cru Chouilly 2016 aus den Parzellen Le Mont Aigu und La Cerisière. Ausbau im Stahltank, die Malo läuft ab, die Flaschengärung vollzieht sich unter Naturkork. Degorgiert wird per Hand „à la volée“ mit sehr niedriger Dosage (1,1 Gramm). Dies interpretiert die präzise, salzig-kalkige Aromatik eines Blanc de Blancs aus Chouilly gleichzeitig in einer reduktiven wie oxidativen Stilistik. Eine Kombination aus Präzision und Großzügigkeit, die sehr gelungen ist (93 P.).

2. Domaine Vincey Le Mesnil-sur-Oger Grand Cru Auge Blanc de Blancs 2020 Brut nature

Die Domaine Vincey ist ein junges Haus aus einer alten Winzerfamilie in Oger, das seit 2014 eigene Champagner anbietet. Die Besitzer Marine und Quentin Vincey verfügen über 7 Hektar in Oger, Le Mesnil-sur-Oger und Chouilly. Die Flächen werden biodynamisch bewirtschaftet, die Eingriffe im Keller sind so minimal wie möglich. Die Stilistik wird durch die Kreideböden der Côte des Blancs ebenso bestimmt wie durch den Ausbau in Barriques. Es herrscht burgundische Philosophie im Betrieb: eine Rebsorte, eine Lage, ein Jahrgang. Und tatsächlich sind die drei präsentierten Einzellagen beindruckend. Aus 2020 wurden „Le Grand Jardin“ aus Oger sowie „Chemin de Châlons“ aus Le Mesnil-sur-Oger präsentiert. Am stärksten empfand ich den Wein aus dem Lieu-dit Auge in der östlichen Gemarkung von Le Mesnil. In der Nase Zitrus, Äpfel und etwas Vanille – aber auch eine starke Würzigkeit, die sich am Gaumen fortsetzt. Am Gaumen reif und etwas cremig, mit guter Länge (93 P.).

3. Aurore Casanova Le Mesnil-sur-Oger Grand Cru Chardonnay „Malo“ Extra-Brut

Champagne Aurore Casanova ist ein jungen Haus. Aber es verfügt über eine Geschichte, die die Herzen von Journalisten, Händlern und Konsumenten höher schlagen lässt. Denn die gleichnamige Co-Gründerin absolvierte eine internationale Ballett-Karriere, bevor sie in die Champagne zurückkehrte. Ausgebildet an der Weinbau-Schule in Avize, ging sie dann für zwei Jahre bei Fabrice Pouillon in die Lehre. Mit ihrem Partner Jean-Baptiste Robinet gründete sie dann in Mardeuil, wo auch ihre Eltern Weinbau betrieben, Champagne Aurore Casanova. Ihre gut 4,5 Hektar Weinberge in 22 Parzellen sind von Familienmitgliedern gepachtet – wobei besonders die Grand-Cru-Lagen in Puisieulx (von der Familie mütterlicherseits) und Le Mesnil-sur-Oger (über die Robinet-Familie) hervorstechen. Hiervon zeigte Aurore Casanova drei beeindruckende Lagenchampagner (sowie die Assemblage Union). Herausragend der Lieu-dit „Malo“ aus Le Mesnil (aus 2021, 2019, 2017, dég. April 2024). Trotz kurzer Flaschengärung enorm komplex, dicht, mit elektrisierender Säure (96 P.). Mein „Coup de cœur“ und die größte Überraschung der Messe.

4. Jacquesson Avize Champ-Gaïn 2014 Extra-Brut

Das Haus Jacquesson war auch Gastgeber eines „Chef’s Tables“, der den Vergleich der klassischen 700er-Abfüllungen gegenüber ihren Varianten mit längerer Flaschengärung (DT) zum Thema hatte. Das war hinsichtlich der Champagner beeindruckend. Und zugleich beruhigend, weil mit Benjamin Vitrac der Verkaufsleiter von Champagne Jacquesson seit 1998 die Weine vorstellte. Schließlich hatte 2024 die Artemis-Gruppe (François Pinault) Jacquesson von der Chiquet-Familie übernommen (mehr hier). Vitracs Bekenntnis zur Kontinuität stieß bei den Freunden des Hauses jedenfalls auf Erleichterung. In München präsentierte die Maison auch einen ihrer Einzellagen-Champagner. Der Blanc de Blancs Champ Caïn Extra Brut stammt aus 1,3 Hektar großen Parzelle in Avize. Aus dem 2014er-Jahrgang präsentierte er sich etwas offener als sein Vorgänger aus 2013 (hier). Dennoch zeigt er eine fast rasiermesserscharfe Stilistik. Blass, mit gelbgrünen Reflexen im Glas und präziser Säure am Gaumen. Ein enorm frischer, vertikaler Champagner mit salzigem Finish (95 P.)

5. Tarlant La Vigne D’Antan Brut Nature 2006 Non greffée

Mit Benoît Tarlant war einer der großen Erneuerer der Champagne nach München gekommen. Tatsächlich hatte er die Pionierarbeit fortgeführt, die sein Vater Jean-Mary Tarlant in den frühen Achtzigerjahren mit der Einführung von Dosage-Zéro-Champagnern begonnen hatte. Noch vor ein paar Jahren füllte sein Sohn Benoît gut Achtzig Prozent ohne Dosage ab. Heute fielen alle Champagner, die er in München dabei hatte, in die Kategorie Brut nature. Auch Einzellagen wurden hier früh separat abgefüllt, eine Tendenz, die Benoït Tarlant seit 2003 forcierte. Gleich vier von ihnen hatte der Winzer aus Oeuilly im Vallée de la Marne mitgebracht. Am Eindrucksvollsten – und damit knapp vor einem beeindruckenden Vigne Royale von 2007 – der Vigne D’Antan. Der Champagner stammt von ungepropften Chardonnay-Reben, die die Reblaus dank der Sandböden in der Parzelle „Les Sables“ überlebt haben. Der Chardonnay weist eine für das Marnetal kaum möglich gehaltene Komplexität auf. Ein Champagner wie Buddha: innerlich reich, tief und in sich ruhend (96 P.).

Tarlants Le Vigne d’Antan. Ein Champagner wie Buddha: innerlich reich, tief und in sich ruhend.

6. Geoffroy Les Tiersaudes 2019 Brut nature

Champagne Geoffroy war neben Deutz und Bollinger der dritte Top-Produzent aus Aӱ, der in München präsentierte. Allerdings residiert das Haus hier erst seit 2008. Ihre Wurzeln hat die Familie im 10 Kilometer Marne-abwärts gelegenen Cumières. Dort, im westlichsten Premier Cru der Vallée de la Marne, liegen mit 11 der 14 Hektar auch der Großteil der Weinberge des Hauses. Die Mono-Crus aus Cumières, die Geoffroy mitgebracht hatten, bewegten sich zwischen den Polen wuchtig und komplex – Blanc de Blancs Volupté 2017 und Terre 2015 (75PN, 25Ch) –und rassig-präzise – Empreinte Blanc de Noirs 2017. Dennoch hatte bei mit diesmal der reinsortige Meunier aus der 1972 bestockten Einzellage Les Tiersaudes die Nase vorne. Teilweise im Holz ausgebaut, was dem Champagner eine schöne Textur und Struktur verleiht. Dabei bleibt die Aromatik wunderbar pur und frisch, ohne die überbordende Frucht von Meuniers von jungen Reben (94 P.).

7. Hommage à William Deutz Parcelle d’Aӱ Grand Cru La Côte Glacière 2018

Das Ansehen einer Weinmesse aus Sicht der Aussteller zeigt sich auch darin, welche Flaschen in der Präsentation geöffnet werden. Gemessen daran, scheint der Stellenwert von „Einhundert Prozent Champagne“ bei der Maison Dutz sehr hoch zu sein. So hat man die klassische Prestige Cuvée William Deutz in Deutschland-Präsentationen zuletzt nur noch sehr selten gesehen. Hier wurde der sehr gelungene aktuelle Jahrgang 2014 präsentiert. Sehr stilvoll auch der Rosé Millésimé 2019. Vor allem aber gab es auch – wenn auch erst auf Nachfrage – die beiden Lagenchampagner aus der Reihe Hommage à William Deutz zu verkosten. Beide, Meurtet und La Côte Glacière, sind als reinsortige Pinot Noirs Blancs de Noirs. Im heißen Jahrgang 2018 zeigt sich erneut, wie gut der kalkhaltige Boden in Aӱ die Feuchtigkeit speichern kann. Beide Champagner präsentieren sich frisch und präzise. Meurtet ist vielleicht etwas zugänglicher, La Côte Glacière ist etwas strukturierter und hat mehr Reserven (94-95 P.).

8. R. Pouillon & Fils Mareuil sur Aӱ Les Blanciens Premier Cru Brut Nature 2018

Unter den Produzenten von Winzer-Champagnern ist Fabrice Pouillon ein Intellektueller. Weinbau hat bei ihm mit Überzeugungen und Werten zu tun, seine Weise Champagner zu produzieren, bedeutet in seine Worten „sich einen Weg in die Freiheit bahnen“. Seit 2003 bewirtschaftet er die Weinberge biodynamisch. Im Keller steht ihm von Edelstahl, Terrakotta-Amphoren, Holzfässern aller Größen und Zement-Eiern eine ganze Klaviatur von Gärbehältern zur Verfügung. Pouillons beste Parzellen liegen in Aÿ und Mareuil-sur-Aӱ. Eigentlich Pinot-Noir-Land, aber einer seiner besten Champagner, Les Valnons aus Aÿ, ist ein Blanc de Blancs. Les Blanciens aus Mareuil-sur-Aӱ, die „DNA-Wein“ der Domäne, ist eine Komposition aus 50% Pinot Noir und 50% Chardonnay. Es ist erstaunlich, was für eine strahlende Säure dieser Champagner aus dem heißen Jahrgang 2018 mitbringt. Gerade frei gegeben und noch etwas unruhig, aber dicht, fokussiert und mit einer zart bitteren Phenolik sehr vielversprechend (94 P).

9. Pommery Cuvée Louise Brut 2006

Pommery ist unter Deutschlands Sommeliers vermutlich nicht Trendmarke Nummer 1. Das liegt an dem Niedergang der einst legendären Marke im letzten Jahrhundert. Zunächst seit dem Tod der Witwe (Louise) Pommery 1890 schleichend, dann ab 1979 rasanter, als das Haus nach dem Verkauf durch die Familie mehrfach den Besitzer wechselte. 2002 erwarb dann die Gruppe Vranken Monopole des Unternehmers Paul-François Vranken Pommery. Dort scheint man sich mittlerweile dessen großer Tradition zu erinnern und setzt etwa in der Apanage-Linie einige ermutigende Akzente. Die mit dem Jahrgang 1979 begonnene Prestige Cuvée Louise ist freilich aus dem Grunde so faszinierend, weil sie einer der am längsten gereiften „regulären“ Champagner am Markt ist. Der aktuelle Jahrgang 2006 ist ein ausgesprochener Erfolg und präsentiert sich derzeit sehr stark. Deutlich von autolytischen Noten geprägt und jahrgangstypisch fast verschwenderisch in den Fruchtaromen. Aber dennoch mit einer guten Säure ausgestattet, dicht und vielschichtig (95 P.).

10. Benoît Lahaye Rosé de Macération

Viele kennen die Situation. Da ist die Messe fest vorüber, alle sind leicht erschöpft, aber man steht noch zusammen und plaudert ein wenig. Und dann holt der Gegenüber einige Flaschen an den Tisch, die einen sofort wieder wachrüttelten. Hier war es der Importeur Sébastien Visentin, der neben den von ihm offiziell vertretenen Champagne Jacquesson noch den ein oder anderen „Bonus“ offnete. Sehr stark zeigte sich der Rosé de Macération von Champgane Benoît Lahaye aus Bouzy. Dabei zeigt dessen Label kühles Understatement. Weder vermerkt das, dass es sich um einen Vintage-Champagner handelt (hier: 2016). Noch, dass der Wein aus einer Einzellage stammt, konkret 100 Prozent Pinot Noir aus der Einzellage Les Juliennes in Bouzy. Drei Tage Mazeration vor der Pressung und anschließender Ausbau teils im Holzfass, teils in der Amphore. Sehr würzig, etwas phenolig, kraftvoll und mit rassiger Säure (93 P.). Ein echter Rosé de Terroir!

Die sechs Chef’s Tables

Ein Artikel über „Einhundert Prozent Champagne“ 2025 wäre unvollständig, wenn die sechs Sonder-Verkostungen nicht zumindest im Bild gezeigt würden. Eine Verlinkung gibt es, sobald die entsprechenden Artikel im Meininger-Verlag online stehen.

Bildrechte

Stefan Pegatzky / Time Tunnel Images

 

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