Roederer-Meisterklasse in Hamburg

Lange hatte sich die deutsche Weinpresse gedulden müssen. Aber mit seiner Hamburger Masterclass vom 21. September 2022 gab der Chef de cave von Louis Roederer, Jean-Baptiste Lécaillon, schließlich doch sein lang erwartetes Deutschland-Debüt. Acht neue Cuvées in drei Kapiteln präsentierte er an diesem Abend.

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Den Beginn machte der jahrgangslose Brut des Hauses. Dazu wäre wenig zu schreiben, wenn nicht Roederer im vergangenen Jahr seinen beliebten Brut Premier gegen die fortlaufend nummerierte Collection ersetzt hätte. Die jeweilige Nummer entspricht der Reihenfolge der bei Roederer produzierten Weine. Nach 242 im Vorjahr (bzw. 241 für Großformate ab der Magnum) nun also 243. „Wir verabschieden uns von der Idee eines konstanten Geschmacks“, kommentierte Lécaillon.

Akt 1: die Collection

Champagnerflasche von Roederer Collection 243 im Eiskühler

Der Schritt an der Basis vom Marken- zum Multi-Vintage-Champagner war für Roederer ein enormer Schritt und ein immenses Signal für die Mitbewerber. Weil jede Collection nun einem den Blend dominierenden Jahrgang zugeordnet werden kann, war die Aufmerksamkeit groß. 242 war vom schwierigen „ozeanischen“ 2017er-Jahrgang bestimmt. 243 dagegen vom heißen „kontinentalen“ Jahrgang 2018. Entsprechend ist die neue Collection von Pinot Noir dominiert, der „Signature“- Rebsorte von Roederer. Allerdings nicht von den südlich exponierten Crus an der Marne, sondern von den kühlen Lagen der Montagnes de Reims. Der Champagner hat mehr Grip und Cremigkeit als sein Vorgänger, aber auch eine weichere Säure.

„Die neue Champagne wird durch das Terroir bestimmt.“

Jean-Baptiste Lécaillon
Jean-Baptiste Lécaillon, Chef de cave von Roederer
Jean-Baptiste Lécaillon, Chef de cave von Roederer

Der Jahrgang wird also wichtiger bei Roederer, ebenso die Herkunft. Denn „die neue Champagne“, weiß Lécaillon, „wird durch das Terroir bestimmt“. Diesem Konzept folgt dann auch die Vorstellung einer neuen Produktlinie innerhalb des Vintage-Champagner-Portfolios der Maison: den „Late Releases“. Daran ist zunächst das Konzept selbst bemerkenswert: kleine Mengen vom Haus zurückgehaltene (und zeitgleich wie die in den Handel abgeflossenen Flaschen degorgierte) Jahrgangschampagner nach langer Reife noch einmal am Markt zu platzieren. Eine Maßnahme, wie Jean-Baptiste Lécaillon augenzwinkernd bemerkt, die Roederer als Reaktion auf den Vorwurf in Angriff genommen hatte, seine Vintage-Champagner zu früh zu präsentieren. Tatsächlich reagiert das Haus aber natürlich auch, wie die Cristal-Vinothèque-Serie (diese freilich mit Verlängerung der Flaschengärung), auf den wachsenden Sammlermarkt für alte Champagner.

Akt 2: Vintages „Late Release“

Roederers Late Release Vntages von 1990 bis 1999
Roederers Late Release Vintages von 1990 bis 1999

2022 machten die fünf besten Jahrgänge der Neunzigerjahre den Anfang: 1999, 1997, 1996, 1995 und 1990. Die in Hamburg in der Magnum präsentierten Champagner präsentierten sich allesamt wunderbar frisch und changierten zwischen reifer Üppigkeit (1990) und kühler Vornehmheit (1996). Sie alle ziert die Zeile „Vignoble de la Montagne“ auf dem Etikett: Hinweis auf die Herkunft der Pinot-Noir-Trauben von den nördlichen Montagnes de Reims, genauer auf den Grand Cru Verzy. Hier erwarb die Maison Louis Roederer 1841 ihre ersten Weinberge. Deshalb seien sie für das Haus „mit den meisten Emotionen verbunden“, betont Lécaillon.

Diese kühlen Pinot Noirs bilden das Rückgrat der Vintage-Champagner von Roederer, freilich traditionell ausbalanciert von Chardonnays aus Chouilly von der Côte de Blancs. Insofern ist der Hinweis auf die „Berglage“ ein wenig missverständlich und erklärt sich eigentlich erst durch die aktuelle Entwicklung. Betrug der Anteil der Chardonnays in den Neunzigerjahren bis zu 47 Prozent, so verringerte er sich aktuell auf 30, gelegentlich sogar nur 20 Prozent. In kommenden Jahren, ist Jean-Baptiste Lécaillon überzeugt, wird es möglich sein, den Vintage als Blanc de Noirs, als reinen Pinot-Noir-Champagner auszubauen. Das wäre dann zu 100 Prozent ein Wein aus den Montagnes de Reims.

Halskrause einer Champagnerflasche Late Release Vintage von Roederer

2023 werden dann als Gegenstück die Late Releases der Jahrgangs-Rosés aus den Nuller-Jahren folgen. Die Kennzeichnung „Vignoble de la Rivière“ verweist dann auf den dominierenden Anteil des Ortes Cumières an der Marne. Den Bogen schließen dann voraussichtlich 2024 die durch den Cru Avize geprägten Blanc-de-Blancs-Vintages. Unter dem Titel „Vignoble de la Côte“ stammen diese wiederum aus den Neunzigerjahren. Mit seinen „Late Releases“ blickt Roederer also zugleich in die Zukunft wie in die Vergangenheit. Sie zeigen zum einen, wie stark der Terroir-Ansatz das aktuelle und zukünftige Portfolio des Hauses prägt und verändern wird. Zum anderen sind sie auch ein sehr persönlicher Rückblick, nicht zuletzt für Jean-Baptiste Lécaillon selbst. War doch der 1990er-Jahrgang der erste, dessen Ernte er verantwortete. Und 1999 war das Jahr, indem er zum Chef de cave ernannt wurde. 2000 sollte dann, mit der Umstellung auf biologischen Weinbau, ein ganz neues Kapitel bei Roederer beginnen.

Akt 3: Brut nature

Louis Roederer et Philippe Starck: Champagne Brut Nature Rosé 2015

Angesichts dieser Neuigkeiten stand die Präsentation der jüngsten Jahrgänge Brut Nature fast ein wenig im Schatten: 2015 sowie 2015 Rosé. Dabei handelt es sich bei dem mit Designer Philippe Starck entwickelten Projekt um das eigentliche Zukunftslabor der Maison. Tatsächlich entstammen die Trauben dieses Single Cru aus Cumières aus einer einzigen zusammenhängenden Rebfläche von 10 Hektar (von den Parzellen Les Chèvres, Les Pierreuses, Les Clos) . Ursprünglich war sie im Besitz vom Biodynamie-Pionier Pascal Leclerc Briant, seit 2000 ein wichtiger Traubenlieferant von Roederer. Nach dem tragischen Tod des Winzers konnte die Maison 2011 den Großteil der Parzelle erwerben. Roederer nimmt hier mit dem Brut Nature bereits – in der wohl heißesten Lage des Marnetals und produziert nur in „solaren“ Jahrgängen wie der Premiere 2006 sowie 2009, 2012 (nun auch als Rosé) und eben 2015 – eine noch weitergehende Erderwärmung vorweg.

Die Gegenmittel sind unter anderem im Weinberg eine biodynamische Bewirtschaftung und die Massenselektion alter Rebstöcke, die hier im gemischten Satz stehen (ab dem Jahrgang 2018 auch mit Pinot-Blanc-Stöcken vom Weingut Fleury, später auch mit den übrigen „vergessenen Sorten“). Im Keller minimalistische Intervention, weder malolaktische Gärung noch Dosage. Beide Champagner sind mit ihrer fast kargen Puristik der komplette Gegenentwurf zu den vielen unter den Jahrgangsbedingungen von 2015 leidenden Vintage-Champagnern, die dieses Jahr auf der ProWein präsentiert worden sind.

Front eines Champagnerkühlers von Roederer

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