
Andreas Schmitt ist einer der kenntnisreichsten Beobachter der Wein- und Gourmetszene, die es in Deutschland gibt. 15 Jahre hatte er als Geschäftsführer das Gourmetrestaurant „Schweizer Stuben“ seines Vaters Adalbert Schmitt geführt. Der von ihm verantwortete Weinkeller gilt noch heute als legendär. Im Anschluss hatte er bis 2022 als COO der Althoff-Gruppe die Gastronomie von sieben Hotels gemanagt. Über diese leuchteten zeitweise nicht weniger als 13 Michelin-Sterne. Im Anschluss wechselte er als Co-Geschäftsführer des Weinguts Schloss Ortenberg sozusagen direkt „in die Produktion“. Wenn Andreas Schmitt also davon spricht, dass es an der Zeit ist, deutschen Weinen aus Burgunderrebsorten den ihnen gebührenden Rang zuzuweisen, dann weiß er, wovon er spricht. Mit einer Veranstaltungsreihe macht er nun die Probe aufs Exempel. Nach dem zweiten von (zunächst geplanten) drei Abenden ist es Zeit für eine Zwischenbilanz.
Abend Nummer 1: Überfahrt in Rottach-Egern (Cornelia Fischer)

Als Mann, der mit beiden Beinen in der gastronomischen Praxis verwurzelt ist, wollte Schmitt nicht einfach die x-te Blindprobe veranstalten. Charme und Herausforderung seines Konzepts war vielmehr das Pairing von Top-Weinen im anspruchsvollen kulinarischen Umfeld. Station Nummer eins: das legendäre Restaurant Überfahrt des gleichnamigen Seehotels in Rottach-Egern. Auf das waren zuletzt alle Scheinwerfer gerichtet, weil mit Cornelia Fischer unlängst eine junge neue Küchenchefin die Nachfolge von Christian Jürgens angetreten hatte.
Das verlagerte die gebührende Aufmerksamkeit für die Weine bei einigen Teilnehmern etwas überproportional auf das Menü. Dennoch war es grundsätzlich eine ausgesprochen gelungene Kopplung. Denn Fischers puristisch-regionaler Stil sollte sich mit der neuen deutschen Burgunder-Renaissance ausgesprochen gut vertragen. Dazu kam ein konzeptioneller Gleichklang. Denn zu jedem Gang lässt Cornelia einen „Vorboten“ servieren. Dieser Auftakt präsentiert das Hauptthema, etwa eine bestimmte Fisch- oder Fleischsorte, in einer Variation. So wird der Gaumen auf das Kommende vorbereitet. Dem antwortete bei der Weinbegleitung pro Weingut jeweils ein Pärchen, bei dem der Einstiegswein ebenfalls den folgenden „Grand Vin“ vorbereitet.
Die Weißen
Zwei Weingüter waren für die Präsentation der Weißweine verantwortlich. Einmal Schloss Ortenberg aus der badischen Ortenau und dann das Weingut Von Winning aus dem pfälzischen Deidesheim. Dazu kamen allerdings zwei Sidesteps, ein Sekt zu Beginn und ein Dessertwein am Ende. F. Kellers Grande Cuvée 2017 Blanc de Blancs ist ein reinsortiger Chardonnay mit einem beeindruckend langem Hefelager. Allerdings merkt man ihm sein Alter auch allmählich an, was vielleicht an dem schwierigen Jahrgang liegt. Richtig los ging es dann mit den beiden Weinen von Schloss Ortenberg zum Gang „von der wilden Fauna (Kaninchen | Schnittlauch)“. Zu Beginn: die Cuvée Furore (Weißburgunder, Grauburgunder, Chardonnay) 2022 zu Kaninchentranchen vom rosa gebratenen Rücken. Gefällige Präzision auf beiden Seiten, aber auch von überschaubarer Komplexität. Dann schalteten Küche wie Keller zwei Gänge auf einmal hoch. St. Andreas Schlossberg Chardonnay GG 2021 begleitete eine mit Leber und Vorderläufen gefüllte Kaninchenrolle, begleitet von fermentierten roten Zwiebeln und Specksud.

Die alten Chardonnay-Reben stammen noch aus der Zeit, als Ortenberg Versuchsweingut war. Das erklärt einen Teil der Klasse des Weines – ein anderer verdankt sich dem Engagement und Fingerspitzengefühl des Teams um Matthias Wolf und Andreas Schmitt. Mit Von Winning (ehemals Dr. Deinhard) folgte ein Weingut, dessen Stärken man vor allem beim Riesling vermutet. Der Chardonnay aus dem Haardter Herzog 2021 gehört zur neuen Lagenkollektion und ist mit seiner holzbetonter Wucht vielleicht „too much“ für den Auftakt zum Stör-Gang. Die Offenbarung dann beim nächsten Pairing. „Ins kalte Wasser“ (Stör | Fenchel | Verjus) zu Winnings Top-Chardonnay aus dem Kalkofen (KO). Hier stehen die Reben in Dichtbestockung von 12.000 Stöcken pro Hektar auf Buntsandstein und tertiärem Kalkgestein. Der 2021er ist saftig, komplex, mit großer Länge und präziser Säure – hier ist auch mit Blick auf den phänomenalen Stör alles in der Balance. Ein eindrucksvoller Beleg, dass auch deutsche Chardonnays mittlerweile internationale Klasse besitzen.
Die Roten
Zwei Altmeister gingen dann bei den Roten an den Start. Paul Fürst aus Bürgstadt in Franken zeigte Weine, für Sohn Sebastian verantwortete. Bürgstadter Berg Erste Lage ist der kleine Bruder vom Centgrafenberg und Hundsrück. Der kühle, nervige 2020er ergänzte den Perlhuhn-Auftakt vortrefflich. Die andere Seite des Spektrums verkörperte Schlossberg GG 2012 aus Klingenberg. Mit würzigen Reife- und präsenten Fruchtaromen steht er für eine Stilistik, für die der reduktive Ausbau noch nicht der allein selig machende Weg war. Zur Perlhuhn-Komposition freilich ein delikater Hochgenuss.
Auch Fritz Keller vom Kaiserstuhl zeigte Weine, für sie sein Sohn verantwortlich war. Zunächst warf den Spätburgunder 2022 aus Oberrotweil in die Runde. Als VDP.Ortwein sozusagen das Äquivalent zu einem burgundischen Village. Das war mir etwas zu jugendlich, begleitete aber die Reh-Variationen ausgezeichnet. Deutlich reifer und komplexer dann Eichberg GG 2018 aus der gleichen Gemeinde zum großartigen Reh | Schwarzwurzel | Schalotte. Der Wein war jahrgangsbedingt schon recht zugänglich und besaß eine etwas weiche Säure. Zugleich demonstrierte er, welche enormen Fortschritte hier unter Betriebsleiter Friedrich Keller in den letzten Jahren erzielt wurden.
Abend Nr. 2: Votum in Hannover (Benjamin Gallein)

Im März 2025, also gut vier Monate nach dem Abend in der Überfahrt, lud Andreas Schmitt zum zweiten Burgunder-Event ein. Diesmal nach Hannover in das mit 2-Michelin-Sternen ausgezeichnete Restaurant Votum. Wie Cornelia Fischer verkörpert auch Küchenchef Benjamin Gallein so etwas wie die junge Garde unter den deutschen Spitzenköchen. Allerdings unterscheidet sich Gallein hinsichtlich der Stilistik auffallend von Fischer. Seine Küche verwendet viele ungewöhnliche Zutaten und kombiniert sie mit teilweise recht hohem Risiko. Die Nennung von Herkünften wie „norwegisch“ oder „polnisch“ zeigt, dass sich Gallein nicht sonderlich um Regionalität schert. Dass er sich aber auch nicht auf beliebte Muster wie „deutsch-französisch-japanisch“ festlegen lässt. Nach dem deutsch-fränkischen Auftakt war die Fortsetzung der Burgunder-Reihe in einem Kontext, den man im weiteren Sinne als „Weltküche“ bezeichnen könnte, daher folgerichtig und spannend. Bei den teilnehmenden Winzern wurde dieses Mal das Weingut Fürst durch das von Ralf Frenzel vertretene Weingut Krone aus dem Rheingau ersetzt.
Die Weißen
In Hannover machte ein feingliedriger, eleganter Spätburgunder Rosé-Sekt mit Zéro Dosage vom Weingut Krone aus dem Jahrgang 2014 den Auftakt. Ein sehr gelungener Beginn, zumal mit einer phänomenalen Frische. Schwierig wurde es dann allerdings beim Pairing mit einigen der sehr unterschiedlichen Amuses-Gueules. Pilz | Heu | Kerbel ging etwa in eine starke Umami-Richtung, während Alge | Auster deutlich Iod-geprägt war. Das verlangt nach einem mineralischen kraftvolleren (aber nicht: fruchtigen) Schaumwein. Anders gesagt: etwas, was es eigentlich fast nur aus der Champagne gibt. Zur Handgetauchten Norwegischen Jakobsmuschel | Cedro-Zitrone | Perilla | Sake durfte dann Fritz Keller seine Weißen präsentieren. Ausgesprochen gelungen Drei Dörfer Chardonnay 2022 aus jungen Reben dreier Lagen. So kann es wirklich weitergehen mit Chardonnay in Deutschland! Zu gerne hätte man daneben den Kirchberg Chardonnay verkostet, den Top-Chardonnay aus dem Hause Keller. Etwas konventioneller dagegen Achkarrener Schlossberg GG Grauburgunder 2022, hier fehlt mir (sortenbedingt?) etwas Säure.
Das Gegenstück bildete erneut Schloss Ortenberg. Eine verpasste Gelegenheit? Denn die Roten, die ich während meiner Reportage für FINE – Das Weinmagazin im Vorjahr vor Ort verkosten konnte, sind brillant. So präsentierte Matthias Wolf erneut den sehr guten St. Andreas Chardonnay GG Schlossberg 2021. Diesmal an seiner Seite: St. Andreas Grauburgunder 1G Andreasberg 2023. Die Reben wachsen hier auf seltenem Granitverwitterungsböden, was den Weinen eine betonte Eigenart gibt. Dennoch tritt man ihnen hoffentlich nicht zu nahe, wenn man an dieser Stelle den begleitenden Gang in den Vordergrund rückt. Was Benjamin Gallein hier unter dem Titel Blumenkohl Polnisch | Petersilie | Ei | Brösel serviert, ist schon spektakulär. Für einen vegetarischen Gang setzt es jedenfalls einen Maßstab. Festzuhalten bleibt darüber hinaus, dass Drei Dörfer zwar ein Versprechen für die Zukunft ist. Das ganz große Aha-Erlebnis wie Von Winnings KO Chardonnay in der Überfahrt gab es bei den Weißen diesmal nicht.
Die Roten
Die Roten wurden diesmal durch Stephan Attmanns Spätburgunder vom Weingut Von Winning eingeleitet. Der hatte sich dazu entschieden, zum ersten Mal in dieser Reihe nicht verschiedene Weine, sondern seinen Spitzen-Pinot-Noir in zwei Jahrgängen zu präsentieren. Ruppertsberger Reiterpfad An den Achtmorgen heißt der Wein mit vollständiger Herkunftsnennung. „Ziemlich deutsch“ wird man wohl im Ausland dazu sagen. Unter den Verkostern gab es eine Diskussion hinsichtlich des Potenzials für Spätburgunder auf Buntsandstein. Und tatsächlich bestach der 2020er zwar durch schöne Textur und einschmeichelnde Fruchtdichte, aber es war (zumindest derzeit) kein wirklich großer Wein. Zumal der Gang Soufflierter Rehrücken | Pistazie | Herbsttrompete | Mangold dazu ein idealer Partner gewesen wäre. Deutlich stärker der 2018er. Auch der ist auf seine Weise recht direkt, aber auf eine sehr komplexe Art. Hier beginnt man zu ahnen, was Attmann meint, wenn er von der „bunten Genetik“ der Spätburgunderreben in der Lage Achtmorgen schwärmt.

Mit dem Weingut Krone stieß dann ein Produzent zu der Riege, der über Besitz in der historisch wohl bedeutendsten deutschen Rotweinlage verfügt, dem Assmannshäuser Höllenberg. 2021 hat Verleger Ralf Frenzel gemeinsam mit einigen Partnern das Weingut übernommen. Seitdem herrscht hier der Ehrgeiz, mit dem Rotweinen wieder in die allererste Reihe vorzustoßen. Frenzel hatte zwei Weine mitgebracht, 2014er Juwel und Assmannshäuser Höllenberg GG 2022. Die Präsentation des Juwels, der einstigen (mittlerweile eingestellten) Spitzen-Cuvée des Weinguts aus verschiedenen Lagen, litt unter einer fehlerhaften ersten Flasche. Die Austauschflasche zeigte eine schöne Frische und große Eleganz auch in einem schwierigen Jahr wie 2014. Aber sie hatte doch angesichts des Mille-Feuille von Wagyu & Onglet | Poverade | Bärlauchkospen | Aligot ziemlich zu kämpfen. Deutlich besser gelang das dem Höllenberg, auf dem man sich in Zukunft in der Krone konzentrieren möchte. Der 2022er (noch nicht im Verkauf) ist ein Monument, freilich noch im Embryonalstadium.
Ein erstes Fazit

Die Reihe wird im Herbst 2025 in Frankfurt Main ins (vorläufige) Finale gehen. Andreas Schmitts Andeutungen zum kulinarischen Rahmen sind jedenfalls vielverheißend. Was müsste ein vorläufiges Fazit enthalten? Zum einen, dass deutscher Spätburgunder / Pinot Noir seine derzeitige Klasse eindrucksvoll demonstriert hat. Dass aber auch Chardonnay wohl in den nächsten Jahren zu einem ganz großen Thema in Deutschland werden wird. Dies, zumindest im Spitzensegment, vielleicht auf Kosten von Grau- und Weißburgunder. Dann aber auch, dass sich deutsche Weine beim Pairing mit dem deutschen Aromenkosmos leichter tun. Das mag eine Binsenweisheit über die Weine aller Anbaugebiete sein. Allerdings stoßen manche hiesigen Weine gegenüber großer kulinarischer Komplexität auch an ihre Grenzen, weil sie vielleicht selbst noch zu wenig riskieren. Und schließlich zeigte sich auch, dass junge Top-Weine vielfach nur unter Schwierigkeiten sinnvoll kulinarisch integriert werden können. Das Wort von der „Unnahbarkeit“ gerade gefüllter Flaschen meint ja nicht nur das Verkosten an sich, sondern auch den Dialog mit der Gastronomie.
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Stefan Pegatzky / Time Tunnel Images