Champagne Boizel auf neuem Kurs

Gut fünf Jahre ist es jetzt her, seit Florent Roques-Boizel als Nachfolger seiner Mutter Evelyne die Leitung von Champagne Boizel übernahm. Mit dem Generationswechsel vollzog sich eine Evolution der hauseigenen Stilistik hin zu mehr Präzision und Komplexität. Dem hat die Maison in diesem Jahr mit einem visuellen Relaunch und einer neuen Produktlinie Ausdruck verliehen.

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Florent Roques-Boizel

Es passiert heute nur noch selten, einem Vertreter der Gründungsfamilie eines Champagnerhauses begegnen zu können. Auf der ProWein konnte man diese Erfahrung gleich dreimal machen. Nur wenige Meter trennten die Stände von Alice Paillard (Champagne Bruno Paillard), François Philipponnat (Champagne Philipponnat) und Florent Roques-Boizel (Champagne Boizel) voneinander. Vielleicht kein Wunder, dass die drei Häuser eng miteinander verflochten sind. Gehören doch Boizel und Philipponnat zur Gruppe Lanson-BCC, dem als Direktor wiederum Bruno Paillard vorsteht. Um diese Konstellation zu verstehen, müsste man tief in die Geschichte der Champagne eintauchen. Ich beschränke mich hier auf Boizel mit dem Hinweis, dass Evelyne Boizel und ihr Mann Christophe Roques 1994 die Mehrheitsanteile des Unternehmens gegen eine Beteiligung an der damals noch kleinen Champagnergruppe von Bruno Paillard und Philippe Baijot getauscht haben (das B von BCC steht für Boizel). Wobei die Geschäftsführung noch immer in der Hand der Familie liegt.

Der Auftritt zur ProWein 2023

Wie weise diese Entscheidung war, zeigt sich heute mehr denn je. Die Maison aus Épernay besitzt nur sieben Hektar Reben, sodass der größte Teil der Trauben von langjährigen Vertragswinzern stammt. Der Ausbau der Grundweine verläuft heute nach dem Zukauf zahlreicher kleiner Inox-Tanks sehr individuell. Zudem wurden auch unterschiedliche Holzgebinde für Reserveweine erworben, um über etwas „Gewürz“ bei der Assemblage zu verfügen Die Dauer der Flaschengärung in den elf Grad Celsius kalten Kellern, die für eine sehr langsame zweite Fermentation mit entsprechend feiner Mousse sorgen, fällt recht lang aus. Die Dosage ist moderat bis niedrig gehalten. Geradezu vorbildlich ist die Information über Degorgierdatum und andere Details auf der Flaschenrückseite.

Auf der ProWein 2023 präsentierte mir Florent Roques-Boizel einen ersten Überblick über das aktuelle Sortiment. Das beinhaltet an der Basis die drei jahrgangslosen Cuvées Brut Réserve, Rosé Absolu (mit rotem Stillwein aus Les Riceys) und dem 2008 erstmals vorgestellten Ultime Zéro ohne Dosage. Ein tadelloser Einstieg, wobei der Ultime Zéro (50% Pinot noir, 40% Chardonnay, 10% Pinot Meunier) durch seine nach fünf Jahren Hefelagerung entstandene wunderbar cremige Mousse heraussticht (90 P.). Auf die neue Terroir-Linie sowie Gand Vintage und Joyau komme ich gleich zu sprechen.

Zur Messe hatte Florent Roques-Boizel aber noch zwei außergewöhnliche „Schätzchen“ mitgebracht. Einmal Collection Trésor 1990 Extra Brut (über den ich bereits hier geschrieben habe). Und dann die Cuvée sous bois 2008 (75% Pinot noir aus Bouzy und Verzenay sowie 25% Chardonnay aus Chouilly).1990 erstmals präsentiert, ist 2008 erst der vierte Jahrgang. Mit nur 3 Gramm Dosage und komplett im Holz vergoren, ist die Cuvée ein Champagner für Kenner: wuchtig und komplex, ein Champagner für Wildgerichte im Herbst (94 P.).

Die Verkostung in Berlin

Für eine ausführlichere Beschäftigung mit seinen Champagner hatte mir Florent Roques-Boizel vier Flaschen nach Hause geschickt. Im Mittelpunkt des Interesses standen die beiden herkunftsgeprägten Neuheiten des Hauses: La Côte Premier Cru Blanc de Blancs sowie La Montagne Premier Cru Blanc de Noirs. Sie sind die Nachfolger der klassischen Blancs de Blancs und Blancs de Noirs des Hauses. Dazu musste man im ersten Fall freilich wenig unternehmen: Der kam schon seit geraumer Zeit ausschließlich aus den Premier- und Grand-Cru-Gemeinden Chouilly, Mesnil-sur-Oger, Avize und Vertus. Beim Blanc de Noirs hat sich der Blend von den ursprünglichen Crus Mareuil sur Aÿ, Cumières, Mailly und Les Riceys nach Cumières, Mailly und Chigny les Roses verschoben. Das heißt im Prinzip, dass Boizel mit „Montagne“ recht großzügig das Gebiet nördlich der Marne bezeichnet. Und dass die Weine aus Les Riceys aus dem Süden der Champagne nun wohl vor allem in den Rosé fließen.

Interessanterweise sind beide Champagner völlig unterschiedlich aufgebaut. Der Blanc de Blanc stammt zu 100 % aus 2019, ist also eigentlich ein Vintage. Während beim Blanc de Noirs zu den Grundweinen aus 2019 32,5 % Reserveweine aus anderen Jahrgängen kommen. Ansonsten bewegen sich beide knapp um die Brut/ExtraBrut-Grenze von 6 gr. Dosage. Der BdB mit 5,5 gr. darunter, der BdN mit 6,5 gr. darüber. Beide wurden im Januar 2013 degorgiert. Während der Côte durch seine intensive Frucht fasziniert, punktet der Montagne durch Geradlinigkeit. Im ersten Fall sind es Pfirsich, Birne, Quitte und Mandeln – also eher eine reife, an Vertus-erinnernde Aromatik, sowie eine dichte Struktur und feine Perlage (92 P.) Beim Letzterem eine etwas lebhaftere Mousse, ein diskreteres Bouquet mit Äpfeln und Brioche und bei etwas weniger Dichte ein cremigeres Mundgefühl (91 P.).

Les Grandes Années

So gelungen sich beide präsentieren: Der Grand Vintage legt noch einmal eine Schippe drauf. Der Extra Brut aus 60 % Pinot Noir und 40 % Chardonnay aus dem spät reifen Jahrgang 2013 vereint nicht nur die Tugenden der beiden Terroir-Champagner, die Frucht und die Präzision. Darüber hinaus prägt den sehr vinösen Champagner eine feine Salzigkeit und große aromatische Länge (93 P., deg.: 7/2022). Schlichtweg außergewöhnlich dann der Joyau. Der ist seit 1961 unter dem Namen Joyau de France die Prestige Cuvée des Hauses. Fun Fact: Mitten in die Auslieferung des Jahrgangs 2008 gab es die Umbenennung (mitsamt neuem Look), sodass ältere Chargen noch mit und jüngere ohne „de France“ firmieren.

Diese Flasche (deg. 1/2023) war meine dritte und sie zeigte sowohl die überwältigende Qualität des 2008er-Jahrgangs wie die große Kunst des Hauses Boizel. Prinzipiell der gleiche Blend wie der Grand Vintage, aber zu 10 % im Holz ausgebaut und mit 3 gr. Dosage, zeigte sie außergewöhnliche Klasse. Eine zugleich kühle, wie sinnliche Noblesse, mit einer Idee von Kalk und einer diskreten, aber immens komplexen Fruchtigkeit. Und einer zutiefst französischen Eleganz, für die einem als Deutschen schlicht die Worte fehlen (96 P.). Seit März 2023 wird der Joyau, wie andere Spitzenweine dieser Welt, über La Place de Bordeaux vertrieben. Hoffen wir, dass einige Flaschen auch Deutschland erreichen.

Bildrechte

(c) Stefan Pegatzky / Time Tunnel Images

 

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