Piper-Heidsieck und die Größe der jahrgangslosen Cuvées

Mit dem Essentiel Blanc de Noirs hat der 2018 zu Piper-Heidsieck gekommene Chef de cave Émilien Boutillat seine erste von ihm konzipierte Cuvée vorgestellt. Rund um den Launch-Event mit Weinbergsbegehung und Grand Diner gab es auch eine sehr informative Masterclass. Sie demonstrierte die Klasse und Lagerfähigkeit von jahrgangslosen Champagnern.

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Im September ist die neueste Cuvée der Maison Piper-Heidsieck auf den Markt gekommen: Essentiel Blanc de Noirs Extra-Brut. Es ist die erste Champagner-Novität der Maison, für die Émilien Boutillat, seit 2018 Kellermeister von Piper-Heidsieck, verantwortlich zeichnet. Damit erweitert das Haus die 2009 ins Leben gerufene Linie Essentiel – bisher Essentiel Brut sowie Essentiel Blanc de Blancs – um einen Champagner, der ausschließlich von Rotweintrauben stammt. Auch wenn der Essentiel Blanc de Noirs im Etikett keinen Jahrgang trägt, handelt es sich tatsächlich um einen Vintage-Champagner von 2019. Mit einem Teil der Grundweine hat das Haus eine sogenannte Solera oder „ewige Reserve“ angelegt, in die kontinuierlich Weine aus kommenden Jahrgängen einfließen sollen.

Courmas: Der Weinberg als Versuchsstation

Chef de cave Émilien Boutillat

Essentiel Blanc de Noirs ist nicht reinsortig, sondern eine Cuvée aus 80 Prozent Pinot Noir und 20 Prozent Pinot Meunier. Beim Pinot Noir werden die klassischen Crus Ambonnay und Aÿ ergänzt durch Trauben von der Côte des Bar (Fontette, Meurville, Neuville-sur-Seine). Der Pinot Meunier dagegen stammt vom rechten Ufer der Marne (Cuchery, Verneuil), dem Massif de Saint-Thierry (Cormicy) und dem Val de Petit Morin (Villevenard). Und schließlich von den 16 Hektar eigenen Weinbergen von Piper-Heidsieck in Courmas südwestlich von Reims. Dieser Ort dient der Maison als eine Art Musterbetrieb und Labor, wo eine Reihe von Best Practises zum Thema nachhaltige Bewirtschaftung entwickelt werden. Dorthin hatten CEO Benoît Collard, Chef de cave Émilien Boutillat und Chef de culture Aurélia Jamain anlässlich der Feierlichkeiten zur Präsentation der neuen Cuvée zur Weinbergwanderung eingeladen.

Versuchsrebe Voltis

Tatsächlich hat sich viel verändert, seit Piper Heidsieck 2011 Teil des Luxuskonzerns EPI wurde. 2015 wurde Nachhaltigkeit tief in das Selbstverständnis der Maison implementiert und quasi jeder Stein noch einmal umgedreht. Die Lagen in Courmas werden heute dauerbegrünt und naturnah ohne den Einsatz von Herbiziden und Insektiziden bewirtschaftet und tragen die doppelte Zertifizierung „Betrieb mit hohem Umweltwert“ (HVE-3) sowie „Nachhaltige Bewirtschaftung in der Champagne“ (VDC). Seit 2022 wurde das Haus, gemeinsam mit den Schwestern Charles Heidsieck und Rare, als Erstes in der Champagne für seine positiven sozialen, ökonomischen und ökologischen Auswirkungen mit dem „Benefit Corporation“-, kurz „B Corp“-Zertifikat ausgezeichnet.

Weinbergsroboter VitiBot

Zu den Pinot-Reben, die aus Massenselektion in der Montagne de Reims stammen, kommen hier solche aus Versuchsanbau wie eine Fläche von 0,5 Hektar mit der Hybridrebe Voltis. Gemeinsam mit NaturAgora von Evelyne Ratte erstellt Piper-Heidsieck derzeit ein Flora-und-Fauna-Inventar der Parzellen in Courmas. Durch eine Vielzahl von Maßnahmen wie Heckenpflanzungen und Wildtierkorridore wird zugleich die Biodiversität erhöht. Aber auch bei technischen Innovationen steht Piper-Heidsieck in der ersten Reihe. Das zeigt eine Demonstration des vollelektrischen und autonomen Weinbergroboters VitiBot, an dessen Entwicklung das Unternehmen als Investor beteiligt ist. Bis zu zehn Stunden kann das Fahrzeug am Tag arbeiten und ist daher etwa für den arbeitszeitzehrenden Einsatz gegen den Falschen Mehltau prädestiniert.

40 Jahre Geschichte in der Vertikalverkostung

Vielleicht noch eindrucksvoller geriet die Piper-Heidsieck-Meisterklasse in „La Villa“, dem Hauptquartier der Maison in Bezannes am Stadtrand von Reims. In drei Kapiteln ging es um jahrganslose Cuvées von Piper-Heidsieck (Essentiel Brut und Cuvée Brut) – von der des Vorjahrs bis hinab zu 1985. „Das sei“, so Émilien Boutillat, „die perfekte Methode, um sich wirklich mit dem Stil von Piper-Heidsieck auseinanderzusetzen“. Das vorausgeschickt, machte Boutillat, der 2018 von Cattier zu Piper gekommen war, deutlich, wie viele Parameter sich im Laufe der Zeit verändert hätten. So erreiche der Anteil der Reserveweine heute 30 Prozent, während er früher nur bei 15 Prozent gelegen habe. Die Frische der Frucht verdanke sich der Edelstahl-Cuvérie von 1995 und der Ernte von kühleren Lagen wie in Essoyes in der Côte des Bars. Und der partiellen Blockierung der malolaktischen Gärung – ein Stilmittel, für das Piper-Heidsieck früher einmal bekannt war, was dann aber ab 1989 strikt aufgegeben wurde.

Der erste Flight sah den Vergleich von Tank-Abfüllungen der Cuvée Brut und Essentiel Brut, die auf dem Jahrgang 2022 beruhten, sowie des Essentiel auf der Grundlage von 2019, ebenfalls aus dem Tank. Während bei der Standard-Cuvée die Frische der Meunier-Frucht ins Auge fiel, beeindruckte bei den beiden Essentiels die salzige, fast Blanc-de-Blancs-artige Anmutung. Es folgte Essentiel aus den Basis-Jahren 2018, 2014, 2012 und 2010 (der zweiten Abfüllung der Cuvée überhaupt). Dreimal wechselte der Champagner in dieser Zeit das Packaging– und wanderten immer mehr Informationen über die Herstellung auf das Etikett. Hier stach vor allem das Grundmerkmal des Piper-Stils hervor, das man als Gleichzeitigkeit von reduktiven und oxidativen Elementen, also etwa würzigem Toast neben einer klaren Fruchtaromatik, beschreiben könnte.

11 Champagner, vier Kellermeister, 3 Besitzer

Geradezu sensationell dann der Flight aus vier 2022 degorgierten Abfüllungen der Standard-Cuvée von Piper-Heidsieck auf der Basis der Jahrgänge 1998, 1995, 1989 und 1985. So hatte die auf 1995 basierende Cuvée eine Prägnanz und fokussierte Klasse, die ich im Leben nicht bei einem „einfachen“ Brut von Piper-Heidsieck erwartet hätte. „Den Stil konstant halten kann man nur, wenn du dich laufend neu erfindest“, beschließt Émilien diese eindrucksvolle Verkostung. Sie enthielt Cuvées von vier Kellermeistern: neben Boutillat Régis Camus, Daniel Thibault und Claude Demière. Unter drei verschiedenen Eigentümern: EPI, Rémy Cointreau und François d’Aulan. Sie demonstrierte, welche enorme Sorgfalt in der Champagne auch für Standard-Cuvées aufgewendet wird, die Weinliebhaber oft als „Marken“ missverstehen. Man sollte sie nie unterschätzen.

Bildrechte

Fotos: Stefan Pegatzky / Time Tunnel Images

Mehr zum Thema und einführende Informationen:

Stefan Pegatzky: Champagner: Die 100 wichtigsten Maisons, Winzer und Kooperativen.

240 Seiten, zahlreiche Abbildungen.

Wiesbaden: Tre Torri Verlag, 2001.

Ausgezeichnet als bestes Weinbuch des Jahres 2021 mit dem Deutschen Kochbuchpreis in Gold

 

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