Zudem wurde auf der ProWein 2025 trotz schwieriger allgemeiner Rahmenbedingungen eine ganze Reihe neuer, interessanter Cuvées vorgestellt. Und nicht zuletzt konnte man ohne Hektik auf die Suche nach Neuentdeckungen gehen. Meine Auswahl von neun Champagnern (plus ein Stillwein aus den Coteaux Champenois) versteht sich nicht als objektives Best-of. Champagner, über die ich bereits an anderer Stelle geschrieben habe, sind nicht enthalten. Aber jede Cuvée verkörpert meisterliches Savoir-faire und rangiert an der Spitze der aktuellen Champagner-Produktion.
1. Champagne Lallier Ouvrage Grand Cru Extra Brut
Der Name Lallier ist seit etwa 1900 eng mit der Champagne und der Gemeinde Aӱ verbunden. Zunächst freilich vor allem als Inhaber der Maison Deutz & Geldermann (bis 1993). Aus der entwickelte sich die Marke Champagne Lallier langsam und mit vielen Wechselfällen heraus (ausführlich in meinem Champagnerbuch). Im Frühjahr 2020 gab das italienische Spirituosenunternehmen Campari-Milano bekannt, dass es 80 Prozent von Champagne Lallier übernommen habe. 2021 wechselte Dominique Demarville, der langjährige Chef de cave von Veuve Clicquot, zu Lallier.
Die Cuvée Ouvrage gehört heute bei Lallier zu den Grands Crus Créations und wurde bis vor Kurzem als Domaine Lallier etikettiert. Anders als die Mono-Parcellaires-Abfüllungen Les Sous und Loridon, die in Deutschland nicht vertrieben werden, stammt Ouvrage aus zwei Parzellen. 35% Chardonnay von Les Hureux in Oger. Und 65% Pinot Noir aus Le Meurtet in Aӱ. Ouvrage bedeutet bei Lallier: komplette Handarbeit vom Weinberg bis zum Keller sowie Flaschenlagerung unter Naturkork. Die aktuelle Edition (Basis 2019, 4 Gramm Dosage) verkostet sich sehr klassisch und großzügig, mit Noten von Steinobst und Brioche. Gute Säure, einige Komplexität und Dichte (94 P.).
2. Champagne Jacquart Chouilly Grand Cru Blanc de Blancs 2014 Brut
Champagne Jacquart hat im Vorjahr seinen 60. Geburtstag gefeiert – und konnte ebenfalls auf eine wechselvolle Historie zurückblicken. Um eine lange Geschichte kurz zu machen: Die Marke war einst das Aushängeschild einer Kooperative aus Reims und ist heute im Besitz der Genossenschaftsgruppe Alliance Champagne. Diese spielt Champagne Montaudon als fruchtbetonte Zweitmarke im Lebensmitteleinzelhandel. Jacquart dagegen hat stark von der Premiumisierungsstrategie der letzten Jahre profitiert. Oberhalb des populären Einstiegssegments unter dem Label Mosaïque finden sich ausgesprochen gelungene Cuvées zu einem hervorragenden Preisleistungsverhältnis. Aktuell überzeugen etwa Signature Brut B016 sowie Blanc de Blancs 2016 Brut, der in Düsseldorf Premiere feierte.
Den 60. Geburtstag nahm das Haus auch zum Anlass, seine um 2020 begonnene Mono-Cru-Reihe um eine dritte abschließende Cuvée zu ergänzen. The Triple 1 Collection nennt sich das Ganze nun: eine Rebsorte, eine Gemeinde, ein Jahrgang, jeweils nur etwa 3.000 Flaschen. Die Reihe begann mit dem Blanc de Blancs Grand Cru Chouilly 2014. Es folgte Blanc de Blancs Premier Cru Villers-Marmery 2016. Und schließlich bildete der Blanc de Noirs Grand Cru Aӱ 2018 den Abschluss, ein Novum für das Haus mit seinem Chardonnay-Schwerpunkt. Mein Favorit in diesem Trio ist der Chouilly. Sehr frisch, mit grünem Apfel und reifen Zitronen in der Nase, am Gaumen dicht und vertikal, mit knackiger Säure. Hat noch eine schöne Zukunft vor sich (94 P.)
3. Champagne Mandois Clos Mandois 2012
Die kleine Maison Mandois aus Pierry aus dem südlichen Hügelland von Épernay hatte ich lange Zeit übersehen. Zuletzt gab es dann Nachrichten über den Neubau einer beeindruckenden State-of-the-Art Kellerei. Hier werden die Grundweine der besten Parzellen des Weinguts teils in tulpenförmigen Zement-Fermentern, teils in Holzfässern von Taransaud und Stockinger vinifiziert. Zeit für einen Besuch also. Auf der ProWein konnte ich Claude Mandois begrüßen, in fünfter Generation der Chef des Familienbetriebes. Hier werden Trauben ausschließlich von südlich der Marne verarbeitet, im Rebspiegel der 35 Hektar eigener Weinberge dominiert Chardonnay.
Chef de Cave Maximilien de Billy präsentierte eine ausgesprochen stimmige Kollektion. Rassig der Blanc de Blancs Victor 2013, würzig-pfeffrig der ausdrucksvolle Rosé Victor 2016. Über diesen aber thront der Clos Mandois 2012, ein reiner Meunier aus einer 1,5-Hektar Monopollage in Pierry. Nur in Ausnahmejahrgängen erzeugt und im Holz ausgebaut, ist dies die einzige Cuvée der Maison, in der die Malo geblockt wird. Das bewahrt die Frische, die sich mit der eindrucksvollen Komplexität vortrefflich vermählt (95 P.).
4. Champagne Gosset 21 ans de cave à minima Extra Brut
Der Messeauftritt von Champagne Gosset stand in diesem Jahr im Zeichen der neuen Rosé-Cuvée „Suzanne Gosset“. Sie hatte die heute in Épernay ansässige Maison viele Jahre geleitet, und zum einen die Verwendung einer transparenten Flasche und zum anderen den ersten Rosé des Hauses eingeführt. Im Prinzip ist es die Wiederaufnahme einer Jubiläumscuvée Grand Rosé Millésime 1985, nun allerdings aus der Ernte 2017 (allerdings ohne Nennung des Jahrgangs). Ein sehr eleganter, gelungener Champagner, der sich komplexer und weiniger präsentiert als der „Standard“ Grand Rosé.
Beinahe unbemerkt blieb die zweite Neuheit: 21 ans de cave à minima Extra Brut. Das ist eine Reihe, die vor einigen Jahren von Kellermeister Odilon de Varine eingeführt hatte. Es sind Champagner, bei denen die Länge der Flaschengärung und die komplexen Autolyse-Aromen wichtiger sind, als die Nennung eines Jahrgangs. Die Reihe startete zunächst mit einem 12- und einem 15-jährigen. 2023 wurde der 12 ans Rosé vorgestellt (mehr hier). Nun also die sehr limitierte Abfüllung (1.200 Flaschen) des 21ers aus dem Basisjahrgang 2000. Ein enorm komplexer Champagner für Fortgeschrittene, mit Aromen von Quitte, Kräutern und Toast (96 P.).
5. Champagne Collard-Picard Archives Millésime 2012
Die Maison Collard-Picard ist in mancher Hinsicht eine Ausnahme. Als einziger Winzerbetrieb (Récoltant Manipulant) residieren sie etwa an der noblen Avenue de Champagne in Épernay. Gegründet wurde das Haus durch die Verbindung von Olivier Collard und Caroline Picard. Er aus einer Champagner-Familie im Vallée de la Marne, sie aus einer von den Côtes de Blancs. Kein Wunder, dass die besonderen Stärken bei Chardonnay und Meunier liegen. Letzterer wird in der Cuvée Racines reinsortig abgefüllt. Mit dem Zusatz „Autre Crus“ verweist die Familie ironisch auf den geringen Status der Champagner von der westlichen Marne. Das Gegenstück ist der Dom. Picard Blanc de Blancs Grand Cru aus dem (nicht gekennzeichneten) Jahrgang 2020.
Der Höhepunkt in der Verkostung war der Archives Millésime 2012, produziert nach Art und Weise der Vorfahren. Eine Cuvée mit 80% Chardonnay aus Le Mesnil-sur-Oger und 20% Pinot Noir aus der Parzelle Les Oies in Reuil am rechten Marneufer. Die Grundweine werden vor der Tirage 30 Monate in Holzfässern auf der Hefe ausgebaut. Das Resultat ist ein sehr vielschichtiger Champagner mit Aromen von roten Beeren und Brioche, der am Gaumen kraftvoll und frisch zugleich wirkt (95 P.).
6. Champagne Besserat de Bellefon Cuvée des Moines Blanc de Blancs 2015 Extra-Brut
Besserat de Bellefon ist ein must-go auf jeder ProWein, schon aus dem Grund, weil sie jedes Jahr eine Flasche ihrer raren Vintage Collection mitbringen. In diesem Jahr war es der 1990er (über 1986 mehr hier), der sich zwar intakt, aber auch bereits ziemlich oxidiert präsentierte. Vermutlich eine nicht optimale Flasche. Die wirklich große Nachricht der Maison aus Épernay aber war die Wiederauferstehung der „Cuvée des Moines“ – das einstige Aushängeschild des Hauses. Tatsächlich hatte Victor Besserat 1930 einen Champagner mit etwas geringerem Druck (4,5 statt 6 Bar) für den Restaurantdirektor im Pariser Nobelkaufhaus Samaritaine geschaffen, den Crémant des Moines. Den Namen „Crémant“ verlor die Cuvée an die gleichnamigen regionalen Schaumweine aus Frankreich, die Methode aber blieb unter dem Namen „Cuvée des Moines“. Nach einem Relaunch der Marke 2018 wurde der allerdings auf das Rückenetikett verbannt.
Nun erlebt die „Cuvée des Moines“ als neue Prestiges Cuvées von Besserat de Bellefon eine Renaissance. Einmal als klassische Assemblage Millésime 2012 Extra Brut und dann als Blanc de Blancs 2015 Extra Brut. Letztere gebe ich derzeit den Vorzug. Wunderbar cremig wegen der sanften Mousse und zugleich mit der rassigen Säure eines Non-malo Champagners. Ein großer Wurf (96 P.)!
7. Champagne Bollinger Aӱ Grand Cru La Côte aux Enfants 2014
Bärenstark präsentierte sich auf der diesjährigen ProWein die Maison Bollinger. Bereits mit Blick auf die 200-Jahrfeier 2029 wird hier derzeit stark an der Fokussierung des Sortiments gearbeitet (mehr dazu hier). Und das bedeutet insbesondere die starke Betonung des Pinot Noirs im Portfolio. So präsentierte das Haus aus Aӱ in Düsseldorf nicht nur die beiden beeindruckenden Grandes Années (Blanc und Rosé) aus dem Jahr 2015 sowie den fabelhaften RD 2008. Sondern auch den neuen PN VZ19 mit Schwerpunkt auf dem Jahrgang 2019 und Pinot Noir aus Verzenay.
Und schließlich La Côte Aux Enfants 2014. Es ist nach 2012 und 2013 erst der dritte Jahrgang (hier die Notizen zur Premiere und zum Folgejahrgang). Aus den südlichen Parzellen dieser Monopollage wird seit den 1980er-Jahren ein gleichnamiger Aÿ rouge, ein rarer Coteaux Champenois, produziert. Die Trauben vom 2 Hektar großen Nordwesthang flossen früher vornehmlich in La Grande Année Rosé ein. Seit die wurzelechten Vieilles Vingnes Françaises immer weniger werden, entsteht nun hier eine neue Tradition einer Cuvée Parcellaire von Bollinger. Tatsächlich hat man den Eindruck, dass der Champagner immer besser wird. 2014 vermählt gleichsam die Großzügigkeit von 2012 mit der Präzision und Vertikalität von 2013. Aber in erster Linie ist es ein unfassbarer Eindruck von Eleganz und Finesse, der einem schier den Atem nimmt (98 P.).
8. Champagne Bruno Paillard N.P.U. 2009
Champagne Bruno Paillard ist nach dem Fernbleiben in 2024 einer der wichtigen Rückkehrer auf die ProWein. Wenn auch nicht mehr im eigenen Pavillon (in dem früher der Namensgründer gleichsam „Hof gehalten“ hatte), so doch immerhin als Teil der Champagne Lounge. Mitte 2018 hat Alice Paillard die Leitung von ihrem Vater übernommen. In einer Präsentation des aktuellen Portfolios zeigte sie mir, in welch ausgezeichneter Form sich Champagne Bruno Paillard befindet. Das zeigt schon die Cuvée 72, sozusagen eine Première Cuvée Late Release. Sie verbindet deren 36 Monate auf der Hefe mit 36 Monate Post-Disgorgement-Zeit (= 72). Sehr komplex und pur Blanc de Blancs 2014 Extra-Brut, weiniger und breitschultriger die Assemblage 2015 Extra-Brut.
Und dann war da natürlich noch der neue Jahrgang 2009 des Nec Plus Ultra. Traditionell ist dies eine Cuvée mit sehr langer Autolyse (jeweils 50% Chardonnay und Pinot Noir), deren Grundweine im gebrauchten Holz ausgebaut wurden. Entsprechend tiefgründige Aromatik von dunklen Zitrus-Früchten bis zu Gewürzen und Biskuit. Cremig-dichtes Mundgefühl mit großem Potenzial (96–97 P.)
9. Champagne Ployez-Jacquemart Liesse d’Harbonville Millésime 2005 Brut
Die Champagner von Bruno Paillard begründeten ihren Ruhm als angesagte Begleiter der Nouvelle Cuisine. Der kleine Négociant Ployez-Jacquemart aus Ludes in den Montagnes de Reims zieht die Assoziationen zur Haut Couture vor. Tatsächlich zeugt die Produktionsweise des 1930 gegründeten Hauses von höchsten Standards. Zum eigenen Weinbergbesitz werden nur Premiers und Grands Crus der Montagnes de Reims und Côtes des Blancs dazugekauft. Die Flaschengärung geht zuweilen über 15 Jahre hinaus, die Dosage ist sehr niedrig. Bei schlechten Ernten wird die Produktion durch Verkauf von Vins clairs reduziert. Der Extra Brut Passion ist eine schöne Einführung in das Universum der (teilweise) im Holz ausgebauten Champagner. Der elegant-strukturierte Blanc de Blancs 2012 Extra-Brut stammt aus dem Grand Cru Puisieulx sowie den Premier Crus Cuis und Bisseuil und wurde ebenfalls teilweise im Holz ausgebaut (bei geblockter Malo).
Höhepunkt ist schließlich die Prestige Cuvée Liesse d’Harbonville (2/3 Ch, 1/3 PN) aus 2005. Die Grundweine werden für acht Monate im Holz ausgebaut (keine Schönung oder Filtration, keine Bâtonnage, geblockte Malo). Die Reifung im Keller ist enorm lang – tatsächlich ist 2005 der aktuelle Jahrgang! Das resultiert in einem sehr großzügigen Champagner, mit Noten von Orangenzesten, gerösteten Haselnüssen und Brioche. Das Mundgefühl ist durchaus hedonistisch, bleibt aber klassisch dank der strukturierten Pinots von 2005 (95–96 P.)
10. Bruno Paillard Oger 2021 Vin Blanc des Coteaux Champenois
Stillweine aus der Champagne ist eine Kategorie, die mehr und mehr Freunde gewinnt. Dabei speist sich der gegenwärtige Trend aus zwei Quellen: Einmal den Quasi-Überlebenden der großen Stillwein-Ursprünge in der Champagne. Und der Nouvelle Vague, gleichsam der modernen Neuerfindung der Coteaux Champenois. Einer ihrer Pioniere war Bruno Paillard, das aber sozusagen wider eigene Willen. Paillard hatte schon früh begonnen, seine Grundweine parzellengenau auszubauen – um sie dann aber als Assemblage zu Champagner auszubauen. Eines Tages war Dreisternekoch Joël Robuchon von Fassproben des Mesnil-sur-Oger so angetan, dass Paillard den Chardonnay ihn als Stillwein abfüllte. Bis heute beliefert das Haus mit seiner winzigen Produktion von Coteaux Champenois fast ausschließlich die französische Sternegastronomie. Anders als bei den Champagner-Grundweinen wird hier aber die Bâtonage ausgeführt und reifen die Weine ein Jahr länger im Holz.
Mittlerweile gibt es bei Champagne Bruno Paillard neben dem Mesnil einen Oger sowie einen weißgepressten Pinot Noir aus Les Riceys als Stillweine. Oger 2021 stammt aus vier Fässern und ist mit seiner intensiven Salzigkeit und prägnanten, aber gut eingebundenen Säure ein hervorragendes Plädoyer für weiße Coteaux Champenois (93 P.).
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Aufmacherbild: Messe Düsseldorf / ctillmann
Alle übrigen Fotos: Stefan Pegatzky / Time Tunnel Images