Vorwort des Herausgebers
Der Reiz dieses Artikels liegt nicht zuletzt darin, dass der unbekannte Autor zunächst auf einen Champagnertext zurückblickt, der seinerseits über 100 Jahre alt ist. Wie der „Weinkenner“-Autor sich nicht ganz ohne Grund über den Kommissionsrat Riem lustig macht, so müssen wir wiederum bei der ein oder anderen Aussage von ihm schmunzeln. Was wann, wenn man es weiter denkt, nahelegt, dass man genauso auch in hundert Jahren über unsere Texte zum Champagner (und auch sonst) lächeln wird. Ansonsten ist anzumerken, dass zum Zeitpunkt, als der Text entstanden ist, der Ausdruck „Champagner“ in Deutschland noch nicht geschützt ist. Das wird erst ab 1918 der Fall sein, deshalb geht hier bei den Begriffen Sekt, Schaumwein und Champagner einiges durcheinander. Jedenfalls hat der Autor ein paar dezidierte Meinungen. Über die Streitfrage Sekt oder Champagner wird man im „Weinkenner“ jedenfalls noch in vielen weiteren Artikeln debattieren. Sehr interessant jedenfalls für Deutschland ist der Hinweis auf die Jahrgangschampager.
Im Übrigen ist hier im Nachdruck die Rechtschreibung leicht modernisiert und wichtige Orte, Marken oder Namen gefettet worden, ebenso wie besonders prägnante Aussagen. Zur besseren Lesbarkeit wurden Zwischenüberschriften eingezogen.
Vom Champagner
[Erschienen in: Der Weinkenner, VII. Jahrgang, Nr. 5: Februar 1905]
Das anno 1803 zu Dresden erschienene Buch: „Die Getränke der Menschen“, herausgegeben vom Kommissionsrat Riem, handelt auch von den Champagnerweinen, die in rote und weiße, die ersteren wieder in zwei Klassen, zerlegt werden. Heute bekannte Namen findet man nur unter den weißen, nämlich Ay und Sillery, und man erinnert sich, dass es eine Frau, die Marschallin d’Estrée war, die den Namen Sillery zuerst zu den hohen Ehren brachte: ihr gehörten große Weinberge in Verzenay, Mailly und Sillery. Herr Riem spricht nun von dem Champagnerwein die denkwürdigen Worte: „Er erhält die Eigenschaft zu moussieren dadurch, dass man ihn zu eben der Zeit in Flaschen zieht, wenn der Saft in die Reben steigt: jedoch setzt das seiner Güte nicht zu. Die besten Champagner-Sorten moussieren oft nicht; dagegen tun es die mittelmäßigen und die schlechten, Aber bei alle dem gibt es doch nur wenige Weintrinker, die nicht Gefallen an einer Gärung hätten, welche wohl der Gesundheit schadet.“
[Schaumwein als Mode]
In den seither verflossenen hundert Jahren hat sich in der Beurteilung der Champagnerweine gar manches geändert, Man kennt außerhalb Frankreichs die in der Champagne wachsenden Stillweine kaum noch, man schätzt sie nur in der Eigenschaft, das Rohmaterial für die Sektfabrikation zu liefern. Dem schäumenden, prickelnden Wein, dem pétillant, aber hat man inzwischen das höchste Maß an Ehrfurcht und Bewunderung erwiesen. Man kann sich eine Festlichkeit ohne schäumenden Wein überhaupt nicht denken; man rühmt die anregende, belebende Wirkung des Getränks in allen Tonarten, und, was man öfter beobachten kann, die Mode hat auch die ärztliche Schulweisheit ergriffen; bei manchen Leiden wird Champagner verordnet, der namentlich bei schwächeren Fiebern Wunderdinge leisten soll. Aber ein nüchterner Beobachter muss sagen, dass die Vorliebe für Champagner des Guten zu viel tut – daran mag die Gunst der Frauen und der Dichter schuld sein, die sich dem zum Himmel schlagenden Kaskadengezisch, wie Moritz Graf Strachwitz in poetischer Übertreibung singt, rasch und dauernd zugewendet hat.
Das hat einen doppelten Missstand im Gefolge; erstens überschätzt man Champagner an sich im Verhältnis zu den Stillweinen, und zweitens trinkt man, in Deutschland noch am meisten, den Sekt kritiklos. Der Fachmann, der Weinkenner, nimmt dem schäumenden Getränk gegenüber doch einen besonderen Standpunkt ein.
[Über Preise]
Neben den unleugbaren Vorzügen, die der kohlensäurehaltige Wein an sich besitzt, und neben seinem köstlichen Geschmack kommt dem Konsum des Sekts die Tatsache zu statten, dass man im allgemeinen weiß, was man trinkt, wenn man eine Flasche Champagner mit notorischem Namen bestellt. Man kennt auch ungefähr die im Handel geltenden Normalpreise dieser Marken; eine Flasche Kupferberg Gold oder Henkell trocken kostete früher in soliden Berliner Weinstuben 5 Mark und jetzt, nach Einführung der Schaumweinsteuer, 5,50 Mark; man kann sich also ein Bild von dem durchschnittlichen Gewinnaufschlag des Weinwirtes machen, der diese Marken zu 7 oder 8 Mark verkauft, und man wird danach die Preiswürdigkeit auch seiner Stillweine ungefähr beurteilen können. Man weiß ferner, dass der Korkbrand einen sicheren Anhalt bildet, ob man z. B. wirklich Pommery oder Heidsieck carte d’or vor sich hat. Dieses Sichergehen einer Ware gegenüber, deren Bonität und Preiswürdigkeit selbst für den Fachmann schwer zu beurteilen ist, hat unzweifelhaft zur Verbreitung des Sektkonsums viel beigetragen, und diese Erkenntnis lässt den Wunsch nicht unberechtigt erscheinen, es möge auch bei der Namensgebung der Stillweine mehr und mehr ein strengeres Gesetz zur Geltung kommen.
[Die Rolle der Herkunft]
Den Unterschied zwischen deutschem und französischem Erzeugnis im steueramtlichen Sinne zeigt die Steuerbanderole: wenn die Flasche das amtliche Halsband „französisches Erzeugnis“ trägt, enthält sie in Frankreich auf Flaschen genommenen Sekt. Ein Sekt, der aus echten Gewächsen der Champagne hergestellt und in Deutschland oder Luxemburg auf Flaschen gefüllt ist, gilt steueramtlich als „deutsches Erzeugnis“. Tatsächlich liegt aber ein „französisches Erzeugnis“ vor, welches sich von den berühmten französischen Marken in der Regel nur durch die geringere Güte des Rohmaterials unterscheidet, während die Behandlung genau dieselbe ist wie in Frankreich. Mit anderen Worten, wenn z. B. eine französische Firma, wie Veuve Cliquot [sic] oder ein diesem gleichwertiges Champagnerhaus ihr Cuvée in Deutschland behandeln und in Flaschen füllen lassen wollte, so würde die in Deutschland gemachte Flasche genau [Hervorhebung im Original] ebenso gut schmecken und genau dasselbe sein, wie die in Frankreich gefüllte. Jene aber würde die Steuerbanderole „deutsches Erzeugnis“, dieses die Qualifikation als „französisches Erzeugnis“ erhalten.
Natürlich gibt es neben den größter Notorietät sich erfreuenden Sektmarken auch solche, welche die Mängel innerer Vorzüge durch tönende Namen und glänzende Ausstattung auszugleichen suchen. Wir haben dabei nicht die sogenannten „Hausmarken“ im Auge. Es gibt manche kleine Sektfirmen, welche sehr gediegene Champagner liefern; naturgemäß hat eine Firma ein Interesse daran, ihre Haus- oder Spezial-Marke vorteilhaft einzuführen, um ihr dauernd einen Absatz zu sichern. Übrigens darf auch der Wert eines guten Namens für eine Sektmarke nicht unterschätzt werden, hat doch selbst eine so große Firma in Deutschland einen Preis auf den Namen ihres Jubiläumssektes ausgeschrieben. (Die Entscheidung freilich finden wir wenig glücklich.)
Neben die bisher besprochenen Gründe für die Popularität des Sekttrinkens stellt sich noch die Reklame. Man wird nicht verkennen, dass die kolossalen Aufwendungen, welche namentlich einige große deutsche Sektkellereien für ihre Erzeugnisse machen, dem Sektkonsum überhaupt zugutekommen.
[Über Preiswürdigkeit]
Wie gesagt, der Weinkenner sieht dieser Entwicklung mit etwas gemischten Gefühlen zu. Eine Flasche edlen Stillweins ist doch ein ganz ander Ding als eine Flasche Champagner. Die Lobpreisungen der mit feinster Zunge begabten Sachkundigen, die dem Wein überhaupt gezollt wurden, gelten fast ausschließlich den edlen Rhein-, Mosel- und den französischen Stillweinen; beim Sekt überwiegt vielmehr die Anerkennung des Belebenden, Animierenden, die Fröhlichkeit und die Lebenslust Anstachelnden. Trotzdem der reelle Weinhandel am Champagner am wenigsten zu verdienen pflegt, ist der Sekt im Verhältnis zum Stillwein immer als teures Getränk zu bezeichnen. Wer vier Mark für ein Hochgewächs des Médoc anlegt, ist viel besser beraten, als wenn er sich dafür eine Flasche Mousseux kauft, und dieser Unterschied tritt erst recht zu Tage, wenn man die Preise für französischen Champagner in Betracht zieht: was für köstliche Edelweine kann man für 8–10 Mark kaufen! Außerdem sind die guten Weine, deren Preise denen der Sekte entsprechen, insgemein und auf die Dauer getrunken, viel bekömmlicher als die stark moussierenden Getränke: die Zuführung von Kohlensäure in verhältnismäßig beträchtlichen Qualitäten mag gelegentlich recht wohltuend sein, als Regel scheint sie vom Übel.
[Sekt oder Champagner?]
Wir schmeicheln uns nicht, mit unserer Fastenpredigt dem Siegeszug des Sektes Einhalt gebieten zu können, ebenso wenig, wie es die Machenschaften der Weinbauern der Bourgogne vermochten, die, von Eifersucht auf die gefährliche Konkurrenz geplagt, den Champagner für ein Präparat erklärten, das nur mit Hülfe des Herrn der Hölle zu Wege kommen könne. Das Sekttrinken ist nun einmal Mode – und schließlich gibt es ja zahllose weit weniger erfreuliche Moden. Aber es mögen uns noch einige Worte gestattet sein. Wir sagten, das deutsche Publikum trinke den Sekt kritiklos; auch in jenen Kreisen, denen es nicht mehr die Hauptsache ist, dass es „bullert“, um den Neid der Nachbarn zu erregen. Deshalb sei zuerst noch einmal das Axiom festgelegt, dass der deutsche Sekt mit dem französischen Champagner nicht konkurrieren kann, was auch aus national-wirtschaftlichem Interesse oder aus Patriotismus oder wegen des Geschäfts gesagt werden möge. Die wesentliche Ursache liegt darin, dass die zur Sektfabrikation verwendeten Weine den Deutschen in dieser Hinsicht überlegen sind; von dem im Zollinland auf Flaschen gezogenen Sekten sind deshalb diejenigen vorzuziehen, welche aus französischen Gewächsen hergestellt sind.
[Die Bedeutung des Flaschenlagers]
Und ferner: Eine Hauptsache bei guten Weinen ist das Flaschenlager. Das gilt auch beim Sekt – und hier, wie bei allen Weinen, innerhalb gewisser Grenzen. Je edler der Wein, ein umso längeres Flaschenlager ist seiner Entwicklung zuträglich oder unschädlich. Moselweine haben in der Regel nach zehn Jahren den Höhepunkt ihrer Entwicklungsstufe überschritten, vierzigjährige Rheinweine gehören zu den köstlichsten, was die Erde an Flüssigkeiten besitzt. Gute Sekte erfordern ein mehrjähriges Flaschenlager, und wenn dieses länger dauert, ist dieses der Entwicklung der Sekte zuträglich. Daraus ergibt sich, dass die Sektfirmen, die einen so kolossalen Absatz haben, dass sie nicht so große Quanten in „Stock“ nehmen können, mit der Zeit gezwungen sind, verhältnismäßig frische Ware zu verkaufen. Das Publikum merkt allmählich, dass diese zu frischen Sekte nicht seinem Geschmack konvenieren und wendet sich anderen Marken zu. Die nicht mit dem Hochdruck der Reklame arbeitenden Firmen, deren Absatz langsamer vor sich geht, sind inzwischen in die Lage gekommen, ihre Vorräte zu vergrößern, sie länger ausreifen zu lassen – sehr zum Vorteil ihrer Qualität, was sich naturgemäß später, wenn das Publikum die Finesse der Marke erkannt hat, in der größeren Beliebtheit des Sekts bezahlt macht. Es war deshalb eine weise Reklame, als unlängst zwei bekannte Firmen (Moet & Chandon und E. Mercier & Co.) nicht nur die Größe ihres Absatzes, sondern auch die Größe ihres Stocks ziffermäßig belegten.
[Über Vintage-Champagner]
Wenn gute Weine und somit auch gute Champagner mit den Jahren besser werden – wie auch die Frauen – und wenn das Wesentliche beim Champagner das Rohmaterial ist, aus dem die Cuvée hergestellt ist, so ergibt sich, dass der wirklich feine Kenner auch den Sekt nach Jahrgängen trinken sollte. So ist es in England der Fall, wo man bekanntlich für teures Geld auch wirklich Gutes bekommt und wo man den Wert der first quality zu schätzen und zu bezahlen versteht. Bei uns in Deutschland sieht man nur ganz gelegentlich bei den Champagnern auch den Jahrgang angemerkt, am ersten noch auf den Weinkarten der vornehmsten großstädtischen Restaurants. Ein 1893er Deutz & Geldermann extra sec oder ein 1889er Moet et Chandon white star kostet das Doppelte des normalen Preises dieser Marken, ist aber auch etwas ganz Hervorragendes. Der Anerkennung der alten Sektmarken steht in Deutschland der Umstand im Wege, dass diese Weine naturgemäß weniger moussieren, weil im Laufe der Zeit, trotzdem beim Liegen der Flasche die Flüssigkeit den Korken benetzt, ein Teil der Kohlensäure entweicht. Demgegenüber muss immer wieder darauf hingewiesen werden, dass das schwächere Moussieren keinesfalls ohne weiteres zu Ungunsten der Sektmarke gedeutet werden muss, dass im Gegenteil bei schwachem Mousseux zunächst zu Gunsten des Sektes ein längeres Flaschenlager vermutet werden darf
Bildrechte
Stefan Pegatzky / Time Tunnel Images
Den Artikel zum Hintergrund der Weinzeitschrift „Der Weinkenner“ finden Sie hier.