Unvergessen ist für mich die Berliner Meisterklasse von 2018 zum Launch des R. D. 2014: Das war nicht nur die Gelegenheit, neben dem damaligen Flaggschiff des Hauses in der Magnum (sieht man einmal von der Spezialität Vieilles Vignes Françaises ab) die Vorgänger 2002 und 1996 gegenzuprobieren. Sondern auch zu erleben, wie wesentlich der Einfluss der Belüftung auf große Champagner sein kann. An diesem Tag gelernt habe ich gelernt, wie sehr gereifte Vintages profitieren, wenn sie dekantiert werden.
2022, nach längerer Corona-bedingter Pause, bat Bollinger ins Frankfurter SkyKitchen hoch über der Bankenmetropole am Main. Wieder führte Denis Bunner, der charmante stellvertretende Kellermeister des Hauses, durch das Programm. Bunner ist für Bollinger gerade außerhalb Frankreichs so etwas wie das Gesicht der Maison geworden. Man muss kein Prophet sein um vorherzusagen, dass er eines Tages in die Fußstapfen von Chef de cave Gilles Dêscotes treten wird. Thema diesmal: der Holzeinfluss auf Champagne Bollinger. Neu präsentiert wurden Grande Année 2014 und Grande Année 2014 Rosé.
Holz als Stilmittel
Unter den großen Champagnerhäusern ist Bollinger eines der letzten, in denen der Ausbau im Holz ein wesentliches Stilmittel ist. Das führt grundsätzlich zu kraftvollen, sehr stoffigen Champagnern, die sich sehr gut als Essensbegleiter eignen. Gut 4.000 Holzfässer besitzt das Haus, im Wesentlichen in zwei Größen und ganz unterschiedlichen Altersstufen: Da sind zum einen gebrauchte 228-Liter-Pièces aus dem Burgund, die im Alter von vier oder fünf Jahren vom Tochterunternehmen Chanson aus Burgund nach Aÿ kommen und zum anderen „Pipes champenoises“ von 410 Litern. Dieses ungewöhnliche Format hat mit den traditionellen Pressen der Region zu tun, in denen 4000 Kilogramm Trauben verarbeitet werden konnten. Diese ergeben 2.050 Liter Vorzugsmost, die sogenannte „Cuvée“. Die wiederum können entweder in exakt zehn Pièces von 205 oder eben fünf Pipes von 410 Liter gefüllt werden.
Die ersten Flights
Der erste Flight des Tages drehte sich um das Alter der Fässer und dessen Einfluss auf die Sensorik der Grundweine. Tatsächlich beträgt das Durchschnittsalter der Fässer bei Bollinger etwa 20 Jahre. Darunter befinden sich neben der jüngsten Generation von „Vierjährigen“ aus Burgund auch bis zu 100jährige Pipes. Bei den drei Proben handelte es sich um Vins Clairs, also Grundweine aus 2021. Konkret: (natürlich weiß gekelterter) Pinot Noir aus Aÿ. Die beiden ersten, wie sich später herausstellte, waren in 228 Liter-Fässern (Sample 1 aus vierjährigen, Sample 2 aus 25-jährigen) ausgebaut. Die dritte aus 50-jährigen 410-Liter-Fässer. Die sensorischen Unterschiede waren offensichtlich: von einer fruchtbetonten, etwas vordergründigen Aromatik zu Beginn bis hin zu einer eher kargen, säuregeprägten Stilistik. Erst in der Assemblage, der immer wieder neu ansetzenden Arbeit am „Style de la maison“, wird dann die Harmonisierung dieser Charakteristika erfolgen.
Flight 2 war dann eher experimenteller Natur. Tatsächlich steht die Hausstilistik jeder Maison vor allem durch die Klimakrise unter erheblichem Druck. So versucht derzeit jeder Champagnerproduzent, durch Maßnahmen im Weinberg und im Keller insbesondere die Frische zu bewahren, die eine wesentliche Signatur des Champagners ist. In den Gläsern vier und fünf befand sich jedenfalls Pinot Noirs des Jahrgangs 2019 aus Verzenay – ein Cru, der zusammen mit Aÿ das rote Herzstück der „Grande Année“ bildet. Der hatte bereits die Flaschengärung hinter sich und war vor sechs Monaten degorgiert worden. Muster 4 war ausgebaut in einem Versuchs-Fass, das mit Stahl ummantelt war (ich nehme an, dass es sich dabei um die neuen „Fûts inox“ von Barrels Delafont handelt, wie ich sie zum ersten Mal 2021 im Torres-Weingut Purgatori gesehen habe). Muster 5 in alten Holzfässern von 410 Litern. Der Unterschied war augenfällig. Im ersten Fall eine sehr dezente, etwas reduktive Aromatik. Im zweiten Fall eine enorme Komplexität und Länge. Kein Zweifel, was mehr dem „Bollinger Style“ entspricht!
Die neuen Cuvées
Der zweite Teil der Verkostung drehte sich dann um die neuen Abfüllungen des Hauses. Zunächst im Vergleich La Grande Année 2014 gegenüber seinem unmittelbaren Vorgänger 2012. Zunächst fällt auf, dass sich die Cuvée mittlerweile deutlich von der klassischen Faustformel „Pinot Noir 70 % | Chardonnay 30 %“ entfernt hat. War es 2012 bereits ein Verhältnis von 65:35, so liegt es nun bei 61 zu 39. Das zweite Charakteristikum des neuen Jahrgangs betrifft die unübliche Dominanz der Pinot-Noir-Grundweine aus Verzenay gegenüber denen aus Aÿ im Blend, weil es direkt an der Marne zu stärkeren Regenfällen während der Ernte gekommen war.
Jedenfalls zeigt sich der junge Jahrgang noch ganz verhalten, mit etwas pubertärer Fruchtsüße, aber auch einer schönen jodigen Linie (95 Punkte). Dagegen zeigt sich der 2012er bereits gut entwickelt und orchestriert ein komplex-dunkles Aromenspektrum (96 Punkte). Den Abschluss bildete dann La Grande Année 2014 Rosé, bei dem die Grundweine des Blanc mit 5 Prozent rotem Stillwein von Bollingers Monopollage La Côte aux Enfants assembliert wurden. Ein wunderschöner, sehr seriöser Rosé-Champagner mit kühler Frucht und feiner Salzigkeit bei zurückhaltender Dosage (96 Punkte).