JB Lécaillon – Das große Interview (Teil 2)

Er ist das Gesicht von Champagne Roederer und 2023 nun für seinen 35. Jahrgang bei der Maison verantwortlich. Anlässlich einer Master Class in Hamburg zur neuen Serie „Collection“ gab Jean-Baptiste Lécaillon Sur-la-pointe.com ein ausführliches Exklusiv-Interview. Im zweitenTeil erklärt er, warum Roederer nicht in Weinberge in Südengland investiert, spricht über moderne Chefs de Cave und appelliert an unsere Zukunftsfähigkeit.

7 Minuten Lesezeit
Jean-Baptiste Lécaillon (rechts) und Stefan Pegatzky

SLP: Sie haben im vergangenen Jahr den Satz gesagt: „Die neue Champagne wird durch das Terroir bestimmt.“ Können Sie das erläutern?

JBL: Wir wissen, dass die Zukunft in der Champagne von der Veränderung des Klimas bestimmt sein wird. Daher müssen wir Ausschau nach dem halten, was beständig ist. Und das ist natürlich unser Boden. Je mehr du den Boden, das Terroir, in deine Arbeit einbeziehst, desto mehr kommt die Champagne zum Ausdruck. Deshalb habe ich neue Weinberge sehr dicht gepflanzt [high density], das Gegenteil von dem, was viele Leute tun, sie suchen nach einer geringeren Dichte, ich gehe jetzt umgekehrt höher. Denn ich bin der Meinung, dass es der Boden ist, der uns die Zukunft schenken wird, nicht die klimatischen Bedingungen. Ich denke, es ist eine Frage, von wo aus man blickt.

Klimakrise und Terroir

Aber stellt uns die Klimakrise nicht vor enorme Herausforderungen?

Noch einmal: Wir können die neuen Bedingungen umarmen oder dagegen ankämpfen. Beides sind völlig unterschiedliche Denkweisen. Wenn man es annimmt, ist man nicht ängstlich, man ist nicht besorgt, man nimmt seine Chancen wahr. Wenn man ängstlich ist, schaut man in die falsche Richtung. Aber im Moment sind viele Menschen ängstlich und treffen nicht immer gute Entscheidungen. Die Vielfalt unsere Makro-Klimata gibt mir sehr viel Vertrauen. Ich kann nach einigen nach Norden ausgerichteten Hängen suchen, und die können von Lehm, Sand oder Kreide geprägt sein. Und dabei kann ich mit Pinot Noir, Pinot Meunier und Chardonnay experimentieren. Ich pflanze jetzt etwas Petit Meslier, Arbanne, sogar Pinot Gris, um die ganze Vielfalt zu bekommen. Dann nutze ich meine in Massenselektion gewonnenen Reben. All das macht viel Freude, all das gehört zum Terroir. Was ich vor allem unter Terroir verstehe, ist Boden, Bodendynamik und das Pflanzengedächtnis.

Was ich vor allem unter Terroir verstehe, ist Boden, Bodendynamik und das Pflanzengedächtnis.

Jean-Baptiste Lécaillon

 

Das ist das große Thema: Wie setze ich die sieben Rebsorten ein? Denn unsere Massale sélection, das sind die Reben, die sich allmählich an den Standort und Klima angepasst haben. Sie werden im Laufe der Zeit selektiert, sie entwickeln ein Pflanzengedächtnis. Es gibt also eine Erinnerung von dem, was wir getan haben. Und in diesem Gedächtnis steckt auch eine gewisse Widerstandsfähigkeit. Auch Pflanzen haben eine gewisse Widerstandsfähigkeit. Wenn wir also wollen, dass die Zukunft des Champagners stilistisch ein mehr an Champagne ist, müssen wir tief in den Boden und in das Gedächtnis der Pflanzen eindringen. Wenn wir das tun, wird das Klimaproblem abgefedert und gemildert. Deshalb denke ich, dass die Zukunft im Terroir liegt.

Im vergangenen Jahr hatten Sie die Rosé-Vintages als Late Releases angekündigt. Wann werden die auf den Markt kommen?

Dazu werde ich nächstes Jahr eine Ankündigung machen, ich habe da ein paar Dinge umgestellt, dazu mehr in 2024.

Sie verzichten als eines der ganz wenigen Häuser auf einen Standard-Rosé. Wird sich daran etwas ändern?

Nein, im Moment nicht.

Südengland als Alternative?

Einige Maisons suchen nach Entwicklungsmöglichkeiten in Großbritannien. Ist Südengland als Standort auch für Sie interessant?

Wir haben uns dort umgesehen. Vor 20 Jahre war ich einige Male in Großbritannien. Aber wir haben uns aus einer Reihe von Gründen dagegen entscheiden. Der eine war: Die Entfernung zwischen der Champagne und Sussex beträgt 300 Kilometer Luftlinie. Um klimatisch auf lange Zeit einen wirklichen Unterschied zu machen, reicht das nicht aus. Vielleicht kurzfristig, aber wenn die Weinberge in Sussex 30 Jahre alt sind, wird es dort auch zu warm sein. Wenn schon, dann müsste man nach Schweden oder Schottland gegen.

Ich sehe die Zukunft der Champagne nicht darin, den Bedingungen zu entfliehen, sondern sie anzunehmen. Das Terroir der Champagne ist so kraftvoll. Wir haben in der Champagne das beste Terroir für Weinbau in der Welt. Um es klar zu sagen. Wir haben sowohl Kreide als auch Ton und befinden uns auf dem größten unterirdischen Wasserreservoir Europas. Die Seine und die Marne fließen durch die Region. Und dann haben wir diese Hügel, die einen perfekten Schutz gegen den Wind bilden. Gegebenheiten wie diese gibt es nicht viele in der Welt, vielleicht noch die Côte de Beaune und ein, zwei andere.

Und deswegen gibt es für Sie keinen Grund, sich anderswo umzusehen?

Ich denke, wir müssen in die richtige Richtung schauen. Das Klima ist eine Gefahr, ein Risiko, aber es muss einen dazu bringen, sich tief auf seine Wurzeln und die Kraft seines Terroirs zu besinnen. Das Terroir ist die Antwort. Anstatt also eine Weinreise zu unternehmen, die einige hundert Kilometer weit führt, haben wir uns entschieden, in der Champagne zu bleiben. Wir kommen seit sieben Generationen aus der Champagne und wir glauben, dass die Zukunft vielversprechend ist. Vergessen Sie nicht, dass die Champagne im Mittelalter als das Burgund des Nordens bezeichnet wurde. Es könnte also wieder das Burgund des Nordens werden, vielleicht machen wir in 100 Jahren etwas anderes, aber wie auch immer, wir passen uns an.

Die zweite Antwort ist: Wir stellen in Kalifornien sehr guten Schaumwein her. Ich habe früher in Tasmanien sehr guten Schaumwein gemacht. Und es wird auch im Vereinigten Königreich einige großartige Schaumweine geben. Aber es wird niemals Champagner sein, denn: Champagner ist Champagner. Es ist nicht nur eine Marke, dieses Terroir ist einfach erstaunlich. Ich habe nirgendwo sonst ein solches Gleichgewicht, eine solche Konzentration und Frische zur gleichen Zeit gesehen, unabhängig vom Jahrgang. Aber abgesehen davon, schauen wir uns immer auch in anderen Regionen um, nicht nur um Schaumwein herzustellen.

Der Hype um die Kellermeister

Die Champagne ist aktuell stark in Bewegung. Traditionelle Häuser wechseln ihre Besitzer, Kellermeister werden gehandelt wie Fußballtrainer …

Ja, es ist lustig. Heute gibt es Chefs de cave, die noch nie ihren eigenen Champagner präsentiert haben. Sie sind fünf Jahre in einem Haus angestellt und wechseln dann zum nächsten. Wenn ihre Weine dann auf den Markt kommen, sind sie schon woanders. Sie promoten also jeweils lediglich die Weine ihrer Vorgänger. Mittlerweile gibt es zwei Sorten von Kellermeistern: Die, die den Wein machen, die auch im Weinberg sind und mit den Teams arbeiten. Und dann gibt es neuerdings die, die eigentlich mehr für die Kommunikation da sind, für die Außendarstellung. Sie leben mehr im Flugzeug als in der Champagne.

Ich glaube, dass Letztere weniger Beziehung zu den Weinen und zu dem Haus haben, für das sie arbeiten. Wenn man sehr in die Weinproduktion involviert ist, wenn dir der Wein am Herzen liegt, dann bist du loyal, denn es ist dein Wein, es ist dein Baby. Wenn dein Ding aber mehr die Kommunikation ist, das Marketing, dann hängst du nicht so sehr daran. Manche Häuser aber wollen genau das, weil es um ein bestimmtes Image geht, und das ist oft für sie die sicherere Entscheidung. Mein Nachfolger – von dem ich hoffe, dass er mein Nachfolger sein wird – arbeitet bereits 20 Jahre mit mir. Und er wird in gut 10 Jahren meine Aufgabe übernehmen. Er wird dann für 10 bis 15 Jahre Kellermeister sein. Also habe ich schon die nächste Generation eingestellt, um bereits die weitere Nachfolge vorzubereiten.

Champagner und Märkte

Kommen wir zu den Märkten, es liegen ja erste Zahlen zum ersten Quartal 2023 vor. Beobachter rechnen mit Verfügbarkeitsproblemen von einigen Champagnern in Frankreich.

Roederer war immer export-orientiert. Der hat bei uns einen Anteil von 75 Prozent, Frankreich von 25 Prozent. Aber wir wollen das nicht reduzieren, es ist wichtig, in Frankreich Präsenz zu zeigen. Im letzten Jahr haben wir die Verkäufe nicht erhöht, wie viele Kollegen das getan haben. Wir hätten um 20 Prozent mehr verkaufen können, aber wir haben aus Qualitätsgründen nein gesagt. Wir haben in Italien dreimal den Verkauf für einen Monat aussetzen müssen, da war dann keine Flasche verfügbar. Nun gibt es wieder eine Allokation.

Aber der französische Markt ist besonders, darin ähnelt er dem deutschen. Hier spielen Supermärkte eine wichtge Rolle. Viele Champagner, besonders Einstiegscuvées, sind hier sehr stark. Aber sie leiden als Erste unter der Inflation. Wenn man also auf die französischen Zahlen blickt, muss man zunächst auf den Supermarkt-Anteil schauen, und der schrumpft derzeit mit Sicherheit. Sieht man sich dagegen HoReCa und den Fachhandel an, dann denke ich, dass der Markt auch in Frankreich wächst. Wegen der überragenden Bedeutung der Supermärkte kommt dann aber insgesamt ein Minus heraus. Man muss sich also die Zahlen genau ansehen, denn Champagner ist ein vielfältiges Produkt. Was wir daraus lernen, ist, dass sich die Kundschaft verändert. Während Covid boomte etwa der Internet-Verkauf. 2022 ist ein seltsames Jahr, die Amerikaner nannten es „Vergeltung“, sie kauften alles, zu jedem Preis. 2023 zeigt sich bis dato vernünftiger, wir kommen zurück zu einer Vor-Covid-Logik für den Verkauf und treten in eine neue Post-Covid-Zeit ein. Wie das Verhalten in einigen Jahren sein wird, werden wir in zwei Jahren sehen, das ist sehr schwer zu sagen.

Der Blick in die Zukunft

Aber steht Luxus nicht allgemein stark unter Druck? Nicht nur in Frankreich erleben wir soziale Unruhen. Der diesjährige Gewinner der Goldenen Palme auf den Filmfestspielen in Cannes, „The Triangle of Sadness“, bei dem eine Luxusyacht sinkt, wurde allgemein als eine Allegorie auf das Ende unseres westlichen Lebensstils gedeutet.

Wir leben in einer Zeit, in der die Menschen verängstigt sind. Jeder ist super-besorgt. Aber ich denke, wir haben eine Pflicht, Dinge zu verändern. Wir können die junge Generation nicht unter diesen Bedingungen aufwachsen lassen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass 14- oder 16-Jährige in einer Welt mit so viel Druck aufwachsen, ohne Vision, ohne Zukunft … Wir müssen Stärke und Widerstandsfähigkeit aufbauen. Ich bin Landwirt, also weiß ich, wie man mit Katastrophen umgeht. Am 2. Juli 2002 haben wir die meisten unserer Weinberge in den Montagnes de Reims durch Hagel verloren. Aber die Menschen sind stärker als das.

Wir sollten positiv denken. Wir wissen nicht, wohin wir gehen, vielleicht werden einige Dinge zusammenbrechen, aber aus dem Zusammenbruch wird ein neues Modell wachsen. Es gab 1789 und 1968, die Geschichte besteht immer auch aus solchen Ereignissen. Aber diese sind nicht das Ende der Welt, es ist der Beginn einer neuen. Also lasst uns den besten Teil der Zukunft erleben. Und darum geht es: Wie man im besten Teil der Zukunft sein kann, ohne die Zukunft zu kennen.

[Das Interview fand am 12. Juli im Hamburger Hotel Vier Jahreszeiten statt. Übersetzung: Stefan Pegatzky. Den ersten Teil des Gesprächs können Sie hier lesen.]

Bildrechte:

(c) Stefan Pegatzky/Time Tunnel Images

Kommentar

Your email address will not be published.

Zuletzt gepostet