SLPs Top-10 Weine 2024

Zu Beginn des Jahres hier erneut der Jahresrückblick von sur-la-pointe.com. Wie im Vorjahr habe ich mich dafür entschieden, alle verkosteten Weine mit einzubeziehen, für die ich ausgiebig Zeit für die Verkostung hatte und die ich noch nicht auf Sur-la-pointe vorgestellt habe. Muster auf Messen oder Großpräsentationen habe ich abermals nicht berücksichtigt.

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Zwei deutsche Weine, ein Kalifornier, aber gleich sieben Franzosen. Mein persönlicher Rückblick auf das Weinjahr 2024 fällt tatsächlich wenig vielfältig aus. Schuld daran ist vielleicht auch, dass ich über Weine anderer Regionen, die eigentlich in den Artikel gehören, an anderer Stelle geschrieben habe (wie die großartigen Cepparello 2021 oder Ygay Blanco 1986). Spektakulär waren auch einige Weine, die sozusagen im Beiprogramm der Verkostungen zum Paterico sowie den Vertikalverkostungen zu Champagne Salon und dem Champagnerjahrgang 2008 degustiert wurden (hier mehr auf meinem Instagram-Kanal). Aber hier blieb der Eindruck letztlich zu flüchtig. Und dann sind da schließlich meine persönlichen Vorlieben, die ich als neo-klassisch beschreiben würde. Und in diesem Segment ist Frankreich derzeit einfach bärenstark.

1. Champagner: Taittinger Comtes de Champagne Blanc de Blancs 2013

Vom Standardsortiment von Champagne Taittinger gibt es derzeit wenig Neuigkeiten. Während eine Grande Marque nach der anderen eine neue Cuvée aus dem Hut zaubert, bleibt bei Taittinger alles beim Alten. Dennoch ist das Haus gerade auf dem Sekundärmarkt einer der angesagtesten Produzenten. Das liegt freilich an den spektakulären Qualitäten seiner Prestige Cuvée Comtes de Champagne. 2008 war ein Jahrgang zum Niederknien und 2013 steht dem kaum nach. Diese Flasche wurde nicht auf der großen Champagner-Verkostung des KaDeWe, sondern als Auftakt zu den „Schätzen des Burgund“ serviert. Danach musste ich die Veranstaltung erst einmal unterbrechen und eine ungeplante Eloge auf diesen herausragenden Blanc de Blancs halten. Aus dem spät reifen 2013 stammend, treffen sich hier komplexe autolytische Aromen mit Noten gelber Früchte. Vielschichtig, kristallklar und mit einem kraftvollen Säurebogen (97 P.). Für jede Flasche, die man in diesem Jahr öffnet, sollte man eine in den Keller legen.

2. Rosé-Champagner: Roederer Cristal Rosé Vinothèque 2002 (Magnum)

50 Jahre Cristal Rosé feierte Champagne Louis Roederer in diesem Jahr, und glücklicherweise war ich im November zum deutschen Geburtstagsfest in München eingeladen. Inwieweit die Maison aus Reims diese Variante ihrer legendären Prestige-Cuvée als ein „Labor der Exzellenz“ betrachtet, habe ich in einem Bericht für „Meiningers Sommelier“ dargestellt (zum Artikel hier). Ich selber halte den Cristal Rosé schlicht für den besten Rosé-Champagner überhaupt. Doch zu allem gibt es eine Steigerung. Beim Cristal heißt das: einmal als sehr lange gelagerte Edition Vinothèque und dann in der Magnum. 1995er Cristal Rosé Vinothèque in der Magnum war bisher der einzige Champagner, dem ich 100 Punkte verliehen habe. Nun also 2002. Über ihn hat Chef de cave Jean-Baptiste Lécaillon, zusammen mit Besitzer Frédéric Rouzaud Gastgeber in München, gerade geschrieben: „Der perfekteste Champagner, den ich jemals verkostet habe. Tiefe, Komplexität, Charisma, Gänsehaut. 105p“. Dem ist nichts hinzuzufügen. (100p.).

3. Deutscher trockener Weißwein: Von Winning KO Chardonnay 2021

In diesem Jahr steht kein trockener deutscher Riesling, sondern ein Chardonnay unter den Top 10. Das war auch für mich eine Überraschung. In meinen Augen kann man wirkliche deutsche Top-Chardonnays an den Fingern einer Hand abzählen. Den KO vom Pfälzischen Weingut Von Winning (ehemals Dr. Deinhard) hatte ich bisher nicht auf dem Schirm – zumal der Wein bei einschlägigen Verkostungen nicht angestellt wurde. Geschäftsführer Stephan Attmann präsentierte den Wein nun anlässlich des Burgunder-Festivals im Restaurant Überfahrt am Tegernsee. Ich muss gestehen, dass mich der Wein trotz zahlreicher eindrucksvoller deutscher Spätburgunder am meisten überraschte. Attmann hat in der Vergangenheit bei einigen seiner Spitzen-Cuvées vielleicht ein wenig zu viel „auf die Tube gedrückt“. Bei seinem Top-Chardonnay aus der Lage Kalkofen (KO), wo die Reben in Dichtbestockung von 12.000 Stöcken pro Hektar auf Buntsandstein und tertiärem Kalkgestein stehen, ist alles in der Balance. Sehr saftig, komplex, mit großer Länge und präziser Säure (95 P.).

4. Weißer Burgunder 1: Daniel-Etienne Defaix Chablis Grand Cru Les Grenouilles 2012

Dass aus Chablis große Weißweine kommen können, ist unbestritten. Allerdings stellt der Klimawandel und der damit verbundene höhere pH-Wert der Weine große Herausforderungen für deren unnachahmliche Stilistik dar. Vor allem, wenn, wie bei vielen Grand Crus üblich, mit einem erheblichem Neuholzanteil gearbeitet wird. Daniel-Etienne Defaix macht allerdings einiges anders als seine Kollegen. Seine Weine kommen von Weinbergen mit teilweise sehr alten Reben – die in der Grand-Cru-Lage Grenouilles wurden 1960 gepflanzt. Er presst sehr schonend, vergärt kühl und langsam mit natürlichen Hefen und baut die Weine sehr lange in Tanks aus. Zudem kommen die Weine immer später auf den Markt. Derzeit ist bei den Premier Crus 2013 der aktuelle Jahrgang, bei den Grand Crus 2012. Der Grenouilles 2012 jedenfalls besitzt eine hinreißende Sinnlichkeit – und zugleich eine Vielschichtigkeit, der man stundenlang nachspüren möchte. Eine der bemerkenswertesten Erfahrungen von 2024 (96 P.). Leider nur schwer auf dem Markt zu finden.

5. Weißer Burgunder 2: Domaine Bouchard Père & Fils Grand Cru Corton-Charlemagne 2008

Die großen Handelshäuser haben dem Burgund im 19. Jahrhundert ein Goldenes Zeitalter beschert. Nach der Winzer-Emanzipation der 1920er- und 1950er-Jahre hatten sie in der Welt des Fine Wine einen schweren Stand. Vielfach wurde dabei übersehen, dass viele Maisons neben dem Négociant-Geschäft auch eigene Domänen betrieben. Aufgrund ihrer Tradition waren hier oft die besten Weinlagen überhaupt versammelt. Dazu gehören auch 3,25 Hektar im Nordost-Sektor des Corton-Charlemagne, wo, wie Norman Remington schreibt, „der kalkige Boden den Weinen echten Biss und Länge verleiht“. 2008 war ein großes, wenn auch unterschätztes Jahr in Burgund. Und weil „Bougogne Aujourdhui“ den Charlemagne von Bouchard mit 19,5 P. bewertete, ahnte ich, was auf mich zukommt. Weniger duftig und elegant als ein Puligny, aber jugendlich-mineralisch und mit archaischer Wucht (96p.). Stärker als alle drei in 2024 verkostete Charlemagne von Bonneau du Martray. Kein Wunder, dass Bouchard kürzlich von der Artémis-Gruppe übernommen wurde, zu der auch Château Latour gehört.

6. Roter Burgunder: Domaine G. Roumier Grand Cru Bonnes-Mares 2018

Burgundische Grand Crus von angesagten Produzenten sind seit geraumer Zeit vom deutschen Markt nahezu verschwunden und tauchen auch kaum mehr auf Verkostungen auf. Kein Wunder, wenn etwa der „kleinste“ Wein von Roumier, ein Chambolle-Musigny Villages von 2016, beim hiesigen Importeur aktuell 356 Euro kostet. Umso glücklicher war ich, dass das KaDeWe bei der diesjährigen Veranstaltung „Schätze des Burgund“, die ich moderieren durfte, eine Flasche Bonnes-Mares 2018 öffnete.

Christophe Roumier, der das Weingut seit 1982 leitet, besitzt lediglich 0,39 Hektar in dieser Spitzenlage. Aber die Reben befinden sich in zwei ganz unterschiedlichen Parzellen, eine auf sogenannter „Terre rouge“ und eine auf hellerem Boden. Beide werden getrennt vinifiziert und anschließend verschnitten. Für Burgunder-Papst Remingtion Norman ist ein solcher Blend „das Ideal“ des Bonnes Mares. Der heiße Jahrgang 2018 hat dem Wein jedenfalls nichts anhaben können. Er präsentiert sich mit der klassischen muskulösen Festigkeit dieses Grand Crus, mit tiefem Rot im Glas und eher schwarzen als roten Früchten im Bouquet. Und dann ist da so eine dunkle, fast abgründig zu nennende Charakteristik, ein Rätsel, wie es nur große Weine aufweisen und nur die Zeit lösen wird (97 P.).

7. Kalifornien rot: Joseph Phelps Vineyards Insignia 2019

Trotz mehrerer Kalifornien-Reisen habe ich es nie geschafft, Joseph Phelps Vineyards zu besuchen. Gegründet 1972 vom gleichnamigen Pionier, gehört das Weingut seit 2022 zu LVMH.1974 hat es mit dem Insignia einen der ersten Bordeaux Blends in Napa geschaffen, der heute eine Ikone des kalifornischen Weinbaus ist. Nach dem Tod des Gründers hat zunächst dessen Sohn Bill die Leitung übernommen. Seit 2023 ist David Pearson, zwischen 2004 und 2020 der CEO der Opus One Winery, Executive Chairman von Joseph Phelps. Bei seinem ersten Besuch in Deutschland merkt man sofort, warum LVMH sich für ihn entschieden hat: geistreich, unorthodox und visionär – nicht zuletzt beim Thema Weinbergbewirtschaftung. In Berlin hat er fünf Jahrgänge Insignia vorgestellt. Allesamt große Weine, wobei der gerade gefüllte 2021er durch seinen kraftvollen, tiefen Fond überzeugte. Durch sein hinreißendes, facettenreiches Bouquet ragte freilich der 2016er hervor. Am Gaumen verführt er mit samtiger Eleganz. Derzeit in einer ersten Plateau-Phase (97 P.).

8. Bordeaux rot (rechtes Ufer): Le Pin 2015

Ein Frühlingsabend an der Rheinpromenade in Bingen, der Blick schweift Richtung Rüdesheimer Berg. Und vor mir steht eine geöffnete Flasche Château Le Pin 2015 … Auch für einen Weinjournalisten endet nicht jeder Tag wie dieser. Aber an diesem Abend war ein Ex-Kritiker mein Gastgeber, über den ich gerade ein längeres Porträt verfasst hatte. Dieser war seinerzeit einer der Ersten, der dieses Weingut aus Pomerol in Deutschland propgagiert hatten, das erst 1979 gegründet worden war und gerade einmal 600 Kisten produzierte. Die Empfehlung beruhte auf der richtigen Prognose. Heute ist Le Pin eine Ikone und prügeln sich Sammler in aller Welt um eine der raren Flaschen.

Kein Wunder, dass dies meine erste Begegnung mit dem Wein war. Und ich war überrascht, wie strukturiert der Wein bei aller Opulenz war. Trotz der halben Flasche zeigte der 2015er nur eine minimale Reifung. Entsprechend war das Bouquet noch immer vom Holz geprägt, bei gleichzeitigen Brombeer- und Pflaumennoten und verschiedenen komplexen Gewürzaromen. Der Gaumen wird vom Wein gleichsam „tapeziert“, durch die Massen an feinem Tannin ist die komplexe Struktur zunächst mehr zu erahnen als wahrzunehmen. Ein Langstreckenläufer aus einem für Pomerol großem Jahr (98 P.).

9. Bordeaux rot (linkes Ufer): Château Haut Brion 1975

Es gibt kaum etwas Verführerisches als den Duft eines gut gereiften großen Bordeaux! Dieser 1975er Haut Brion war perfekt gealtert, mit einer ausgeprägten Graphitnote und einer gewissen Süße von schwarzen Früchten, Tabak und Unterholz. Am Gaumen ist er immer noch ziemlich dicht, wenn auch ein wenig trocknend (95–96 P.). Leider hatten wir zu Beginn des Jahres mit einer mutmaßlichen Fälschung (ersteigert von einem deutschen Auktionshaus!) eine schwere Enttäuschung erlitten. Harte Tannine, eindimensional … bei weitem nicht auf dem Niveau eines reifen Haut-Brion. Auf eine Fälschung deutete vor allem der eigenartige Korken. Von außen ganz frisch wie gerade verkorkt, zerfiel er beim Öffnen in unzählige Krümel. Tatsächlich war der 1975er Haut Brion (damals noch ohne Bindestrich) immer schon umstritten. Robert Parker bekannte etwa, dass er den Wein zunächst falsch eingeschätzt habe. Ähnlich ging es Neal Martin, der ihn heute als den besten Haut Brion des Jahrzehnts einstuft.

10. Deutscher Riesling edelsüß: Weingut J. Riedel Hallgartener Jungfer Beerenauslese 1976

Es gibt viele Gründe darüber glücklich zu sein, dass deutsche Weine wieder zur einstigen Größe zurückgefunden haben. Zugleich aber ist es verstörend, wie sehr wir darüber die Vergangenheit vergessen haben. Denn Partisanen der Qualität gab es zu jeder Zeit, auch wenn es im deutschen Weinbau wenige waren und sie kaum wahrgenommen wurden. Aber sie haben Weine von einer Stilistik produziert, die heute verschwunden ist. Über das Weingut Riedel in Hallgarten finden sich heute nur noch Erinnerungen in den Schriften der US-amerikanischen Kritiker David Schildknecht und Terry Theise. Dabei galt Christine Riedel seinerzeit als „die beste Kellermeisterin des Rheingaus“. Auf Messen oder bei Verkostungen wurden die zumeist durchgegorenen Weine freilich nie präsentiert …

Die 1976er Beerenauslese aus ihrer Parade-Lage Hallgartener Jungfer präsentierte sich wie viele Weine aus dem Hitzejahr bereits mahagonifarben. Aber die noch immer dichte Süße ist unterlegt von einer vitalen Säure und komplexen Mineralität, wie es typisch für das kühle Hallgarten ist (96 P.). Eine daneben verkostete 1971er Beerenauslese aus dem Oestricher Lenchen vom Weingut Fritz Rothenbach war deutlich schlanker, aber auch erheblich weniger druckvoll (92 P.). Beide Weine konnte ich für ein Taschengeld im Internet ersteigern. Ich war der einzige Bieter.

Ein Postskriptum

Ich habe die 80-jährige Christine Riedel 1996 noch kennengelernt. Von dem Besuch war ich so beeindruckt, dass ich anschließend meinen ersten (unveröffentlicht geblieben) Weingutstext verfasst habe. Anlässlich dieses Rückblicks habe ich ihn hier zugänglich gemacht.

Auch der Importeur und Autor Terry Theise hat über sie geschrieben. Als ihr Sohn Wolfgang die Produktion beendete, schrieb er: „Ich trauerte um einen weiteren Verlust in einer verschwindenden Welt, eine Geschichte nach der anderen, eine Flamme nach der anderen erloschen. Mein Tribut ist dürftig angesichts der leidenschaftlichen Würde dieser Leben.“ Seine Porträts, in denen eine ganze untergegangene Welt der deutschen Weinbaugeschichte aufleuchtet, finden sich (auf Englisch) hier und sowie in seinem (u.d.T. „Mein Wein“ auch ins Deutsche übersetzten) Buch „Reading between the wines“ von 2011.

Bildrechte

Stefan Pegatzky / Time Tunnel Images

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