Geschichte
„Die kleinsten Weinberge der Champagne sind die von Sillery, und dennoch genießt kein Wein der Marne ein größeres Renommee“. Das schrieb 1875 der britische Weinautor Henri Vizetelly in seinem Buch über die Champagne. Wer immer in die Geschichte der Champagne eintaucht, wird dem Namen Sillery begegnen, dem seinerzeit nur Aӱ an die Seite gestellt werden konnte. Der Ruf der Gemeinde nahe Reims verdankt sich einer Zeit, lange bevor Champagner ein Schaumwein war. Unter der Familie Brûlart de Sillery zählten im 17. und 18. Jahrhundert die Stillweine des Château de Sillery zu den gesuchtesten von ganz Europa. Nach der französischen Revolution ging der Großteil der Weinberge in den Besitz des Hauses Moët & Chandon über. Dieses produzierte einen traditionellen Sillery aus dem Clos de Romont wohl noch bis Ende des 19. Jahrhunderts. Die übrigen Trauben wanderten in die großen Champagner-Cuvées. Im 20. Jahrhundert war der Name Sillery bereits verblasst.
Trotz der Einstufung von Sillery als Grand Cru und seinem hervorragendem Ruf gab es jahrzehntelang keinen Mono-Cru aus der traditionsreichen Gemeinde. Das änderte sich erst mit François Secondé, der mit 14 die Schule verlassen hatte und nach einer Lehre erst einmal Weinbergarbeiter geworden war. Bald pachtete er einen Weinberg, bevor er 1972 dann seinen ersten eigenen Weinberg kaufte. Im Jahr 1976 vergrößerte er die Pacht auf 3 Hektar und begann mit Hilfe seiner Frau Anne-Marie, seinen eigenen Champagner zu produzieren. 2005 starb ihr Sohn, der die Nachfolge antreten sollte, 21-jährig in Italien. 2009 schließlich übernahm der in Avize und Reims ausgebildete Önologe Jérôme Groslambert die Betriebsleitung. Gemeinsam arbeiteten François Secondé und er neun Jahre daran, den Stil der Champagner aus Sillery herauszuarbeiten. 2018 starb Secondé, und Ende 2023 erwarb Groslambert die Mehrheitsanteile des Unternehmens von dessen Witwe. Bis heute ist der „Vigneron Indépendant“ der einzige, der einen reinen Sillery-Grand-Cru abfüllt.
Stilistik
Sillery war berühmt für seinen roten Stillwein und seinen Vin gris, der zumeist aus Fromenteau, dem deutschen Grauburgunder, erzeugt wurde. Interessanterweise ist auf den gut 900 Hektar der Gemeinde heute Chardonnay die meist angebaute Rebsorte, vor Pinot Noir und etwas Meunier. Chardonnay aus Sillery fließt etwa in die Prestige Cuvée Dom Ruinart der gleichnamigen Maison. Deren Kellermeister Frédéric Panaïotis verglich den Chardonnay aus Sillery wegen seiner späten Reife und Langlebigkeit mit dem Corton-Charlemagne in Burgund. Der Rebbesitz von François Secondé erstreckt sich auf 5,5 Hektar. Neben Lagen in Sillery gehören auch Parzellen in den benachbarten Grands Crus Mailly-Champagne, Puisieulx und Verzenay dazu. Dazu kommt noch ein Plot in der Premier-Cru-Gemeinde Sermiers. Die Rebsorten verteilen sich zu zwei Dritteln auf Pinot Noir und zu einem Drittel aus Chardonnay. Die Weinberge sind HVE-zertifiziert, also als Landwirtschaft mit hohem Umweltwert.
Champagne François Secondé produziert nur eine kleine Menge Champagner in einer recht großen Zahl unterschiedlicher und sehr individueller Cuvées. Die Einstiegschampagner werden im Edelstahl erzeugt, durchlaufen die malolaktische Gärung und vergären nur recht kurz in der Flasche. Bei den Non-Vintages – mit Ausnahme des Brut Grand Cru und des Zero Dosage – ist der Anteil an Reserveweinen nicht sehr hoch. Die Dosage ist recht niedrig. Die Remuage, also das „Rütteln“ der Flaschen zum Klären der Flaschen, wird von Hand ausgeführt. Die Cuvées La Loge sowie die Crus Sermiers und Puisieulx werden zumindest teilweise im Holz ausgebaut. Eine besondere Spezialität sind die beiden im Holz ausgebauten Stillweine („Coteaux Champenois“), ein Silleryy Rouge sowie ein Sillery Blanc. Ersterer stammt von alten Pinot-Noir-Reben. Letzterer ist eine Cuvée aus weißgekeltertem Pinot Noir und Chardonnay. Beide konnte ich zur ProWein in Düsseldorf verkosten, sie gehören zu den besten Coteaux Champenois, die ich kenne.
Portfolio
Sillery macht eine Reihe sehr Terroir-betonter Champagner. Die einzige Ausnahme ist die Cuvée Clavier. Sie verweist noch auf die Marke Champagne Clavier, die einmal zu François Secondé gehörte. Heute wirkt die Cuvée aus zwei Drittel Chardonnay und einem Drittel Pinot Noir ein wenig wie ein Fremdkörper im Sortiment. Richtig los geht es mit den beiden Non-Vintage-Champagnern Grand Cru Brut und Zéro Dosage Intégral Grand Cru. Mit 2/3 Pinot Noir und 1/3 Chardonnay spiegeln sie das Rebsortenverhältnis des Gutes insgesamt wieder und sind gleichsam dessen Visitenkarte. Der Brut Rosé ist dagegen ein reinsortiger Pinot Noir von der Montagne de Reims. Der Mono-Cru Sermiers Premier Cru Blanc de Blancs stammt aus einer Gemeinde wenige Kilometer südwestlich von Sillery. Mit 5 Gramm Dosage technisch gesehen ein Extra Brut, werden von ihr gerade einmal 1.000 Flaschen erzeugt. Wie überhaupt die Mengen, abgesehen vom Grand Cru Brut mit 25.000 Flaschen, enorm klein sind.
Aus Weinbergen in Sillery erzeugt Champagne François Secondé zwei völlig gegensätzliche Champagner. Zum einen La Loge Blanc de Noirs Sillery Grand Cru Brut. Die nach einem Weinberghäuschen in den Weinbergen benannte Cuvée ist ein reinsortiger Pinot Noir von den besten Plots aus Sillery. Aktuell aus dem Basisjahr 2019 mit 30 Prozent Reserveweinen aus einer 2005 begonnenen Solera und teilweise im Holz ausgebaut. Das Gegenstück ist der Blanc de Blancs Millésimé Sillery Grand Cru, der einzige Vintage des Hauses. Zudem stammt der reinsortige Chardonnay aus einer einzigen Parzelle (Les Puits). Und er ist der einzige mit einer signifikanten Dauer der Flaschengärung. Der sehr rare und ausdrucksstarke Puisieulx Grand Cru Les Petites Vignes, den ich auf der ProWein verkosten konnte, stammt ebenfalls aus einer Einzellage. Die Cuvée (hälftig Chardonnay und Pinot Noir) entstammt komplett einer 2009 begonnenen Solera und sieht ebenfalls Holz. Den Abschluss des Sortiments bilden die beiden oben genannten Stillweine.
Verkostung
Grand Cru Brut ist ein sehr überzeugender Einstieg. Mit Pfirsich, Himbeere, Zitrus und Brioche in der Nase, dazu frische, aber feine Perlage und saftig-weicher Trinkfluss. Die Grundweine stammen aus dem warmen Jahrgang 2020. Dazu kommen 30 Prozent Reserveweine aus einer Solera, die 1982 (!) angelegt wurde. Es ist offensichtlich, dass es das Terroir, die gut 40 Jahre alten Reben sowie diese Reserveweine sind, die dem Champagner seine Komplexität geben, weniger die Hefenoten aus der recht kurzen Flaschengärung (92 P.). Der Zero Dosage Integral Grand Cru hat einen völlig anderen, herberen Charakter. Und das, obwohl er „auf dem Papier“ der gleiche Wein ist, nur ohne Dosage. Möglicherweise stammt sein Rückgrat aus dem frischeren 2019er-Jahrgang. Hier finden sich im Bouquet stärkere Zitrusaromen, grüner Apfel, gelbe Steinfrüchte und etwas unreife Ananas. Die Perlage ist zurückhaltend, was den Champagner weiniger macht. Dafür gewinnt der Champagner an Salzigkeit, bei relativ kurzer Länge (90 P.).
Der ungewöhnliche Brut Rosé aus 100 Prozent Pinot Noir erhält seine Farbe zum einen durch die „Méthode saignée“, also das kurzzeitige „Ausbluten“ der Beeren. Zum anderen aber auch durch Assemblage, also die Zugabe von rotem Stillwein zu den Vins clairs. Schöner Duft mit Aromen von Rhabarber, Erdbeeren und Himbeer-Biskuits, dazu Bergamotte. Am Gaumen wirkt der Wein weich, recht cremig und zugleich mächtig – was auf einen sonnigen Basisjahrgang hinweist. Ein dichter, hedonistischer Rosé, der am Gaumen reifer wirkt als in der Nase, und dem es etwas an Spannung fehlt. Ein Rosé für Herbst und Winter (91 P.). Sermiers Premier Cru Blanc de Blancs ist ein reinsortiger Chardonnay. Hier finden sich florale und Zitrusnoten in der Nase. Dazu kommen Mirabellen, Renekloden, Biskuit und ein Hauch Joghurt, der aber schnell verfliegt. Die Perlage ist lebhaft, aber unaufdringlich. Am Gaumen nicht allzu komplex, aber dicht, frisch und lang, mit einem Tick Salzigkeit (92 P.).
Wie erwartet, präsentieren sich die beiden Sillery-Grands-Crus sehr unterschiedlich. Die Grundweine für den La Loge Blanc de Noirs stammen aus dem brillanten, säurereichen Jahrgang 2019. Entsprechend präsentiert sich der Mono-Cru sehr pur und noch etwas zugeknöpft. Goldgelb, mit einem Hauch von Rosé und zarter Perlage im Glas. Im Bouquet dominieren Apfelnoten mit etwas Himbeere und Andeutungen von Brioche. Das Mundgefühl ist cremig, dank einer kurzen Verweildauer im Holzfass, aber aromatisch noch recht schlank und ziemlich salzig (92+ P.).Der Blanc de Blancs stammte aus dem Jahrgang 2016, als ich ihn auf der ProWein verkostet habe. In Berlin stand dann 2017 vor mir, ein heraufordernder Jahrgang in der Champagne. Der zeigt sich deutlich heller in der Farbe als La Loge und auch nicht ganz so strahlend wie sein Vorgänger. Dennoch hervorragend: Weiße Blüten und Limonenschale in der Nase, am Gaumen kraftvoll, vielschichtig, mit schönem Säurebogen und lang anhaltend (93–94 P.).
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Stefan Pegatzky / Time Tunnel Images