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Deutsche Rotweine. Ein Artikel aus „Der Weinkenner“ von 1908

Im Frühjahr 2025 hat Sur-la-pointe das einzig erhaltene Exemplar von „Der Weinkenner“ erworben, der ersten populären Weinzeitschrift der Welt. Als zweiten Nachdruck präsentieren wir einen Artikel über die Frühzeit der deutschen Rotweinproduktion. Die verblüffende These des Autors: An der Wiege der heimischen Qualitätsrotweine stehen die Winzervereine und Genossenschaften!

3 Minuten Lesezeit
Vorwort des Herausgebers

Es ist ohne Frage ein Umbruchpunkt, an dem der Autor, ein gewisser H. Vogel, schreibt. Auf der einen Seite scheinen die Zeiten, wo Wein mit Fliederbeersaft gefärbt wurde, noch nicht lange her zu sein. Auf der anderen besitzen große Produzenten bereits eine Lagerkapazität von 1 Milliarde Litern! Die Ahr, Ingelheim und Assmannshausen gelten zu dieser Zeit zumindest wohl in Berlin als wichtigste Rotwein-Standorte, das hat wohl auch mit deren preußischer Vergangenheit zu tun. Mit Baden, der Pfalz oder Württemberg ist man in der noch jungen deutschen Reichshauptstadt noch wenig vertraut. Vertraut kommt einem der Hinweis auf Diabetikerweine als Garant für trockenen Qualitätswein ein. Die waren in den 1980ern eine Zuflucht für deutsche Konsumenten, wenn sie wirklich trockene Weine im Glas haben wollten. Wie heißt es so schön: Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich.

Im Übrigen ist hier im Nachdruck die Rechtschreibung leicht modernisiert und wichtige Orte, Marken oder Namen gefettet worden, ebenso wie besonders prägnante Aussagen. Zur besseren Lesbarkeit wurden Zwischenüberschriften eingezogen.

Die Rotweine am Rhein und besonders an der Ahr

[Erschienen in: Der Weinkenner, X. Jahrgang, Nr. 9: Juni 1908]

In den letzten Jahren ist durch die Vorliebe für den Moselwein im Allgemeinen der Rotwein immer mehr im Geschmack der Weintrinker zurückgedrängt worden, so dass man namentlich an der Ahr, wo der Rotwein in Unmengen gedeiht, langsam mit dem Anbau von Weißwein beginnt. Obwohl der Weiße an der Ahr ein schöner, vollmundiger Tropfen ist, ebenso wie der Weiße in den bekannten Rotweinorten Ober- und Nieder-Ingelheim in Hessen (vgl. den weißen Ingelheimer von der Winzergenossenschaft in Nieder-Ingelheim, welchen die Firma Ph. Brand & Co. führt), so lebt doch die Tradition der Ahrweinbauern im Roten, und die Winzer haben leider einen schweren Stand, ihren billigen Roten, der in Millionen von Fässern in ihren Kellern liegt, los zu werden. Welche Mengen Rotwein dort lagern, davon kann man sich ein Bild machen, wenn man hört, dass allein beim Walporzheimer Winzerverein im vorigen Jahr zirka 400 000 Fässer und beim Mayschoßer zirka eine Million Fuder (das Fuder gleich 1000 Liter) lagern.

[Das Lob der Winzervereine]

Die Farbe des Rotweins liegt im Wesentlichen nicht in dem Saft der Beere. In früheren Zeiten wurden die blauen Trauben ebenso gekeltert wie die weißen, der Saft wurde aus den Beeren ausgepresst, und um die Schalen, welche zurückbleiben und den Hauptfarbstoff enthalten, kümmerte man sich nicht. Aus diesem ausgepressten Saft entstand das Getränk, das man der hellen, leichtrötlichen Farbe wegen mit „Ahrbleichert“ bezeichnete. Jetzt gehen die zerquetschten Trauben durch eine gelochte Rinne, über welche sich eine hölzerne Raspel dreht, die die Stängel entfernt, während die Beere mit dem Saft durch die Löcher in die darunter liegende Kufe fällt. Hier lässt man zunächst den Saft auf den blauen Schalen gären, und dadurch wird die tiefrote Farbe allmählich aus den Schalen ausgezogen. Die Schalen und Kerne liefern, nebenbei gesagt, auch das Tannin, den Gerbstoff, welcher im Rotwein enthalten ist. Das frühere Färben des Weines, welches infolge des unvernünftigen Streckens nötig war und meist mit Blau- und Fliederbeersaft bewirkt wurde, ist durch das Entstehen und gedeihliche Wirken der Winzervereine immer seltener geworden.

Die roten Qualitätsweine, wie der Assmannshäuser, der Ingelheimer und der Walporzheimer, verkaufen sich natürlich noch verhältnismäßig leicht, aber die kleineren Weine, die doch auch teilweise aus edlen Burgunderreben gekeltert werden, finden nicht die ihnen gebührenden Preise und den genügenden Absatz. Der Hauptgrund lag in dem schon erwähnten Färben und in den früheren unsäglichen Schmierereien und Fälschungen, welche das Vertrauen auf einen reinen Rotwein zu sehr erschüttert hatten. Dieses Vertrauen muss aber jetzt, seit der Gründung der in allen Weinorten bestehenden Vereine, die sich zur Aufgabe gemacht haben, reine, unverfälschte Weine zu liefern, wieder errungen werden, und ein großer Fortschritt ist schon zu erkennen. Langsam schließen sich immer mehr Weinbauern den Vereinen an, die ihnen mit Tar und Tat zur Hand gehen und für einen besseren Absatz ihrer sauren Arbeit sorgen. Möchten immer weitere Kreise dem roten Rhein- und Ahrwein zu dem verdienten Rufe eines guten, reellen Wines vor dem billigen Auslandsroten verhelfen.

[Wein für Diabetiker]

Die Diabetiker (Zuckerkranken), welche bekanntlich einen reinen, unverzuckerten Wein trinken sollen, kommen jetzt immer mehr auf die Ahrweine, da sie wissen, dass ihnen die Winzervereine reinen Traubensaft, nach Möglichkeit oder auf Wunsch auch ganz ohne Zuckerzusatz geben. In Neuenahr, dem deutschen Karlsbad, welches der reine Wallfahrtsort für Zuckerkranke geworden ist, werden fast ausschließlich Ahrweine von den Diabetikern getrunken, doch ein gutes Zeichen für die Bonität des Weines und den Erfolg der Winzervereine. Dieser Erfolg hat sich auch vor einigen Tagen bei der Versteigerung der Ahrrotweine in Ahrweiler gezeigt. Das Ergebnis wird als ein sehr erfreuliches bezeichnet, der Besuch war gegen früher überraschend zahlreich, und von 100 angebotenen Fudern wurden 79 glatt verkauft. Dabei wurden ausgezeichnete Preise erzielt, z. B. für Burgunder, Jahrgang 1903, 5–600 M., 1904er 600–1000 M., ebenso 1905er.

Wünschen wir den Winzern im Rotweingebiet des Rheins und der Ahr in ihrer bedrängten Lage weiter guten Erfolg, und wer sich noch nicht von der Reinheit und Güte der roten Rhein- und Ahrweine überzeugt hat, der lasse sich einmal von Ph. Brand und Co. eine Probe Ingelheimer, Ahrweiler Berg oder als Probe aller deutscher Rotweine Assmannshäuser kommen.

H. Vogel

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