Castillo Ygay: Transformation einer Legende

Im Frühjahr dieses Jahres war Vicente Dalmau Cebrián-Sagarriga in Berlin, der Präsiden und Inhaber von Marqués de Murrieta. Anlass seines ersten Besuchs in der deutschen Hauptstadt war die Präsentation des neuen Jahrgangs Castillo Ygay Reserva Especial 2012. Für SLP die Gelegenheit zu einem ausführlichen Interview.

9 Minuten Lesezeit

SLP: Sie haben das Weingut 1983 nach dem Tod Ihres Vaters 1983 übernommen. Sie tragen die Titel eines Conde de Creixell und Barón de la Pobadilla und heißen wie Ihr Vater Vicente Cebrían-Sagarriga?

VD C-S: Ja, aber ich trage zwei Namen, Vicente Dalmau Cebrían-Sagarriga. Die Mutter meines Vaters, meine Großmutter, war in Galicien geboren, in Rías Baixas. Ihre Familie besaß dort ein sehr hübsches Anwesen, Pazo de Barrantes, mit einem alten Palast von 1511. Es gehört meiner Familie seit dieser Zeit. Heute produzieren wir dort unseren Albariño, auf einem schönen, 2019 renovierten Weingut. Von dort aus hat mein Vater 1983 entschieden, Marqués de Murrieta zu kaufen, das bedeutendste Weingut in der Rioja und mit 300 Hektar auch das Größte.

Das war ein bedeutender Schritt für unsere Familie. Mein Vater beschloss, in die Rioja zu ziehen, während ich selbst zu der Zeit in Madrid gelebt hatte. Also zogen wir aufs Land, in die Nähe des Weinguts. Damals war ich 16 Jahre alt, seitdem dreht sich alles um Weine, Weinberge und dieses wunderbare Unternehmen Marqués de Murrieta und Ygay, aber auch um den Albariño von Pazo Barrantes. Mein Vater starb dann viel zu jung 1996 mit 47 Jahren als ich 25 war. Seit dieser Zeit widme ich mich den beiden Gütern und konzentriere ich mich mit ganzer Kraft auf den Wein.

Die Anfänge

Gehen wir noch einmal einen Schritt zurück. Als Ihr Vater 1983 beschloss, Murrieta zu kaufen, tat er das auch mit Blick auf die offenen Märkte [nach der Annäherung Spaniens an die EG, SLP] und den zunehmenden Export?

Zu dem Zeitpunkt hat Marqués de Murrieta natürlich auch exportiert. Zum ersten Mal wurde auf Murrieta 1852 Wein im Ausland verkauft, nach Mexiko und Cuba. Marqués de Murrieta war immer stark im Export, aber zu dem Zeitpunkt dachte mein Vater, dass es möglich wäre, deutlich mehr Wein außerhalb Spaniens zu verkaufen.

Heute haben wir eine Exportquote zwischen 65 und 70 Prozent in mittlerweile 100 Ländern. Mit Pazo Barrantes und Murrieta produzieren wir nur eine verhältnismäßig kleine Anzahl Flaschen, aber wir suchen die besten Importeure in jedem Land und geben ihnen eine kleine Allokation unserer Weine.

Wie war der Zustand der Bodegas Marqués de Murrieta in 1983 beim Kauf?

Nicht gut. Das Gut gehörte der Murrieta-Familie in der dritten Generation, und sie hatte seit Jahren nicht mehr in das Weingut investiert. Die Beschäftigten waren qualifiziert, es gab sehr gute Kellermeister. Aber die Ausrüstung war alt, und es wurde kein Geld für Marketing und Vertrieb ausgegeben. Die Situation war ziemlich dürftig.

Veränderung der Perspektive

Zu dieser Zeit wurden noch Trauben dazugekauft?

Eigentlich war Murrieta immer ein Gut, bei dem die Trauben von den eigenen Weinbergen kamen. Als mein Vater das Anwesen kaufte, befanden sich 184 Hektar unter Reben. Ich erinnere mich nicht mehr daran, ob damals zugekauft wurde. Jedenfalls umfassen unsere Weinberge dort nun 300 Hektar. Wir haben die Mengen, die wir produzieren, erhöht. Aber alles konzentriert sich in Ygay [dem historischen Landgut nahe Logrono, SP]. Dort besitzen wir auch drei ganz besondere Weinberge, einmal die 6 Hektar große Lage Capellanía für unseren weißen Rioja, dann den 9 Hektar großen Canajas, wo Tempranillo, Graciano und Cabernet Sauvignon für den Dalmau stehen. Und schließlich im höchsten Teil des Anwesens, auf gut 500 Meter, La Plana, der die Trauben für den Ygay liefert. Alle übrigen Trauben des Weinguts fließen in den Marqués de Murrieta.

Castillo de Ygay hatte zunächst das Château-System in Bordeaux als Vorbild, entsprechend war der Wein eine Cuvée der besten Plots. Nähern Sie sich jetzt dem Viñedos-Singulares-Prinzip an?

Nein, Ygay war immer ein „Viñedo Singular“, ein ganz besonderer. Aber wir haben uns entschieden, der Viñedos-Singulares-Klassifizierung nicht beizutreten, das haben wir nicht nötig.

Aber Sie verfolgen jetzt einen eher burgundischen Ansatz …

Das ist völlig richtig. Seit 25, 30 Jahren konzentrieren wir uns auf dem Weingut auf die unterschiedlichen Plots, wir ordnen jede Lage einem Wein zu. Das haben wir grundlegend verändert: Wir haben nicht mehr einen Wein von einem „Estate“, sondern verschiedene Weine, die von verschiedenen Lagen des Weinguts kommen und wo jede Lage unterschiedlich ausgebaut wird.

Die Transformation des Ygay

Als 1996 María Vargas Kellermeisterin auf Murrieta wurde, änderte sich die Stilistik von Ygay.

Der Stil von Ygay ist sehr charakteristisch. Ich habe mit meinem Vater beschlossen, diesen Stil zu aktualisieren, uns vorwärts zu bewegen, aber die Identität nicht zu ändern. Wir wollten versuchen, einen Ygay zu schaffen, der der neuen Generation nähersteht, die mehr Frucht verlangt und eine größere Balance zwischen dem Holz und der Frucht. Zunächst wählte ich eine Parzelle für den Ygay aus sowie zwei Traubensorten: Tempranillo und Mazuelo. Dann beschloss ich, die Vergärung im Eichenholz beizubehalten, aber wir sind zu französischen Fässern gewechselt. Und hinsichtlich des Ausbaus sind wir von sehr alten Fässern, die ganz mit Weinsäure ausgekleidet waren, zu jüngeren französischen Fässern beim Mazuelo und amerikanischen für den Tempranillo übergegangen. Die Verweildauer im Fass ist kürzer, aber anstelle einer langen Reifung ohne Kontakt mit Sauerstoff [wegen der isolierenden Schicht aus Weinsäure innerhalb der Fässer, SP] nimmt der Wein in dieser Zeit mehr Sauerstoff auf.

Wir wollten versuchen, einen Ygay zu schaffen, der der neuen Generation nähersteht, die mehr Frucht verlangt und eine größere Balance zwischen dem Holz und der Frucht.

Vicente Dalmau Cebrían-Sagarriga

Nach nunmehr drei oder vier Jahren im Holz schließt sich bei den Ygays der neuen Generation eine Phase von zwei Jahren im Zement an. Warum Zement? Weil wir nach Komplexität, Eleganz und mehr Mineralität suchen. Letztlich ist Ygay die Verbindung von Eleganz und Komplexität, und wir haben uns gedacht, dass der Wein durch Zement einiges an Eleganz gewinnen könne. Wenn wir alte und neue Ygays gegeneinander verkosten, ist die grundlegende Identität der Weine dieselbe, aber es gibt einige Veränderungen. Der Wein ist fruchtbetonter, das Gleichgewicht zwischen Holz und Frucht ist besser. Und die Säure ist höher, weil Mazuelo mehr Säure bedeutet.

Rebsorten gegen den Klimawandel

Der Mazuelo hat bei Ihnen eine ganz neue Bedeutung gewonnen.

Wir haben glücklicherweise schon vor langer Zeit begonnen, mehr Mazuelo, aber auch mehr Graciano zu pflanzen. Und das ist für unsere Weine sehr wichtig, denn beide Trauben bringen Frische, Säure, Leben und Zukunft, weshalb wir in all unseren Weinen den Anteil von Mazuelo und Graciano erhöht haben. Sie sind unser Mittel gegen den Klimawandel, weil wir Weine mit mehr Frische und mehr Alterungspotenzial produzieren können. Und zuletzt haben wir die Reifezeit der Weine in der Flasche erhöht, also die Zeit, die sie im Weingut nach der Flaschenfüllung zubringen. Alle Ygays haben zurzeit mindestens fünf Jahre in der Flasche zugebracht, bevor sie auf den Markt kommen.

Das sind die Veränderungen. Aber noch immer produzieren wir kleine Mengen, noch immer gibt es Ygay nur in exzellenten Jahrgängen. Tatsächlich produzieren wir erst einmal in jedem Jahr einen möglichen Ygay, aber erst im zweiten Jahr im Fass entscheiden wir, ob der Wein wirklich ein Ygay wird oder nicht. Dabei geht es nicht in erster Linie um die Qualität, sondern um die Stilistik. Hat der Wein ausreichend Seele und Eleganz, ist das ein Ygay? Erst wenn wir das bejahen, bleibt er im Fass, geht dann in Zement und schließlich in die Flasche. Andernfalls blenden wir ihn mit Marquez de Murrieta, bevor der gefüllt wird, was dann gut 10 Prozent ausmacht. Wir stellen heute den Jahrgang 2012 vor. Aus 2013, 2014 und 2015 wird es keinen Ygay geben, erst 2016 wieder.

Dalmau

Aber Sie haben auch einen ganz neuen Wein kreiert.

Nachdem mein Vater verstarb, wollte ich eine große Revolution beim Wein in Gang setzen. Aber ich wusste, dass ich dafür bei dieser Art von Wein mindestens 15 Jahre benötigen würde. Nicht, wie gesagt, um das Konzept zu verändern, sondern um es zu aktualisieren. Deswegen habe ich den Dalmau geschaffen. Damals war ich sehr jung und wollte dem Markt zunächst einmal beweisen, dass ich überhaupt in der Lage war, erfolgreich Marqués de Murrieta zu leiten. Aber daneben habe ich ein Konzept eines Weines erdacht, den man früher freigeben könnte. Auch um zu signalisieren, dass sich auch auf einem klassischen Weingut wie Murrieta etwas ändert.

Dieser Wein bleib im Rahmen des Rioja, war aber international gedacht, mit mehr Power und Alkohol. Und für das erste Mal in der Geschichte von Murrieta habe ich neue Barriques gekauft. Und anstelle einer Alterung von sieben oder acht Jahren kam er nur für 18 bis 24 Monate ins Holz, wobei auch die malolaktische Gärung im Fass ablief. Das war wie ein Schock, eine Revolution. Dem Ganzen habe ich meinen Namen gegeben: Dalmau. Und das sollte die Geschichte sein: Da ist ein junger Mann nach dem Tod seines Vaters, der verkauft jetzt einen ganz eigenen Wein. Danach kam dann auch der neue weiße Rioja, Cappellanía, es kamen die neuen Weine von Murrieta und Ygay. So begann die neue Ära beim ersten Weingut der Rioja.

Ygay Blanco

Der weiße Ygay wird dagegen die Säule des Traditionalismus bleiben?

Das war die Herausforderung. Wir werden viele Dinge aktualisieren, aber gleichzeitig müssen wir uns und dem Markt zeigen, dass wir einen traditionellen, weißen Ygay im alten Stil machen können, und das haben wir geschafft.

Und Sie hatten auch etwas Erfolg ….

Exakt, mit dem 1986er hatten wir unglaublichen Erfolg. Weltweit waren alle Kritiker zufrieden mit dem Wein. Immer wieder 100-Punkte-Bewertungen, nicht nur in „Robert Parker’s Wine Advocate“. Das war nicht nur für uns wichtig, sondern für ganz Spanien, der erste Weißwein aus Spanien mit 100 Punkten. Und das aus der Rioja, die eigentlich für ihre Rotweine bekannt ist. Gut, heute gibt es einige Weingüter, die weißen Rioja produzieren, aber bei uns hat es Weiße von Anfang an gegeben. Aber der Ygay Blanco ist auch einzigartig. Er reifte mehr als 20 Jahre in alten amerikanischen Holzfässern und kam dann für gut acht Jahre in Zementtanks, bevor er 2014 auf die Flasche gefüllt wurde und 2016 auf den Markt kam. Wenn man den Wein probiert, ist es wie ein Schock. Er ist so kraftvoll und zugleich so elegant. Er ist ziemlich jung und gleichzeitig sehr reif. Es ist ein Wein der Kontraste, und das macht ihn völlig einzigartig in der Welt.

Pazo Barrantes

Was zeichnet Ihre Weine aus Galizien aus?

Ich denke, dass jetzt alle unsere Weine, abgesehen von der Qualität, etwas haben, das sie einzigartig macht, das ist ihre Persönlichkeit, ihre Seele. Ich würde nie sagen, dass unsere Weine die besten der Rioja sind oder Spaniens oder der Welt. Aber ich kann Ihnen sagen, dass unsere Weine einzigartig sind, und das ist einer der Grundsätze von Marqués de Murrieta. Das ist bei Pazo Barrantes nicht anders. Im Moment sind wir der einzige Produzent in Rías Baixas, der Weine mit einer Mindestalterung von fünf Jahren herausbringt. Das ist einzigartig, alle anderen Weingüter in Rías Baixas, mittlerweile gibt es 185, verkaufen vor allem jungen Albariño. Weine, die schon im Dezember, Januar auf den Markt kommen. Wir liefern erst nach vier bis fünf Jahren aus, nach einem Jahr im Tank, einem Ausbau in Akazienholzfässern und mindestens zwei, zweieinhalb Jahren in der Flasche.

Wir wollen strukturierte, ernsthafte Weine. Denn ich denke, der Albariño ist qualitativ eine der besten Rebsorten der Welt. Das benötigt Zeit, man muss ihn entsprechend ausbauen und ihn nicht beschleunigen. Neben dem Gran Vino produzieren wir noch La Comtesse. Die fermentiert drei Monate in französischen 3000-Liter-Fässern und reift dann am gleichen Ort auf der Hefe für 14 Monate und anschließend für 18 Monate im Zement und drei Jahre auf der Flasche, bevor er versendet wird. Seine Trauben kommen von einem kleinen Pago namens Cacheiro von 1,4 Hektar, der ältesten Parzelle des Gutes von 1965. Ein einzigartiger Wein, darum geht es uns. Man kann sie hassen, man kann sie lieben. Aber ich bin glücklich, dass ich nicht einfach nur hochwertige Weine produziere, sondern ganz besondere.

Die Unternehmensphilosophie

Marqués de Murrieta und Pazo de Barrantes sind im Alleinbesitz Ihrer Familie. Ist es heute in der Zeit der Konzerne und Unternehmensgruppen schwierig, unabhängig zu bleiben?

Das ist, was ich kenne, das ist, wie ich es mag … Ich denke, bei einem Projekt wie Murrieta kann man nicht den Druck, zu verkaufen, mit dem Druck, den besten Wein zu produzieren, kombinieren. Man kann einfach nicht beide Dinge gleichzeitig zu 100 Prozent tun. Beim Engagement von mir und meiner Familie geht es nicht um Umsätze, sondern um eine Lebensauffassung, um Romantik, wenn Sie so wollen. Ich bin verantwortlich für einen wichtigen Teil der Weinkultur, für einen Teil der spanischen Weingeschichte. Deswegen werde ich niemals die Identität und die Philosophie der Ygay-Weine verändern. In einem großen Konzern zu sein und zu versuchen, Marken wie Ygay oder Murrieta zu verwässern, um mehr Flaschen zu verkaufen, das ist nicht meine Vision. Meine Vision ist eine langfristige, verbunden mit Exzellenz, verbunden mit hoher Qualität und Persönlichkeit! Dazu sollte das Weingut besser in der Hand einer Familie bleiben.

Das Interview sowie das anschließende Menü samt Verkostung (inklusive Weine von Castillo Ygay der Jahrgänge 2012, 2011 und 1980 (in der Magnum) sowie Ygay Blanco 1986 fand am 8. Mai 2024 im Berliner Restaurant Verōnika statt. Die Übersetzung aus dem Englischen erfolgte von Stefan Pegatzky.

Bildrechte

Stefan Pegatzky / Time Tunnel Images

 

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