Porträt: Champagne Valentin Leflaive

2021 ist mein Buch „Champagner: Die 100 wichtigsten Maisons, Winzer und Kooperativen“ erschienen. Damals fiel es mir ausgesprochen schwer, unter den Hunderten erstklassig arbeitenden Champagnerproduzenten eine Auswahl zu treffen. Deswegen gibt es online auf Sur-la-pointe eine Fortsetzung! Teil 9 widmet sich einem Haus mit Wurzeln im Burgund.

5 Minuten Lesezeit

Geschichte

Wer wissen möchte, welchen Anspruch Champagne Valentin Leflaive verkörpert, muss zurück ins Ende der Achtzigerjahre gehen. Damals versuchte Oliver Leflaive gemeinsam mit Anselme Sélosse Champagne Salon von Besserat de Bellefon zu kaufen. Daraus wurde nichts. 1989 wurde das legendäre Champagnerhaus von Bernard de Nonancourt gekauft und der Laurent-Perrier-Gruppe einverleibt. Gut 30 Jahre später wagte Leflaive einen neuen Anlauf. Er kaufte Trauben vom 2014er-Jahrgang und ließ sie vom Winzerfreund Erick de Sousa vinifizieren. 2018 kamen die ersten Cuvées unter dem Namen seines 2007 geborenen Sohnes Valentin auf dem Markt. Unter Leitung von Jean Soubeyrand, des Vorstandsvorsitzenden der Maison Olivier Leflaive, errichtete das Haus in Oger anschließend eigene Produktionseinrichtungen. 2020 schließlich erhielt Champagne Valentin Leflaive den offiziellen Status eines Négociants und konnte im Herbst des Jahres erstmals die Trauben im eigenen Keller ausbauen. Im Juni 2023 ersetzte der von Champagne Drappier kommende Elysé Brigandat Christophe Pithois als Chef de cave.

Damit hatte erstmals ein burgundisches Handelshaus Wurzeln in der Champagne geschlagen. Tatsächlich sitzt die Maison Olivier Leflaive in Puligny-Montrachet und blickt auf eine große Tradition zurück. Die Familie ist erstmals 1580 mit Marc Le Flayve in der Nähe von Beaune nachgewiesen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts baute Joseph Leflaive das familieneigene Weingut von 2 auf 25 Hektar aus. Nach dessen Tod 1953 übernahmen die Söhne Jo und Vincent die Domaine. 1982 nahm Olivier Leflaive den Platz seines Vaters Jo ein. Olivier gründete parallel zur Domaine auch ein eigenes Handelshaus, was 1990 problematisch werden sollte, als Cousine Anne-Claude die Nachfolge ihres Vaters Vincent einnehmen sollte. Der Krach zwischen beiden endete mit der Abberufung des Geschäftsführers Olivier Leflaive. Was sich für diesen wie eine Katastrophe anfühlte, erwies sich später allerdings als glückliche Fügung. Heute existieren beide Häuser erfolgreich nebeneinander, wobei die Maison Olivier Leflaive seit 2010 von Oliviers Schwiegersohn Jean Soubeyrand geleitet wird.

Stilistik

Burgundische Winzerphilosophie beherrscht die Champagner von Champagne Valentin Leflaive. Das heißt: Als Trauben werden Chardonnay und Pinot Noir verwendet, und zwar (fast) ausschließlich reinsortig. Auch bei der Herkunft der Trauben wird deutlich voneinander unterschieden: Die Chardonnays kommen von den Côtes des Blancs, die Spätburgunder von der Montagne de Reims, aktuell Verzenay und Verzy im Nordosten. Bezogen wird die Ernte von etwa 12 Hektar von Vertragswinzern, eigene Weinberge hat das Haus noch keine. Die Bewirtschaftung erfolgt gemäß der „Culture raisonnée“, also mit dem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln nur bei Bedarf und nicht schon vorbeugend wie im Konventionellen Weinbau. Die Diskussion um die Biodynamie war ja seinerzeit einer der Hauptstreitpunkte zwischen Olivier und Anne-Claude Leflaive gewesen. Burgundisches Selbstverständnis verrät auch die Betonung der Basisjahrgänge, falls die Cuvées nicht sowieso Vintage-Champagner sind. Und selbstverständlich der Terroir-Ansatz. Also die Betonung der Herkunft im Sinne von Gemeinden (in der Champagne „Crus“) sowie Einzellagen, den Lieux-dits.

Entsprechend diesem Ansatz werden die Partien aller einzelnen Parzellen separat vinifiziert, weshalb sich im Keller eine Menge verschiedener Gärgebinde befinden. Und auch hier setzt der Ursprung aus der südlichen Nachbarregion Akzente. So kommen neben dem Edelstahl auch gebrauchte Pièces (228 Liter) des Mutterhauses zum Einsatz, in denen zuvor Pulignys und Meursaults ausgebaut worden waren. Die Ausnahme ist der Pinot aus Verzenay, für den ein Fuderfass angeschafft wurde. Die malolaktische Gärung wird teilweise blockiert, weil „Frische, Spannung und die Mineralität der Kreide“ die stilistischen Leitbilder des Hauses sind, wie es Kellermeister Elysé Brigandat in einem Interview ausgedrückt hat. Dem entspricht auch die niedrige, eigentlich immer im Extra-Brut befindliche Dosage. Die derzeit präsentierten Cuvées weisen noch keine allzu lange Dauer der zweiten Flaschengärung auf. Es wird sich zeigen, ob das, wie bei manchem Winzer in der Champagne, eine stilistische Entscheidung ist. Oder einfach der noch jungen Gutsgeschichte geschuldet ist.

Portfolio

Champagne Valentin Leflaive möchte nach eigener Aussage „die Codes des Burgunds in der Champagne wiederholen“. Dieser klare Ansatz macht tatsächlich ein Gutteil der Bedeutung aus, die das junge Champagnerhaus bereits besitzt. Denn es strukturiert sein Portfolio von derzeit 14 Cuvées analog dem Burgund in einer Pyramide. Dazu gibt es ein Bezeichnungssystem aus Farben, Zahlen und (gelegentlich) Buchstaben, um das zu unterstützen. Bei den Farben steht gelb für Chardonnay (der etwa 70 Prozent des Angebots ausmacht), rot für Pinot Noir und rosa für Rosé. Die Zahlen stehen an erster Stelle für den Basiswein oder Jahrgang, an zweiter für die Dosage. Wobei bei den jüngeren Abfüllungen Angaben wie 3.0 logischer auf 3 Gramm Dosage pro Liter verweisen als zuvor die Angabe 30. Buchstaben verweisen im Einstiegsbereich auf Cuvées, wie etwa BA für Bouzy und Ambonnay. M soll einmal für „Millésime“, also Jahrgangschampagner stehen, von denen es derzeit allerdings keinen im Sortiment gibt.

Konkret sind das an der Basis die sogenannten „Signatures“. Zunächst der Σ (sprich Sigma) 20 4.0, , ein reinsortiger Chardonnay-Champagner aus sieben Gemeinden der Côtes des Blancs. Ihm zur Seite stehen ein zweiter Blanc de Blancs, nämlich der CV 19 3.0 aus Cramant und Vertus. Und schließlich der Rosé MA 18 6.0, der einzige Blend aus Chardonnay und Pinot Noir (aus Le Mesnil und Ambonnay). Auf der zweiten Ebene der Villages oder Crus finden sich aktuell sieben Cuvées. Vier Blancs de Blancs Grand Cru: Le Mesnil-sur-Oger 17 5.0, Avize 18 4.0, Oger 20 3.0 und Cramant 20 2.0. Zwei Blanc de Noirs Grand Cru : Verzenay 20 3.0 und Verzy 20 4.0. Sowie ein Rosé Grand Cru, Verzenay 20 6.0, ebenfalls komplett aus Pinot Noir. An der Spitze stehen dann vier Lieux-dits. Einmal zwei Blancs de Blancs, nämlich der Premier Cru Dizy Les Terres Rouges 20 4.0 und dann der Grand Cru Oger Les Peignottes 20 3.0. Den Abschluss bilden der Blanc de Noirs Grand Cru Verzenay Les Correttes 20 3.0 sowie der Rosé Grand Cru Verzenay Les Marquises 20 5.0 (wieder reinsortig Pinot Noir).

Verkostung

Nach einem Reinschnuppern ins aktuelle Sortiment im Oktober (mehr hier) stellte das Haus sieben Cuvée zur Degustation zur Verfügung. Den Einstieg bildete die Cuvée Σ 20 4.0., die neben den Grundweinen aus 2020 28 Prozent Reserven enthält. Die Perlage ist lebhaft, im Bouquet dominieren reifer Apfel, Honigmelone und Mandarine sowie zu Beginn etwas laktische Noten. Gibt sich reif, kräftig und recht weich am Gaumen, gewinnt beim Essen aber an Präzision. Wirkt süßer, als es die gerade einmal 4 Gramm Dosage vermuten lassen (89–90 P.) Oger 20 3.0 (10% Reserven) ist dunkler im Ausdruck, mit Äpfeln, Kokosblütenzucker und Kaffee in der Nase. Recht opulente Textur bei mittlerer Säure, aber zunächst aromatisch am Gaumen recht bedeckt. Mit etwas Luft dann bald deutlich komplexer, mit iodig-salzigem Abgang (92 P.). Das Gegenstück hierzu ist der „hellere“ und fast etwas vordergründige Cramant 20 2.0. Schlank, pur und sehr trocken, ein schöner Aperitif (91 P.)

Der zartrosa Reflex verrät beim Verzy 20 4.0 den Pinot Noir. Auch die Noten von Himbeeren und Brombeeren sind typisch. Mit lebhafter, aber feiner Mousse, breiten Schultern, straffem Körper und präziser Säure gibt sich der Champagner ausgesprochen vital. Der Wein vereint sehr schön die Kühle und Kraft der Lagen von der nordöstlichen Montagne de Reims. Dazu ist er ein hervorragender Essensbegleiter und durchaus für etwas Flaschenlagerung geeignet (92 P.). Das gleiche gilt auch für den Rosé d’assemblage Verzenay 20 6.0. Für einen reinsortigen Pinot Noir besitzt der Champagner viel Spiel und Eleganz. Sein Bouquet wird von Erdbeeren, Äpfeln und Gewürzen dominiert, am Gaumen zeigt sich bemerkenswert viel Tiefe (92 P.). Die Reben für diesen Champagner haben, wie auch bei einigen anderen Cuvées, ein Alter von 55 Jahren, was anderorts zumeist als “Vieilles Vignes“ (Alte Reben) kommuniziert wird. Vielleicht ist das ein Grund für die – trotz relativ kurzer Flaschengärung – bemerkenswerte Vielschichtigkeit.

Die Lieu-dits

Von den vier angebotenen Lieu-dits konnte ich zwei verkosten, und es war ja tatsächlich der Oger 20 3.0 Les Peignottes, der 2024 meine Aufmerksamkeit geweckt hatte. Der bestätigte in dieser Verkostung erneut seine Klasse. In der Nase zeigen sich weiße Blüten, Zitrusnoten, Orangenzeste und Brioche. Am Gaumen vielschichtig, aber kristallklar, dabei sehr „saftig“ (95 P.). „Burgundisch im Ausdruck, ohne die Champagne zu verleugnen“, kommentierte ein Mitverkoster. Die gleiche Saftigkeit bei großer aromatischer Raffinesse zeichnet auch den Verzenay Les Corettes 20 3.0 aus. Hier herrschen freilich Aromen von roten Beeren, Steinfrüchten und etwas Toast vor. Am Gaumen ist der Champagner etwas weiniger und direkter als der Oger, wobei Letzteres vermutlich seiner Jugend geschuldet ist. Derzeit 93 Punkte mit einer Prognose für mehr. Die ersten fünf Cuvées wurden im Oktober 2023 degorgiert, die beiden Lieu-dits im November 2023. Im Frühjahr 2025 wird das Haus gleich sechs neue Lieu-dits vorstellen.

Bildrechte

Stefan Pegatzky / Time Tunnel Images

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