Unübersehbar ist das Angebot von Champagne Bollinger mittlerweile zweigeteilt. Einmal die „klassische“ Range, bestehend aus den Non-Vintages Special Cuvée und Rosé, den Grand Années Blanc und Rosé sowie schließlich dem R.D., zuletzt als 2008er-Jahrgang in diesem Jahr vorgestellt. Und schließlich eine Linie mit reinen Pinot-Noir-Champagnern, die sich nach und nach in den Jahren 1974, 2020 und 2022 formierte. 1974 kam der 1969er, der Premiumjahrgang des legendären Vieilles Vignes Françaises, auf den Markt. 2020 wurde der VZ15 PN als Beginn einer Serie terroirbetonter Blancs de Noirs vorgestellt. Und 2022 erblickte der erste Jahrgang des Einzellagenchampagners La Côte aux Enfants das Licht der Welt. Als Trio im vergangenen Jahr in Aÿ zum ersten Mal vorgestellt (mein Bericht hier), präsentierte der deutsche Importeur Grand Cru Select die Folgeversionen im November 2023 auch in Berlin.
PN AYC 18
Nach einem Glas Special Cuvéé, das den Gaumen kalibriert, macht PN AYC 18 den Auftakt. Dass der Name gewöhnungsbedürftig ist, wäre wohl noch untertrieben. Immerhin dürfte die Reihe nun in der 4. Version – nach PN VZ 15, PN VZ 16 und PN TX 17 − einigermaßen eingeführt sein. Zur Erinnerung: Diese Cuvée ist zwar ein 100%iger Pinot Noir, aber er stammt nicht aus einem Ort und nicht aus einem Jahrgang. Buchstabenkombination und Zahl verweisen hier auf die Hauptbestandteile. Das heißt in diesem Fall zum einen der Basisjahrgang 2018. Und zum anderen die Gemeinde Aÿ, nach Verzenay (VZ) und Tauxières (TX) bei den Vorgängern. Bemerkenswerterweise stellt Bollinger erst in der 4. Version seine Signature-Gemeinde in den Vordergrund. Deren hier dominierende Weine werden um Crus wie Tauxières und Verzenay ergänzt. Bei den Jahrgängen kommen noch zur Hälfte die Reserve-Jahrgänge 2017 und 2016 sowie Magnums von 2009er-Weinen aus Aÿ dazu.
Aÿ ist nicht nur Heimatort der Maison, seine in Südexpositionen gereiften Trauben bilden auch das Rückgrat vieler ihrer legendärer Cuvées. Dass Aÿ nun ausgerechnet mit dem 2018er-Jahrgang im Fokus steht, ist zunächst überraschend. Übertraf die Hitze des Sommers sogar noch die von 2003. Aber das ist eben der Standortvorteil der weißen Kreide dieses Grand Crus. Sie vermag die Feuchtigkeit wie ein Schwamm zu konservieren. Und so offen und kraftvoll sich der PN AYC 18 (dég. 1/23) ganz im Bollinger-Stil zeigt, so frisch und lebendig wirkt er durch seine markante Säure. Mit einer ins Zartrosa spielenden Farbe dominieren Apfel, Mandarinen und Pflaumen, dazu etwas Haselnüsse und Vanille (94 P.) Am Ende der Probe folgte noch der Vorgänger PN TX 17 in der Magnum. Der Champagner hat sich phänomenal entwickelt und zeigt erneut die Überlegenheit des größeren Formates. Sehr raffinierte Aromatik, komplex und lang anhaltend, zurzeit in Höchstform (95 P.)
La Côte aux Enfants 2013
Es folgte La Côte aux Enfants 2013 (dég. 3/22), die ikonische Parzelle des Hauses, ebenfalls aus Aÿ. 2013 war nach dem Vorgänger erst die zweite Version, die von Bollinger als Champagner und nicht als Stillwein ausgebaut worden war. Als Aÿ rouge gleichen Namens wird aus den südlichen Parzellen dieser Monopollage seit den 1980er-Jahren ein rarer Coteaux Champenois produziert. Die Trauben vom 2 Hektar großen Nordwesthang gingen vornehmlich in La Grande Année Rosé (mehr hier). Der spätreife Jahrgang 2013 hat nun gegenüber dem reichen, generösen 2012 einen kühleren, aber auch enorm präzisen La Côte aux Enfants hervorgebracht. Tiefgolden in der Farbe, mit Äpfeln, Pfirsich, Mandeln und dezentem Toast im Bouquet. Feine, belebende Mousse und insgesamt sehr luxuriöse Textur, wunderbare Frische, mit langem salzigem Abgang und perfekt abgemessener Dosage von 4gr/l (97 P.). Nach Deutschland geht nur ein kleines Kontingent, bei einem leider schmerzhaften VK-Preis.
Vieilles Vignes Françaises 2012
Den Abschluss bildete die legendären Cuvée Vieilles Vignes Françaises. Sie stammt mittlerweile nur noch von zwei winzigen als Clos ummauerten Parzellen, Chaudes Terres und Clos St. Jacques direkt neben dem Anwesen von Bollinger in Aÿ. Von wurzelechten Reben stammend, erinnern sie an die Champagner vor der Reblauskatastrophe im 19. Jahrhundert und verkörpern so ein kostbares botanisch-kulturelles Erbe der Region. Weil aktuell immer mehr Reben wegen der Phylloxera absterben, droht die Produktion bald zu versiegen. Interessanterweise geht Bollinger bei der aktuellen Version einen Schritt zurück. Letztes Jahr hatte die Maison als Nachfolger des sehr weinigen, reifen 2010er-Jahrgangs den ultra-präzisen 2013er präsentiert. Nun folgte 2012, und hier ist dem Haus sozusagen die Quadratur des Kreises gelungen: Nicht ein Quäntchen weniger pur und prägnant, aber ein Hauch großzügiger und sozusagen noch plastischer, definierter. Ein Wunder an Eleganz (98 P.). 2.193 Flaschen produziert, 4gr/l Dosage.
© der Bilder: Stefan Pegatzky / Time Tunnel images