Porträt: Champagne Soutiran

2021 ist mein Buch „Champagner: Die 100 wichtigsten Maisons, Winzer und Kooperativen“ erschienen. Damals fiel es mir ausgesprochen schwer, unter den Hunderten erstklassig arbeitenden Champagnerproduzenten eine Auswahl zu treffen. Deswegen gibt es online auf Sur-la-pointe eine Fortsetzung! Teil 5 widmet sich einem Haus in der Pinot-Noir-Hochburg Ambonnay mit einem sehr individuellen Portfolio: Champagne Soutiran.

5 Minuten Lesezeit

Geschichte

Perle Noire wird mit Schutzpapier geliefert.

Über den Welterfolg seines schönsten Produktes vergisst man oft, dass die Geschichte der Champagne ihre tragischen Seiten hat. Champagne Soutiran etwa ist buchstäblich ein Kind des Krieges, geboren in den Schrecken des Ersten Weltkriegs. Tatsächlich stammt die Familie Soutiran aus einem Bergdorf in den Pyrenäen nahe der Grenze zu Spanien. Erst in den 1880er-Jahren siedelt sie in den Osten Frankreichs um. Die jüngste Tochter Victorine bringt 1916 in Ambonnay, unmittelbar hinter der deutsch-französischen Front, ein Kind zur Welt.

Der junge Gérard verliert früh die Eltern und wächst bei der Winzerfamilie Bouy in Ambonnay auf. Kurz nach dem Krieg heiratet er die ebenfalls aus einer Winzerfamilie stammende Solange Beaufort und pachtet 1954 die Weinberge seines Vormunds. Bald tritt er der 1960 gegründeten Genossenschaft von Ambonnay bei. Unter seiner Präsidentschaft beginnt die Kooperative 1973, eigenen Champagner abzufüllen.

Der aktuelle Design-Relaunch spiegelt sich in unterschiedlich gestalteten Kapseln.

Alain, der Älteste von vier Kindern, tritt in die Fußstapfen seines Vaters. Zunächst mit dem Abschluss am Weinbaugymnasium in Avize 1964, anschließend folgt die Lehre bei der Weinbaugenossenschaft von Ambonnay (1964−1967). Ab Oktober 1968 sammelt er praktische Erfahrungen im Familienbetrieb. Ein Jahr später gründet er sein eigenes Haus, das dann bald darauf auch den Mädchennamen der Ehefrau Roselyne mit aufnimmt: Champagne Soutiran-Pelletier. Nach ihrem Betriebswirtschaftsstudium tritt 1989 die Tochter Valérie in das Familienunternehmen ein. Sie übernimmt die Geschäftsführung und baut die Handelsaktivitäten aus. Nicht zuletzt wegen der wichtigen Exportmärkte wird der Name zu Champagne Soutiran vereinfacht. 1999 stößt auch Ehemann Patrick Renaux dazu, der zunächst kaufmännische Aufgaben übernimmt. Nach einigen Jahren der Einarbeitung durch Schwiegervater Alain leitet Patrick Renaux seit 2005 auch die Produktion und den Ausbau der Weine.

Stilistik

Vorbildlich: das Rückenetikett.

Ambonnay ist wie das Nachbardorf Bouzy berühmt für seinen Pinot Noir. Allerdings sind seine Lagen etwas östlicher ausgerichtet, was ihnen ein wenig die massive Wucht der Südhänge von Bouzy nimmt. Im Nordosten grenzt die Gemeinde zudem an das nach Osten orientierte Trépail. Das ist wiederum für seine Chardonnays berühmt, die, wie man so sagt, die frühe Morgensonne lieben. Entsprechend finden sich auch im Nordosten der Gemarkung vom Ambonnay überraschend viele mit Chardonnay bestockte Parzellen. Soutiran besitzt 6 Hektar Reben auf 30 unterschiedlichen Parzellen, davon den überwiegenden Teil im Grand Cru Ambonnay. Daneben auch 1er-Cru-Parzellen in Trépail, Chigny-les-Roses, Ludes und Chamery. Weitere Trauben werden von Familienmitgliedern und befreundeten Winzern dazugekauft. Eine Eigenart von Soutiran besteht im relativ hohen Anteil an Chardonnay-Rebstöcken von gut 30 Prozent. Die Lagen werden naturnah nach dem Prinzip der integrierten Landwirtschaft bewirtschaftet, gedüngt wird nur organisch.

Gepresst wird bei Soutiran schonend mit einer 4000 Kilogramm fassenden Willmes-Membranpresse. Die Vergärung in kleinen Gebinden erfolgt temperaturkontrolliert vor allem im Edelstahl, mittlerweile aber zu gut 20 Prozent auch in drei Jahre alten Eichenfässern aus Burgund. Die Malolaktik läuft in der Regel vollständig ab, wird aber je nach Jahrgang bei einzelnen Partien auch einmal geblockt. Die Grundweine werden dann bis zur Assemblage ohne Abstich auf der Hefe gelagert, eine Bâtonnage erfolgt je nach Jahrgangscharakteristik.

In der Vergangenheit wurde Wert auf eine fünf- bis achtjährige Flaschengärung gelegt. Zuletzt hat das Weingut den Ausbau aber verkürzt. Denn „der aktuelle Trend geht mehr in Richtung Spannung als auf Oxidation“, wie es Valérie Soutiran ausdrückt. Freilich haben zu dieser Verjüngung auch die kleinen Ernten der letzten Jahre und die große Nachfrage beigetragen. Auch der Anteil der Reserveweine (als Réserve perpétuelle angelegt), auf den das Haus früher stolz war, ist zurückgegangen. Allerdings erfreulicherweise auch die Dosage. Die befindet sich nun (bis auf Demi-Sec und Brut Nature) auf der Grenze von Brut und Extra Brut, also 4,5 bis 6,5 Gramm. Vorbildlich ist die Kennzeichnung auf dem Rückenetikett, die sich nicht nur auf Degorgierdatum und Cuvée-Informationen, sondern auch auf weinbauliche Details erstreckt.

Portfolio

Soutiran bietet ein sehr „demokratisches“ Angebot an, dessen Champagner sich im (sehr fairen!) Preis  nur wenig unterscheiden. Das heißt aber nicht, dass sich die zehn verschiedenen Weine sehr ähneln würden. Den Einstieg bietet die Cuvée Alexandre 1er Cru Brut, eine Cuvée von Chardonnay, Pinot Noir und Pinot Meunier im Verhältnis 40/40/20. Dann folgt Signature Grand Cru Brut, der Klassiker des Hauses. 40 Prozent Chardonnay-Anteil setzt bei einem Champagner aus Ambonnay bereits einen ganz eigenen Akzent. Noch höher ist der Anteil  im Demi-sec (70 Ch|30 PN). Und natürlich im Blanc de Blancs Grand Cru Brut mit 100 Prozent. Sein Gegenstück ist der Perle Noire Grand Cru Brut, ein Blanc de Noirs mit 100 Prozent Pinot Noir aus Ambonnay. Mit seiner tiefen Bernsteinfarbe steht er bereits an der Schwelle der Rosés.

Alain Soutiran hatte zu seiner Zeit einen roten Coteau Champenois von der Parzelle Les Crupots produziert. Nun gehen die Trauben von dieser Top-Lage – die Champagne Mumm etwa in die Prestige Cuvée Lalou einfließen lässt − in die beiden Rosés. Einmal in den Rosé Grand Cru Brut, ein Rosé d’Assemblage. Bei dem werden (erneut erstaunliche) 90 Prozent Chardonnay mit 10 Prozent rotem Stillwein vermählt. Und sodann in dessen Gegenstück Rosé de Saignée Brut, der durch lange Mazeration ausschließlich von Pinot-Noir-Trauben entsteht. Mit der Collection Privée Grand Cru Brut beginnen die Cuvées d’Exception. Letztere ist eine Zusammenstellung der besten Partien der Maison, assembliert im Verhältnis 56 PN | 44 Ch. Den Abschluss bildet die Cuvée Millésime Grand Cru Brut, aktuell aus dem Jahrgang 2018 mit einem Verhältnis von 60 Pinot Noir und 40 Chardonnay.

Verkostung

Schon der Alexandre 1er Cru (Deg 02/2023, Basis 2020 mit 30% Reserven aus 2019) ist ein bemerkenswerter Einstieg. Apfel, Birne und Brioche in der Nase bei lebhafter, aber feiner Perlage. Weiche Textur, aber kraftvoll und lebendig, dabei sehr ausgewogen (90 P).

Der Signature Grand Cru (Deg. 04/2023, Basis 2019 mit 34 % von einer Réserve peréetuelle seit 2012) hat dann schon etwas Holz gesehen. Dazu wurde bei einem Drittel der Weine die Malo gestoppt. Das Resultat ist ein in seiner präzisen Definition sehr „zeitgemäßer“ Champagner. Sehr klare Frucht bei einigem Druck und guter Länge (91 P.). Der Blanc de Blancs Grand Cru (Deg 04/2023, ausschließlich Jahrgang 2019) zeigt die typische Grapefruit-Charakteristik der Chardonnays von der östlichen Montagne de Reims. Auch hier wurde bei 30 Prozent der Weine die Malo gestoppt. Wirkt sehr pur und leicht salzig, aber auch weniger dicht und komplex (90 P.).

Der Brut Nature (deg. 4/2023, Basis 2015 mit Reserveweinen seit 2012, 10% im Holz ausgebaut) wirkt etwas zwiespältig. In der Nase Zitrusfrüchte, Mandeln und Trockenkräuter, am Gaumen intensiv, kraftvoll und mit hoher Spannung. Zugleich aber auch etwas phenolisch und karg. Der Champagner evoziert das Bild eines etwas hageren Langstreckenläufers, aber es fehlt ihm an Balance (88−91 P.). Obwohl er ein Blanc de Noirs ist, ist die Perle Noire (deg 9/2023, Basis 2020, mit Reserveweinen seit 2013, bei 12% blockierter Malo) deutlich eleganter. Ungewöhnlich dunkles Bernstein im Glas. In der Nase Erdbeeren und Rhabarberkuchen, am Gaumen lebendig, pur und geradlinig, mit schöner Fruchtsüße. Sehr schöner Essensbegleiter (91−92 P.) Der Grand Cru Rosé (Deg. 09/2023) wirkt dank seines hohen Chardonnay-Anteils sehr schlank. Im Bouquet zunächst sehr floral, mit etwas Luft kommen Aromen frischer Erdbeeren und Limonenzeste dazu. Am Gaumen bei dezenter Mousse auch Granny-Smith-Apfel (89−90 P.).

Der Rosé Saignée (deg. 9/2022, ausschließlich Jahrgang 2008, aber Tirage erst 7/2011) ist sicher ein Höhepunkt des Portfolios. In der Nase reife Feigen, Rhabarber, Himbeeren und Konditorcreme. In der Farbe wie ein traditioneller deutscher Spätburgunder, auch am Gaumen sehr weinig und trotz präsenter Säure mit üppiger Textur. Dabei auch etwas phenolischer Grip und langanhaltend (92 P.).

Collection Privée (deg. 9/2022, Basis 2020 mit Reserveweinen seit 2013, ein Fünftel im Holz ausgebaut) beginnt mit leicht laktischen Noten, die aber schnell verfliegen. Es folgen Steinfrüchte, Honig und Toast. Am Gaumen frisch (Malo geblockt bei über einem Drittel der Grundweine), kraftvoll, aber kultiviert, ebenfalls ein guter Essensbegleiter (91 P.). Millésime Grand Cru aus 2018 (deg. 11/2023, zu 10% im Holz ausgebaut) zeigt Äpfel, Erdbeeren, Limone und Ingwer in der Nase. Am Gaumen im positiven Sinne hedonistisch: feine Perlage, üppige Textur und weiche Säure. Aber vielschichtig und ausgesprochen gelungen komponiert (93 P.).

Bildrechte

Copyrights aller Abbildungen: Stefan Pegatzky / Time Tunnel Images

Mehr zum Thema und einführende Informationen:

Stefan Pegatzky: Champagner: Die 100 wichtigsten Maisons, Winzer und Kooperativen.

240 Seiten, zahlreiche Abbildungen.

Wiesbaden: Tre Torri Verlag, 2001.

Ausgezeichnet als bestes Weinbuch des Jahres 2021 mit dem Deutschen Kochbuchpreis in Gold

Kommentar

Your email address will not be published.

Zuletzt gepostet