In den Achtzigerjahren war für mich keine Champagnermarke attraktiver. Die Flasche mit dem „Cordon rouge“, dem roten Band der Ehrenlegion, verkörperte für mich wie keine andere französische Belle Époque und Pariser Sinnenfreuden. Leider stand es um die Qualität des Inhalts schlecht. Die Maison durchlebte seinerzeit turbulente Zeiten. 2001 wurde sie von ihrem Besitzer Seagram erst an den Getränkekonzern Allied-Domecq, dann fiel sie 2005 an die Gruppe Pernod Ricard. Das Sekthaus Mumm, seit 1970 ebenfalls zu Seagram gehörig, wurde an die Rotkäppchen Sektkellerei verkauft. Teil dieses Deals war anscheinend der Rückzug von Champagne Mumm vom deutschen Markt. Denn damals verschwand ihr Champagner aus dem deutschen Sortiment.
Das war sehr bedauerlich. Denn das Haus verfügt nicht nur über eine beeindruckende Geschichte, sondern auch ein hervorragendes Portfolio bester Grand-Cru-Weinberge. Als mich dank grenzüberschreitendem Online-Handel vor drei Jahren eine Flasche Brut Sélection Grand Cru erreichte, war ich von der Qualität sehr angetan. Daher war ich erfreut, als im September 2019 das Berliner KaDeWe Mumm Cordon Rouge (Blanc und Rosé) präsentierte. Als ich dann aber im Rahmen der Verkostungen für mein Champagnerbuch nach höheren Qualitätsstufen anfragte, erhielt ich eine Absage. Für Deutschland ausschließlich das Basis-Sortiment.
Mumms Top-Schäumer
Diese Strategie hat Mumm in diesem Jahr geändert. Seit Herbst 2022 wird hierzulande auch das hochwertige RSRV-Sortiment angeboten. Das bildet, seit dem Relaunch von 2016 eine eigene Welt, nicht nur als qualitative Spitze, sondern auch durch ein völlig eigenständiges Design und eigenen Webauftritt. RSRV steht dabei für Cuvée Réservée, eine im Kellerbuch der Maison überlieferte Bezeichnung für ausgewählte Selektionen für besondere Kunden und Gäste. Von den fünf erhältlichen Champagnern konnte ich nun drei probieren: RSRV Cuvée 4.5, RSRV Blanc de Blancs 2014 und RSRV Cuvée Lalou 2008. Daneben gib es noch den RSRV Blanc de Noirs 2013, dessen Ankunft sich etwas verspätet, sowie den RSRV Rosé Foujita, der zumindest offiziell wohl nicht in Deutschland vertrieben wird.
Der RSRV Cuvée 4.5 ersetzt den Brut Sélection Grand Cru, wobei die 4 für (mindestens) vier Jahre Flaschengärung und die 5 für die fünf Grand Crus in der Cuvée stehen soll: 60 % Pinots Noirs aus Verzenay, Aÿ und Bouzy sowie 40 Prozent Chardonnays aus Cramant und Avize. Ein Champagner mit Anspruch, was auch die geringe Dosage von 6 Gramm pro Liter unterstreicht. Tatsächlich ist die Dauer der Flaschengärung vielfach wesentlich höher: Bei den mir vorliegenden Flaschen trug ein Brut Sélection die (vorbildlichen) Hinweise „Flaschenfüllung: 05/2011“ und „Degorgiert: 01/2018“, der RSRV Cuvée 4.5 sogar „07/2014“ beziehungsweise „09/2021“. Was im ersten Fall über sechseinhalb Jahre, im zweiten über sieben Jahre Hefelagerung bedeutet. Jedenfalls spielt der 4.5, dessen Grundweine aus dem schwierigen Jahrgang 2010 sowie 20 Prozent aus einer „Réserve perpetuelle“ stammen, die Stärken des Hauses aus. Ein kerniger Pinot Noir, nussig und muskulös, mit guter Säure und mittlerer Länge (91 Punkte).
Der Blanc de Blancs spielt dann schon in einer anderen Liga. Der ist freilich auch ein Mono-Cru, das heißt er stammt aus einer einzelnen Gemeinde, in diesem Fall Cramant. Damit entpuppt sich die Cuvée als Nachfolger des berühmten „Crémant de Cramant“. Aus bezeichnungsrechtlichen Gründen darf der so nicht mehr heißen – wobei Crémant in der Champagne für einen Champagner mit einem niedrigen Druck von 4,5 statt üblichen 6 bar steht. Eine Eigenschaft, die der neue RSRV aus Cramant mit seinem Vorgänger teilt. In Deutschland beginnt der Vertrieb mit dem 2015er Jahrgang. Ich hatte den kühleren, eleganteren Jahrgang 2014 im Glas. Zitrisch und floral in der Nase, mit angedeuteten gelben Steinfrüchten, am Gaumen dezent kalkig und zart bitter, bei guter Länge und feiner Säure (93 Punkte).
RSRV Lalou 2008 steht in der Nachfolge der Prestige-Cuvée René Lalou, benannt nach dem prägenden ehemaligen Besitzer der Maison. Zur einen Hälfte aus Pinot Noir, zur anderen aus Chardonnay bestehend, ist der Wein eine Assemblage aus einigen der ältesten und hochwertigsten Einzellagen des Hauses: Les Bionnes und Les Perthes (Cramant), Les Crupots (Ambonnay), Les Briquettes (Avize), Hannepés (Bouzy), Les Rochelles (Verzenay) und Les Houles (Verzy). Hier lagen zwölfeinhalb Jahre zwischen Flaschenfüllung (06/2009) und Dégorgement (12/2021). Das Resultat ist ein kraftvoller, sehr klassischer und von komplexen Autolyse-Noten getragener Champagner. Aus dem phantastischen Jahrgang 2008 stammend, ist er noch etwas verhalten und steht erst ganz am Anfang seiner Entwicklung (94+ Punkte). Insgesamt präsentiert Mumm jedenfalls ein sehr spannendes Portfolio, das sich dezidiert an den fortgeschrittenen Champagnertrinker wendet und nicht wenig Gegenliebe finden wird.
© der Fotos: Stefan Pegatzky / Time Tunnel Images