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Raw. Das Buch.

Raw ist im Trend. Nicht nur beim Wein, sondern vor allem auch beim Essen. Allerdings meint „roh“ nicht einfach „unbearbeitet“. Tatsächlich sind Dörren, Fermentieren, Pökeln und Beizen uralte Küchentechniken, die vielfach geschmacksintensiver sind als die Methoden moderner Lebensmittelverarbeitung.

2 Minuten Lesezeit

2017 hat der Tre Torri Verlag mit dem Foodmagazin „Beef!“ den Band „Raw“ zum ersten Mal herausgegeben. Ich selber war für die knapp 100 Seiten lange Einführung verantwortlich. Dabei ging es über die Geschichte der Lebensmittelverarbeitung, die Techniken der Haltbarkeitmachung von Essen, die Renaissance der Rohkost als Weltanschauung und den Einsatz von Rohprodukten in der aktuellen Kulinarik. Aber auch um so handfeste Themen wie einen Überblick über nützliche und schädliche Mikroorganismen sowie Tipps für die Küchenausstattung, Einkauf und Hygiene. Dieses Jahr ist der Band in der renommierten Teubner Edition neu erschienen. Hier ein Ausschnitt aus der ausführlichen Einführung:

Rohe Delikatessen aus aller Welt

„Rohes Obst und Gemüse haben nicht zuletzt dank der Rohkostbewegung ihren Platz auch in der Alltagsküche behalten können. Rohe tierische Lebensmittel haben dagegen in unserer um Hygiene besorgten Zivilisation keinen einfachen Stand. Das liegt nicht nur daran, dass rohes Fleisch in der gehobenen Küche als barbarisch galt und die meisten Rohköstler wiederum von tierischer Nahrung keine allzu gute Meinung haben. Sondern natürlich auch, weil die Gefahren, die in verdorbenem rohem Fleisch und tierischen Produkten, in Rohfisch oder Meeresfrüchten lauern, tatsächlich deutlich größer sind als in verfaultem Obst oder Gemüse.

Dabei haben bis in unsere Zeit die verschiedensten Praktiken des Rohverzehrs überlebt. In erster Linie natürlich dort, wo Fleisch und Fisch wirklich frisch sind, also direkt am Meer oder unmittelbar nach der Schlachtung. Roher, unbehandelter Fisch war in Europa allerdings nie sehr populär und hat eigentlich erst dank Sushi und Sashimi Einzug in westliche Küchen gehalten.

Nicht sehr viel älter ist die Tradition, rohen Fischrogen, also Kaviar zu verspeisen − bevorzugt natürlich vom Stör. Der kam erst nach der Erschließung Russlands durch die Eisenbahn und der Einführung geschlossener Kühlketten nach Westeuropa, also am Ende des 19. Jahrhunderts. Heute, nach der Überfischung der Bestände am Kaspischen Meer, darf der Kaviar auch vom Lachs, der Forelle, ja selbst vom Hering stammen. Viele Kaviarqualitäten kommen leider pasteurisiert und stark gesalzen in den Handel. Eine wohl von den Arabern stammende Spezialität, nicht nur in Sardinien, ist Bottarga, der gesalzene und getrocknete Rogen der Meeräsche.

Noch viel älter ist die Tradition, Schalentieren roh zu verspeisen. Tatsächlich sind zahlreiche Muschelsorten wie Herz- oder Venusmuscheln, aber Meeresschnecken wie die Napfschmecken oder die seltenen Abalonen, vorzüglich roh zu genießen. Von den geliebten Austern ganz zu schweigen. Aber das Meer ist eben auch schmutziger geworden – oder anders gesagt: mikrobiell belastet. Daher kann es bei „Wildware“ schnell mal zu einer Infektion kommen. Kommerziell vertrieben werden daher nur vor allem Zuchtaustern aus speziellen Farmen, wo das Wasser ständig geklärt wird. Nicht viel anders ist das bei Garnelen und Krustentiere, die roh ebenfalls eine große Delikatesse sind, wo aber nur noch beste Herkünfte auch bei Rohware unbeschwerten Genuss versprechen.

Bis vor wenigen Jahren war in Deutschland dagegen rohes Schweinefleisch, das „Mett“, allgegenwärtig. Der Begriff soll schon im Altsächsischen, also vor über tausend Jahren gebraucht worden sein. „Meti“ hieß damals einfach „Nahrung“ – kein Wunder, dass die Deutschen einen besonderen Ruf als Schweinefleischesser haben. Die aufgebrezelte, sprich gewürzte Variante, der Hackepeter, soll 1903 im Berliner Gasthof Martin in der Landsberger Straße erfunden worden sein. Als Mettigel oder Hackepeterschwein war er der Mittelpunkt der unvergessenen Partybüffets in den 1970er-Jahren.

In anderen Landstrichen sind Gerichte mit rohem Rind- oder Lammfleisch ebenso traditionell. In biblische Zeiten wird gerne der Ursprung des Kibbe Nayé versetzt, ein arabisches Tatar aus Lamm- oder Kalbfleisch mit Weizenschrot, Lammfett, Minze und Basilikum. Nicht viel jünger sind die äthiopischen Spezialitäten Kitfo (rohes Schabefleisch mit Minze, geklärter Butter sowie einer Chili-dominierten Marinade) und Gored gored (roh gewürfelt, unmariniert) sowie das türkische Çiğ Köfte mit Kreuzkümmel und Koriander …“

Raw. Dörren, Fermentieren, Pökeln & Beizen
Mit einer Einführung von Stefan Pegatzky

Teubner Edition
208 Seiten, Format: 22 x 28 cm, Hardcover, zahlreiche Abbildungen

© Fotos: Tre Torri Verlag

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