Anders als bei den Champagner war der diesjährige Abgang im internationalen Fine-Wine-Segment deutlich spürbar. Besonders schmerzhaft: Die Präsentationen der Napa Valley Vintners und der Primum Familiae Vini gingen wohl dauerhaft an Paris verloren. Auch Frankreich hat spürbar an Gewicht verloren. Aber gut, dafür war Italien nach wie vor hervorragend präsent. Und wenn man die aktuellen Spitzenweine verkostet, begreift man schnell, warum sie die neuen Lieblinge auf dem Sekundärmarkt sind. Kein Wunder, dass die italienischen Roten das Schwergewicht meiner diesjährigen Messe-Auslese bilden.
1. Château Pichon Baron 2022
Doch zunächst Bordeaux – und das meint vor allem die traditionsreiche Präsentation der Union des Grands Crus in Düsseldorf. Auch die war in diesem Jahr schwächer besetzt als in Paris. Dafür glänzte dieses Jahr das in Paris nicht vertretene Château Pichon Baron 2022. Es ist erstaunlich, wie großartig sich der zweitklassifizierte Wein aus Pauillac entwickelt hat, seit er Teil der Axa-Millésimes-Gruppe ist. Der Kauf durch den französischen Versicherungskonzern 1988 war seinerzeit als vermeintlich kurzes Investment skeptisch beäugt worden. Der 2022er (81 Prozent Cabernet Sauvignon und 19 Prozent Merlot) ist nicht nur in meinen Augen einer der besten Jahrgänge, die hier produziert worden sind. Unter den zahlreichen herausragenden 2022er steht er in der ersten Reihe. Sehr dicht gewoben und dennoch klassisch. Dunkle Fruchtsüße, Grafit und Gewürze, vielschichtig und mit einer wunderbaren Säure. Kraftvolles Tannin und dennoch bereits animierende Textur. Die 14,3 % Alkohol sind gut eingebunden. (98 P.).
2. Esprit Leflaive Pommard 1er Cru Les Arvelets 2020
Nach den explodierenden Preisen für Burgunder hat sich die Struktur der Négociants deutlich verwandelt. Traditionsreiche Häuser wie Bouchard konzentrieren sich ausschließlich auf die Produktion ihrer eigenen Domaine. Und Quereinsteiger wie arrivierte Winzer bauen immer häufiger eine eigene Micro-Négoce-Linie auf. In den 2000er-Jahren hatte die Domaine Leflaive damit begonnen, ein kleines Angebot von zugekauften Trauben unter dem Namen Leflaive & Associés anzubieten. „Le négoce haut de gamme“ nennt das das Weingut. 2018 ging es dann mit Esprit Leflaive („Le négoce haute couture“) einen Schritt weiter. Bei den zunächst acht Weinen war bemerkenswert, dass darunter mehrere Rotweine waren. 2020 ist nun der dritte Jahrgang – und unter den vier verkosteten Rotweinen gefiel mir der Pommard 1er Cru Les Arvelets am besten. Pommards können manchmal etwas robust sein, aber hier dominierte bei aller Dichte die Eleganz. Beachtlich auch die Idee von Kühle, die der Wein trotz des heißen Jahrgangs vermittelt (95 P.).
3. Domaine Drouhin Pinot Noir Laurène Dundee Hills 2022
Wenn die Platzhirsche fehlen, geht der Blick in unbekanntere Gefilde. Wobei man bei Pinot Noirs aus Oregon freilich kaum von einer Terra incognita sprechen kann. Freilich hat bei mir persönlich meine Kalifornien-Fixierung die intensive Beschäftigung mit den nördlichen Nachbarn bisher verhindert. Das traf es sich gut, dass das Oregon Wine Board Düsseldorf die Treue hält. Hier präsentierten unter anderem Adelsheim, Lingua Franca und Drouhin Oregon ihre Weine. Letztere sind ein bereits 1989 von Robert Drouhin aus Burgund gegründetes Weingut im Willamette Valley in Oregon. Die Pinot-Noir-Cuvée Laurène ist nach der ältesten Tochter Véronique Boss-Drouhin genannt, der langjährigen Winemakerin. Es ist der Top-Pinot des Weinguts und der 2022er-Jahrgang ist auch der Star der Oregon-Präsentation (96 P.). Nur dezent vom Eichenholz geprägt, zeigt er mit seinen floralen Aromen eine große Finesse. Wer immer noch glaubt, dass große Pinot Noirs nur in der Alten Welt entstehen, wird hier eines besseren belehrt!
4. Fattoria Le Pupille Saffredi 2022
Im Juli 2022 war ich zu Besuch auf der Fattoria Le Pupille, um eine Reportage für FINE zu schreiben. In der Toskana war es einer der heißesten Sommer aller Zeiten. Sechs Wochen lang hat es in Mittelitalien nicht einen Tropfen geregnet. Trinkt man heute die Weine aus dem Jahrgang, dann ist man verblüfft, wie gut die meisten Winzer die extremen Bedingungen gemeistert haben. Auf Le Pupille wurde mehr als nur „gemeistert“ – tatsächlich ist der Saffredi in diesem Jahr ein spektakulärer Erfolg. Die Produzenten verweisen auf den gleichfalls aus einem Extremjahr stammenden Spitzenjahrgang 1959. Hier garantierte ein hoher Phenolgehalt anstatt der Säure die Langlebigkeit. Jedenfalls ist der Saffredi nach wie vor eine mediterrane Bordeaux-Interpretation mit 60% Cabernet Sauvignon, 35% Merlot und 5% Petit Verdot. 2022 überragt eine samtige Textur, die den Wein fast hedonistisch erscheinen lässt. Dabei ist er voll strahlender Frucht, würzig, vielschichtig und sehr konzentriert (97 P.).
5. Tenuta di Trinoro Rosso Toscana 2022
Ein Novum für mich waren die Weine der Tenuta di Trinoro. Die Weine stammen aus dem Val d’Orcia ganz im Südosten der Toskana. Der Weinbau an diesem Ort an der Grenze zu Umbrien und Latium entspringt der Vision des Autodidakten Andrea Franchetti – seit 2021 leitet sein Sohn Benjamin das Weingut. Das Vorbild ist Frankreich, die Passion gilt dem Cabernet Franc. Das Portfolio, das ich verkosten konnte war hoch individuell. Neben einem feinen Bianco aus 100 Prozent Sémillion zunächst zwei rebsortenreine Fassmuster aus 2023. Palazzi 2023 ist ein dichter, schmeichelnder Merlot mit viel Trinkfluss. Der Cabernet Franc Campo di Magnacosta von einer 1,5 Hektar großen Parzelle auf 400 Metern Höhe ist präzise und würzig. Der Bordeaux-Blend Le Cupole ist quasi der Zweitwein des Gutes und ist deutlich einfacher, hat im Jahrgang 2022 aber einigen Grip.
Eindrucksvoller Höhepunkt ist der Tenuta di Trinoro Toskana IGT, eine Cuvée aus Cabernet Franc und Merlot, aus dem gleichen Jahr. Undurchdringliches Purpur im Glas, mit Noten von schwarzen Beeren, pfeffriger Würze, und Toast. Enorm konzentriert am Gaumen, mit sehr guter Frische dank der wasserspeichernden Böden, von denen der Wein stammt. Freilich derzeit noch enorm jung und bestem Ausblick für eine lange Lagerung (97 P.).
6. Monteverro Toscana 2021
Ebenfalls nahe der Südgrenze der Toskana, aber in der Maremma in unmittelbarer Küstennähe liegt Monteverro am Fuss des Städtchens Capalbio. Das Projekt stammt aus dem Beginn der 2000er-Jahre, nachdem der Berater Michel Rolland dem deutschen Unternehmer Georg Weber empfohlen hatte, in einen Standort in der weinbautechnisch noch wenig erschlossenen südlichen Maremma zu investieren. Und dabei keinen Sangiovese anzubauen! Ich hatte die Weine bisher nur unzusammenhängend verkostet und war durchaus beeindruckt. Dieses Jahr ließ mich Margherita Chietti das komplette aktuelle Portfolio verkosten.
Das führt bei den Roten zunächst vom jugendlich-stürmischen Merlot-dominierten Verruzzo zum Cabernet-Franc-geprägten Terra di Monteverro. Der Tinata ist quasi der Rhone-orientierte (70% Syrah, 30% Grenache in 2022) Grand Vin des Weingutes und seinem größeren Bruder in vielen Jahren ebenbürtig. Dieser, hier als Monteverro 2021, schaut mit 45% Cabernet Sauvignon, 40% Cabernet Franc, 10% Merlot und 5% Petit Verdot eher ans rechte Ufer in Bordeaux. Sehr würziges Bouquet, am Gaumen mit viel Grip und Frische, dabei vielschichtig und mit beeindruckender Fruchtdichte (96 P.).
7. Ornellaia 2021
Prominente Weinmacher haben heute einen Status wie Top-Fußballtrainer. Und wie diese wechseln sie in immer kürzerem Abstand ihren Arbeitgeber. So war auch Axel Heinz, der langjährige Verantwortliche für die Supertuscans Ornellaia und Masseto, 2025 auf der ProWein zu Gast. Aber er präsentierte den jüngsten Jahrgang von Château Lascombes, wohin er im Frühjahr 2023 gewechselt war. Nach der Ernte in diesem Jahr hat auch Chefönologin Olga Fusari das Weingut verlassen, sodass der 2021er Jahrgang ihr vorletzter gemeinsamer Jahrgang ist.
Und man muss sagen, dass er dem Team ausnehmend gut gelungen ist. Trotz der enormen Hitze im Sommer besitzt der Wein bei aller Wucht und Fülle eine gute Struktur, viel Würze und innere Frische (97 P.). 53% Cabernet Sauvignon, 25% Merlot, 15% Cabernet Franc und 7% Petit Verdot. Das bedeutet weniger Merlot und mehr CS/CF/PV, offensichtlich die richtige Strategie in dem Jahr. Der 2022er steht schon in den Startlöchern, bevor dann ab nächstem Jahr der erste Ornellaia der neuesten Ära vorgestellt wird. Dann wird sich zeigen, wie der neue Produktionsdirektor Marco Balsimelli und die Önologin Denise Cosentino den Kultwein aus Bolgheri interpretieren.
8. Casanova di Neri Brunello di Montalcino Giovanni Neri 2019
Die nächsten Weine kann ich nicht vorstellen, ohne zuvor eine Lanze für die großen Importeure, allen voran dem Haus Schlumberger, zu brechen. Ohne ihr Engagement wäre die Qualitätsdichte der präsentierten Weine auf der ProWein deutlich schwächer. Zum Beispiel Casanova di Neri. Das 1971 gegründete Brunello-Weingut aus Montalcino präsentierte sein komplettes Sangiovese-Portfolio in Düsseldorf –zumal Großteils aus dem spektakulären Jahrgang 2019. Ein Fest für jeden Toskana-Liebhaber. Bereits antrinkbar und das Potential des Jahgangs zeigend die „Etichetta Bianca“. Noch etwas streng und mit einem enormen Reifepotential ausgestattet präsentiert sich der Brunello Tenuta Nuova aus der Einzellage Le Cetine. Zugleich überragend konzentriert und mit hinreißender Jugendlichkeit zeigt sich der Giovanni Neri. Es ist erst der zweite Jahrgang aus der 7-Hektar Lage Tocci – und schon ein Benchmark-Brunello (98 P.). Jahrgangsbedingt kann dann der Cerretalto 2018 aus der gleichnamigen Einzellage im Osten der Appellation trotz verführerischer Extraktsüße nicht ganz mithalten.
9. Bruno Giacosa Barolo Falletto 2021
Beim nächsten Wein trafen bei mir Wehmut und Nostalgie aufeinander. Die Nebbiolos von Bruno Giacosa aus den 1970er- und frühen 1980er-Jahren gehörten zu den großen Weinerfahrungen meiner frühen Sammler-Zeit. Alles gipfelte in einer unvergesslichen Flasche Barolo Collina Rionda di Serralunga Riserva 1989 („Etichetta rossa“). Nach Meinung von Antonio Galloni „one of the greatest wines ever made anywhere in the world.” Leider schossen damals bereits die Preise in stratosphärische Höhen – nach damals noch außerhalb Frankreichs seltenen 100 Parker-Punkten beim Rionda 1989 auf 1.600 US-Dollar. Da danach einige Jahre die Qualität nicht immer konstant war und Bordeaux und gerade auch Burgund zu dieser Zeit preislich noch vergleichsweise attraktiv waren, verlor ich Bruno Giacosa aus den Augen.
Nun auf der ProWein die Wiederbegegnung mit den Weinen, die heute Tochter Bruna Giacosa verantwortet. 2021 war hier ein großartiges, an 2016 erinnerndes Jahr, das Struktur mit Eleganz vereint. Der Falletto ist fleischig-animalisch in der Nase, kraftvoll, mineralisch und mit überraschend fein poliertem Tannin (97 P.). Was für eine Freude! Vermutlich wird es 2027 hier eine Riserva Falletto Vigna Le Rocche geben. Über den Preis will ich lieber nicht nachdenken.
10. Quevedo Colheita 1995
Im Herbst 2024 nahm ich an einer Portugal-Rundreise zu einigen bemerkenswerten Weingütern teil. Selbstverständlich habe ich die ProWein zum Anlass genommen, bei mehreren unserer damaligen Gastgeber noch einmal nachzuverkosten. Quevedo gehört zu einer neuen Portwein-Generation von kleinen Familienweingütern am Douro. Diese konnten ihre eigenen Produkte erst selbst vermarkten, als infolge des EU-Beitritts der Zwang entfiel, in Porto eine Niederlassung zu betreiben und dort abzufüllen. 1993 begann die Familie unter Oscar Quevedo Senior mit ersten Abfüllungen unter eigenem Namen. Aus dieser Frühzeit stammt der Colheita 1995, den das Weingut auf der diesjährigen ProWein präsentierte. Der Jahrgang war zuletzt 2012 offiziell gefüllt worden, aber schon bei meinem Besuch im Herbst konnte ich bei einer kleinen Vertikale auch verbliebenen 1995er aus dem Fass verkosten.
Das Muster auf der ProWein war ebenfalls inoffiziell, möglicherweise eine Vorschau für eine kommende Late-Release-Abfüllung. Die Trauben stammen komplett aus der Quinta Vale d’Agodinho im Ferradosa-Tal. Große Teile der Rebanlage steht im Gemischten Satz. In diesem Fall besteht der Blend aus Touriga Franca (35%), Tinta Roriz (20%), Touriga Nacional (15%), Tinta Barroca (10%), Tinto Cão (8%) und übrigen Sorten (12%). Im Edelstahl mit einheimischen Hefen vergoren und dann in traditionellen Balseiro-Fässern gereift und unfiltriert abgefüllt. Leider stehen Jahrgangs-Colheitas im Schatten klassischer Vintage-Ports. Dabei bietet diese „oxidative“ Stilistik ein unvergleichliches Aromenspektrum. Trockenfrüchte, Sternanis und Zimt sowie vielfältige Nussaromen sind hier nur einige der Eindrücke (96 P.)
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Aufmacherbild: Messe Düsseldorf / ctillmann
Alle übrigen Fotos: Stefan Pegatzky / Time Tunnel Images