Kochkunst vol. 4: Jesus von Nazareth (33 n.)

Der Begründer des Christentums ist nicht als Feinschmecker bekannt geworden. Und dennoch sollte das von ihm gestiftete Abendmahl die Gastronomie verändern. Von nun an verfügte das Christentum mit dem Anspruch, Gott selbst zu essen, über die ultimative Delikatesse. Nahrung war nun mehr als nur eine mehr oder weniger gelungene Mahlzeit, sie entschied über Erlösung und Verdammnis. Das prägt unsere Vorstellungen über das Essen noch heute.

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Der Bruch mit der jüdischen Tradition

Samaritanisches Pessachopfer auf dem Berg Garizim.

Pessachfeiern kannte die jüdische Welt wohl seit dem Bau des ersten Tempels in Jerusalem, also seit beinahe 3.000 Jahren. Die gemeinsame Feier, bei der der Verzehr eines Opferlamms im Zentrum stand, sollte an den Auszug der Juden aus Ägypten erinnern. Jesus von Nazareth hat am Vorabend seines Todes Pessah mit seinen Jüngern gefeiert, an dem Tag, den Christen heute „Gründonnerstag“ nennen. So wie Jesus das Pessahmahl zubereitet hat, wird es heute nur noch von der kleinen Gemeinschaft der Samaritaner zelebriert. Im Judentum hat sich nach der Zerstörung des Tempels (70 n. Chr.) das Ritual des Sedermahles ohne Tieropfer herausgebildet, bei dem jeder Bestandteil der Mahlzeit festgelegt ist und eine symbolische Bedeutung hat: das Lamm, der Wein, das ungesäuerte Brot, die Bitterkräuter, ein gesottenes Ei und andere.

„Fractio panis“, die älteste Darstellung des christlichen Brotbrechens in der Priscillakatakombe in Rom aus dem 2. Jhd.

Aber auch Jesus von Nazareth hat am Vorabend seines Todes das Pessachmahl grundlegend verändert: Nachdem er in der Tradition des jüdischen Hausvaters das Brot gebrochen und an seine Jünger verteilt hatte und alle vom Wein verkostet hatten, erklärte er: „Nehmet hin und esset: Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird … Das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird.“ Es ist ein zentraler Moment für die Geschichte des Christentums. Das nicht nur dem Pessachmahl nachempfundene, sondern auch in der Tradition der antiken Symposien stehende Gemeinschaftsessen wird ein zentrales Kennzeichen der frühen christlichen Gemeinden, die die missionierenden Jünger nach Tod und Auferstehung von Jesus gründen werden. Bei diesen „Agape-Feiern“, ging es, wie die Apostelgeschichte bezeugt, durchaus fröhlich zu, und sie standen in scharfem Kontrast zur asketischen Praxis der Wüstenväter der frühen Kirche.

Von der Agape-Feier zum Abendmahl

Christus als eucharistischer Heiland mit Hostie und Kelch.

Vom sinnlichen „Sättigungsmahl“ getrennt und in den sonntäglichen Gottesdient integriert wurde ab dem 2. Jahrhundert das Ritual der Eucharistie, in Luthers Übersetzung das Abendmahl, mit Brot und Wein. Nicht zuletzt, weil dessen Kernbotschaft, Gott zu essen, eigentlich ein Skandal ist, hat es in der Geschichte des Christentums erhebliche Auseinandersetzungen um dessen Bedeutung und die konkrete Durchführung gegeben: Nicht zuletzt über die Fragen, ob nicht besser Wasser oder Traubensaft statt Wein (und wenn, dann Rot- oder Weißwein, oder gar einer ohne Alkohol) verwendet werden sollte, ob Lamm oder Fisch (wie in einer Reihe frühchristlichen Darstellungen), ob gesäuertes oder ungesäuertes Brot (Orthodoxe und Reformierte versus Katholiken und Lutheraner), hat sich die Kirche mehrmals gespalten.

Brot und Wein

Jörg Breu d. Ä: Szenen aus dem Leben des hl. Bernhard, um 1500.

Für die Geschichte der Kochkunst brachte das Abendmahl zwei Innovationen mit sich, eine unmittelbare und eine mittelbare: Zum einen begann man sich spätestens zur Zeit der Karolinger Gedanken über die Qualität der Grundprodukte des Abendmahls zu machen. Der sich allmählich immer deutlicher durchsetzende Gedanke, dass im Vollzug des Abendmahls Brot und Wein Gott nicht nur symbolisieren, sondern wesenhaft identisch mit ihm sind, legten es nahe, hierfür besonders gute Grundprodukte auszusuchen und diese in besonderer Qualität und möglichst rein zu verarbeiten.

Für die nord- und mitteleuropäischen Staaten des frühen Mittelalters hatte das etwa die Konsequenz, dass die Hostien seit 1170 nicht mehr aus der hier verbreiteten Gerste, sondern ausschließlich aus dem kostbareren Weizen hergestellt wurden, weil, wie Petrus Comestor argumentierte, Gerste die Speise der Zugtiere sei. Dass Brot und Wein „absolut rein“ sein müssten („mundissimum“) hatte bereits Alkuin, der Hoftheologie Karls des Großen, 798 postuliert. Kein Wunder dass – obwohl die Völlerei immerhin als Todsünde galt – die Klöster bis zur französischen Revolution Zentren eines immensen agro-kulinarischen Wissens waren.

Mönch verkostet aus dem Fass, Initiale, spätes 13. Jhd.

Etwa im Weinbau: Durch das Gebot, den Wein „naturrein“ auszubauen und sich nicht an den jeweils zeittypischen Verpanschungen zu beteiligen, wurden kirchliche und klösterliche Weingüter in ganz Europa seit dem frühen Mittelalter zu Leuchttürmen der Weinqualität – ausgehend vom Clos Vougeot in Burgund bis hin zum Kloster Eberbach im Rheingau. Der Kardinal de Bernis etwa feierte das Abendmahl ausschließlich mitt feinstem, unverschnittenem Meursault, schließlich solle Gott im Moment der Kommunion keine Grimasse ziehen. Noch im Namen des ersten deutschen um Qualitätswein bedachten Winzerbundes, dem „Verband Deutscher Naturweinversteigerer“ von 1910, hallt dieses kirchliche Ethos nach.

Nahrung als spirituelle Heilung

Ackerbau im Sinne der Lebensreform auf dem Monte Verità.

Mindestens so gewichtig waren die indirekten Auswirkungen. Denn Gott zu verspeisen verändert die Menschen, sie werden zu dem, was sie essen. Für die Gläubigen stand das fast alchimistische Versprechen von Reinigung, Verwandlung und Erlösung an erster Stelle. Spätestens seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts trat neben oder anstelle des Modells der „Kommunion“ mit Gott beim Abendmahl das der Vereinigung mit der Natur: Seit Rousseau und den Lebensreformern des 19. und 20. Jahrhunderts glauben viele Menschen nicht nur körperliche, sondern auch spirituelle Heilung durch Ernährung möglichst purer, unverarbeiteter „Naturnahrung“ wie etwa Rohkost zu erfahren. Wer glaubt, dass eine solche Haltung, für die jede Verfeinerung eine Verderbnis darstellt, das Gegenteil von Kochkunst bedeutet, sei daran erinnert, dass gerade die „Nouvelle Cuisine“ von ihren Protagonisten in erster Linie als eine „Cuisine Naturelle“ verstanden wurde.

Die zwei Wege der Nachfolge Christi

Joachim Beuckelaer: Die gut ausgestattete Küche. Antwerpen, 1566. Dass es sich hier um eine Variation des Jesus-Maria-Marta-Themas handelt, macht die Szene im Hintergrund klar.

Die christliche Lehre hat gemäß dem Leben Jesu und der biblischen Überlieferung Mäßigung bis hin zur Askese zur vorbildlichen Tugend erklärt. In der Bibel selbst aber ist im Gleichnis von Maria und Martha auch eine zweite Möglichkeit der Nachfolge Christi angelegt. Jesus besucht das Haus der beiden Schwestern mehrmals. Wiederholt wird in der Bibel darauf hingewiesen, welchen Aufwand Marta deswegen aufwendet, während Maria dabei seinen Lehren lauscht. Jesus Reaktion ist nicht eindeutig. Zunächst bevorzugt er die Haltung Marias. Doch als anlässlich eines zweiten Gastmahls im Haus der Schwestern ein Jünger mahnt, die Ausgaben dafür lieber den Armen zu spenden, wendet er ein: „Die Armen habt ihr immer bei euch, mich habt ihr nicht immer bei euch.“ Das Motiv „Jesus im Haus von Maria und Marta“ wird Malern der Frühen Neuzeit Gelegenheit geben, die Sinnlichkeit von Küche und Lebensmitteln in Szene zu setzen wie nie zuvor.

Der Teller: Pessach-Lamm

Der Rosmarin auf dieser Lammkeule entspricht vermutlich nicht dem orthodoxen Ritus.

Die Zubereitung eines Pessachlammes nach traditionellem Ritus hat Andrea Krogmann bei den Samaritanern auf dem Berg Gazirim beobachtet: Demnach sieht das traditionelle Pessach-Mahl ein „fehlerfreies, männliches, einjähriges Lamm“ für jede Familie vor, das gegen Abend geschlachtet, über dem Feuer gegart und hastig gegessen wird. Gemäß dem biblischen Bericht über den Auszug Israels aus Ägypten mit den „Schuhe an den Füßen, den Stab in der Hand“.

Bei der Prozedur werden die ausgebluteten Tiere vorsichtig gehäutet und gereinigt, dabei darf kein Knochen verletzt werden. „Die Herzen und andere Organe der Opfertiere wandern ins lodernde Feuer des Hauptopferfeuers; die Tiere selbst werden gesalzen und garen, auf Spieße gesteckt, in Brennöfen ähnelnden Feuergruben, deren Öffnung mit einem hölzernen Deckel, Kräutern und Ton verschlossen wird. Erst gegen Mitternacht ist das Fleisch gar, und jede Familie bekommt ihren Anteil. Was nicht bis zum Morgengrauen gegessen wurde, wird ebenfalls verbrannt − ganz so, wie es in der Bibel steht.“

„Agnus Dei“ von Francisco de Zurbarán, zwischen 1635 und 1640
Bildrechte

Beitragsbild: Jacopo Bassano: Das letzte Abendmahl (um 1846). Galleria Borghese, Rom

Pessach-Lämmer: Deror_avi auf Wikimedia, CC BY-SA 3.0, 25. April 2013

Fractio panis: gemeinfrei

Jesus als Heiland der Eucharistie: Juan de Joanes, Spanien nach 1550. Vicente Juan Masip – The Yorck Project (2002) 10.000 Meisterwerke der Malerei (DVD-ROM), DIRECTMEDIA Publishing GmbH. ISBN: 3936122202.

Jörg Breu d. Ä: Bernhardsaltar aus der Stiftskirche in Zwettl. The Yorck Project (2002) 10.000 Meisterwerke der Malerei (DVD-ROM), DIRECTMEDIA Publishing GmbH. ISBN: 3936122202.

Mönch verkostet aus dem Fass, Initiale, spätes 13. Jhd. In: Li livres dou santé von Aldobrandino of Siena. British Library manuscript Sloane 2435, f. 44v.

Monte Verità: Joseph Salomonson beim Gartenbau auf dem Monte Verità, Foto um 1903. Urheber unbekannt

Joachim Beuckelaer: Rijksmuseum Amsterdam

„Agnus Dei“: Museo del Prado

Lammkeule: Benoît Prieur (2016), Creative Commons CC0 1.0 Universal Public Domain

Literatur

Andrea Krogman: Blutige Erinnerung. Die Samaritaner schlachten noch Pessachlämmer. https://www.domradio.de/artikel/die-samaritaner-schlachten-noch-pessachlaemmer vom 10.04.2017

Jean-Pierre Poulain: Sociologie de l’alimentation. Paris 2002.

Anselm Schubert: Gott essen. Eine kulinarische Geschichte des Abendmahls. München 2018.

Sandra Sweeny Silver: Communion in the Early Church. https://earlychurchhistory.org/beliefs-2/communion-in-the-early-church/

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