Die Kunst der Null-Dosage bei Gosset und Louis Roederer

Es ist eine Kategorie, die immer beliebter wird: Brut nature oder Zéro Dosage nennen sich Champagner, die keinen Zuckerzusatz nach dem Degorgieren erhalten haben. In diesem Jahr haben die Maisons Louis Roederer und Gosset neue Versionen vorgestellt. Erstere bereits im fünften Jahrgang, Letztere als Premiere. Dabei teilen beide ein ungewöhnliches Detail.

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Louis Roederer Brut nature
Roederers Vorgänger, Jahrgang 2015

Champagner verlieren nach dem Degorgieren, also der Entnahme der Resthefe nach der Flaschengärung, an Volumen. Das muss wieder aufgefüllt werden, und es geschieht traditionell mit der Zugabe von „Liqueur d’expédition“, der sogenannten Versanddosage. Das ist eine Flüssigkeit, in der üblicherweise viel Zucker enthalten ist. Damit erhält der Champagner eine gewisse Süße, die über seine Stilistik entscheidet. Ungeübten Konsumenten erleichtert er den Einstig. Etwa zu Beginn der 1980er-Jahre begannen Pioniere, systematisch auf die Zugabe von Zucker zu verzichten. Champagne Laurent-Perrier produzierte 1981 seinen ersten Ultra Brut – sicherlich auch eine Referenz an die Erfindung der Nouvelle Cuisine zu dieser Zeit. Zur gleichen Zeit stellte der Winzer Jean-Mary Tarlant von seinen ersten Zéro-Champagner vor. Sein Argument: Chablis füge man ja auch keinen Zucker hinzu. Es gab aber auch prominente Gegenstimmen. Zucker sei wichtig für die Stabilität im Alter – ein Argument, das wohl auch heute noch seine Berechtigung hat.

Louis Roederer + Starck Brut nature Blanc 2018

Für die 1776 gegründete Maison Louis Roederer war 2003 ein Wendepunkt. Tatsächlich war es das erste Jahr in einer Reihe von bisher ungesehenen Hitzejahrgängen. Bis heute haben sich diese in immer häufigerer Frequenz ereignet, zuletzt 2015, 2018, 2020 und 2022. In diesem Jahr entstand die Idee, in Cumières am Marne-Ufer einen Champagner zu herzustellen, wie es ihn bei Roederer noch nicht gegeben hat. Nach Jahren des Experimentierens wird dann die Cuvée mit dem Jahrgang 2006 tatsächlich produziert. Um das Ausmaß der Disruption klar zu machen, startet das Haus eine Zusammenarbeit mit dem Designer Philippe Starck. Bis heute ist er – mehrere Facelifts inklusive –für den visuellen Auftritt der inzwischen zur Reihe ausgewachsenen Cuvée zuständig. Starck bricht mit den visuellen Codes der Champagne, weil der Champagner selbst ganz neue Wege geht. Die Entscheidung für einen Brut nature ist bei Roederer deshalb keine Frage der Abrundung des Portfolios. Es ist Teil eines Konzepts.

Denn der Champagner stammt aus einem der heißesten Standorte des Marne-Tals und wird zudem nur in heißen Jahren erzeugt (nach 2006 noch 2009, 2012 und 2015, auch als Rosé). Er ist gleichsam das Resultat von Roederers „Zukunftslabor“, um die Auswirklungen des Klimawandels vorwegzunehmen. So ist die Herkunft aus der Gemeinde Cumières von einer einzigen zusammenhängenden Rebfläche von 10 Hektar strikt lokal. Die biodynamisch bewirtschafteten Parzellen stehen im „gemischten Satz“. Zu den klassischen Rebsorten (der genaue Blend wird nicht kommuniziert) kamen 2018 erstmals gut 1 Prozent Trauben von Pinot-Blanc-Stöcken, die von Champagne Fleury bezogen worden waren. Teilweise Vergärung im Fass mit natürlichen Hefen, auf die ein 12-monatiger Ausbau auf der Feinhefe folgt – bei blockierter malolaktischer Gärung. Eine etwas geringere Menge an Liqueur de tirage, der bei der Flaschengärung nur 5 statt 6 bar Druck und eine sanftere Perlage entstehen lässt. Und eben keine Dosage im Anschluss an das Degorgieren.

Gosset Champagne Zéro Dosage

2025 die erste Null-Dosage-Cuvée zu präsentieren, ist nicht sonderlich originell. Die „Verspätung“ im Falle von Gosset, dessen Wurzeln als Weinhandelshaus bis 1584 zurückreichen, liegt es an der sehr besonderen Stilistik des Hauses. Denn die Champagner von Gosset werden grundsätzlich weder im Holzfass ausgebaut noch durchlaufen sie die malolaktische Gärung. Die Grundweine weisen also erst einmal eine schlanke Struktur mit sehr prägnanter Säure auf. Ausbalanciert wird das durch eine lange bis sehr lange Flaschengärung, die die Wahrnehmung der Äpfelsäure in den Eindruck einer prägnanten Salzigkeit verwandelt. Ohne Dosage hat in der Vergangenheit aber auch hier die nötige Balance gefehlt. Wie bei Roederer wählte man nun den Weg eines langen Ausbaus bereits der Grundweine auf der Hefe, um die nötige Textur zu schaffen. In der ersten Cuvée waren es Ausgangsweine des 2013er-Jahrgangs (62%Ch|38%PN), die schließlich Ende des Frühjahrs 2015 mit der Flaschengärung begannen. Zehn Jahre später wurde degorgiert und ohne Dosage abgefüllt.

Dosage Zéro ist also de facto ebenfalls ein Vintage-Champagner, der aber fünf Jahre länger auf der Hefe gelegen hat als sein Pendant. Freilich unterscheiden sich die Jahrgänge 2013 und 2018 wie Tag und Nacht: War 2018 ein Hitzejahrgang, so war 2013 eines der letzten klassisch-kühlen Jahre der letzten Dekade, mit einem langen Vegetationszyklus und einer Ernte im Oktober. Aber er ist auch kein Single-Cru wie Roederers Brut Nature, sondern eine Assemblage. Gosset nennt unter anderem Ambonnay, Avize, Bouzy, Cumières, Cramant, Villers-Marmery und Rilly la Montagne. Und es dominiert Chardonnay im Gegensatz zu den roten Rebsorten, die wohl im Champagner aus Cumières vorherrschen (2012 lag dessen Blend bei 55PN|25PM|20Ch). Es sind jedenfalls sehr elaborierte Wege, die beide Häuser für ihren Brut-Natur- bzw. Dosage-Zéro-Champagner einschlagen. Kein Wunder, dass beide als „Entreprise du Patrimoine Vivant“ als „Unternehmen des lebenden Kulturerbes“ ausgezeichnet sind, eine Auszeichnung, die sie in der Champagne nur mit Bollinger teilen.

Die Verkostung

Es ist nicht ganz einfach, Roederers Brut nature 2018 zu verstehen. Die Maison selbst beschreibt ihn als „delikat, „sehr harmonisch“ und „fruchtig“. Philippe Starck dagegen benutzt die Worte „ehrlich“ und „minimal“. Das kommt der Sache sicher näher, denn es ist ein unglaublich junger Champagner, der sich zurzeit karg und beinahe etwas rustikal zeigt. Sehr hell im Glas, in der Nase Steinfrüchte, Äpfel, Zitrus und Mandeln. Wirkt durch die Säure schlanker, als er ist, zugleich pur, lang andauernd und mit salzigem Finish.Zeigt sich mit Lufteinfluss zunehmend besser. Ein Champagner, der noch viel Zeit benötigt (92+p.). Auch der Gosset Zéro lässt Apfel-Aromen erkennen (Granny-Smith!), dazu etwas „trockener“ Honig. Vor allem aber zeigt er das ganze Zitrusspektrum von der Zeste mit zur Limonen-Tarte. Das setzt sich prägnant am Gaumen fort, verbindet sich hier aber mit einer enormen Salzigkeit. Ziemlich dicht und präzise, aber auch ein bisschen „exzentrisch“. Viel Wein hier zu einem fairen Preis (92–93p).

Null-Dosage-Champagner können heute dank des Klimawandels ganz ausgezeichnet sein. Das haben auch viele Verkostungen auf Sur-la-pointe gezeigt wie zuletzt die von Champagne Mandois. Sie sind aber alles andere als das „new normal“. Wenn man zudem die Umwandlung von der Äpfel- zur Milchsäure blockiert, braucht es ein stimmiges Konzept. Sowohl Roederer wie Gosset verfügen jeweils über eines. Wer Champagner von der Stange möchte, wird hier freilich nicht glücklich werden. Es bleiben Weine für Individualisten.

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Stefan Pegatzky / Time Tunnel Images

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