SLP Top10 Stillweine ProWein 2024

Durchwachsen, so lässt sich das Fazit der ProWein 2024 zusammenfassen. Zumindest aus der traditionellen Wein-Perspektive. Denn in der Publikumsgunst scheint der Wein sowohl gegenüber hochprozentigen Spirituosen als auch gegenüber NoLo-Getränken an Boden zu verlieren. Dem kundigen Besucher bot die Düsseldorfer Messe dennoch nach wie vor die Möglichkeit zu zahlreichen erstklassigen Verkostungen.

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Nicht nur die Konkurrenz zur Wine Paris und hausgemachte Unzulänglichkeiten nagen derzeit am Image der weltweit immer noch führenden Weinhandelsmesse. Es waren auch die trüben Aussichten des globalen Weinsektors, die sich wie dunkle Wolken über die Stimmung in Düsseldorf legten. Zudem beeinflusse, so schreibt der italienische „Gambero Rosso“, die historisch Marktsituation „zunehmend den Charakter der Messe“, sei doch Nordeuropa „historisch gesehen ein Markt, auf dem der Durchschnittspreis vor der Qualität kommt“. So prognostiziert das Magazin, dass sich Düsseldorf als „Messe für Großunternehmen herausbildet, während die Wine Paris eher auf mittlere und kleine Unternehmen ausgerichtet ist.“ Volumen in Deutschland, Fine Wine in Frankreich – das wäre freilich eine fatale Aufgabentrennung und ein weinkulturelles Roll-back in die 70er-Jahre. Auch deswegen feiern wir an dieser Stelle zehn große Ausnahmeweine. Auch wenn es natürlich in Düsseldorf auch zahlreiche kleine Entdeckungen gab. Wie etwa die im Aufmacherfoto gezeigten Unfiltered Orange Wines (= UFO) von Sven Nieger aus Baden.

1. Bester weißer Bordeaux: Château Pape Clément 2021

Ein zentrales Ereignis in Düsseldorf ist die jährliche Präsentation des frisch gefüllten Jahrgangs durch die Union des Grands Crus de Bordeaux (UGCB). Erstmals fand diese auf einer Sonderfläche inmitten des allgemeinen französischen Messeauftritts statt und nicht außerhalb der eigentlichen Messehallen. Groß war meine Erleichterung, als mir Denis Abraham von Business France bestätigte, dass der UGCB-Auftritt in Paris kein Erfolg gewesen sei. Daher sei die Entscheidung getroffen worden, die jährliche Düsseldorfer Präsentation als weltweites Leuchtturm-Event beizubehalten. 2021 war freilich ein schwieriger Jahrgang. Mein Favorit bei den Weißen war Pape Clément Blanc (70% Sauvignon und 30% Sémillon, ausgebaut in lediglich 18 % neuem Holz). Übrigens zur Überraschung des Verkaufsleiters. Der stufte den Wein im Jahrgangsvergleich bestenfalls als mittelmäßig ein. Mir – wie anderen Kritikern übrigens auch − gefiel allerdings die klassisch-präzise, eher mineralische als opulente Art überaus gut (96 P.). Dieses Jahr vor Smith Haut Lafitte und Domaine de Chevalier (beide 95 P.)

2. Bester roter Bordeaux: Château Canon 2021

Bei den Rotweinen wird die Spitze der präsentierten Weine leider immer dünner. Die Premier Grands Crus reisen schon seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr an den Rhein. Dieses Jahr fehlten gegenüber den Vorjahren unter anderem die Châteaux Figeac, Pichon Baron und Haut-Bailly. Umso bemerkenswerterweise der Präsenz von Château Canon, seit 1996 im Besitz des Mode- und Parfumherstellers Chanel. Château Canon verdankt seinen Namen dem Korvettenkapitän Jacques Kanon, der das Gut 1760 gekauft hatte. Sein Kompass muss gut justiert gewesen sein, denn die Weinberge auf dem Kalksteinplateau von Saint-Émilion sind erstklassig. Die Qualität jedenfalls stieg in den letzten Jahren deutlich an. Der starke Vorgänger wurde vom britischen „Decanter“ zum „Wein des Jahrgangs 2020“ vom rechten Ufer erkoren. Auch 2021 ist der Auftritt absolut bemerkenswert. Mit einem wunderbar nuancenreichen Bouquet, am Gaumen verhältnismäßig schlank, aber vertikal und vielschichtig (97 P.).

3. Bester österreichischer Weißwein: Muster.Gamlitz Ried Grubthal Sauvignon Blanc 2020

Schon der Einstiegwein signalisiert: Hier ist vieles anders. Reinhard Muster lässt mich als Erstes einen Welschriesling verkosten. Vinifiziert wie in den Siebzigerjahren und mit einem Retro-Etikett versehen, wäre er in jeder Berliner Weinbar ein Renner. Glasklar, knochentrocken und ungemein trinkig. Ein Wein, der manchen Irrweg des önologischen Fortschritts nicht beschritten hat – Stichwort Enzyme und Reinzuchthefen – und den Verkoster lange über die Zukunft der Vergangenheit grübeln lässt. Dass Muster nicht nur authentische Landweine, sondern auch das Fine-Wine-Handwerk versteht, zeigt sein Sauvignon Blanc 2020 aus der Monopollage Grubthal in Gamlitz. Auf einer Höhe zwischen 280 und 320 Meter gelegen, wird der Weinberg geprägt durch Böden von Muschelkalk und sandigem Lehm, vor allem aber das illyrische Klima zwischen Alpen und Adria. Vielleicht sind diese einzigartigen Wetterbedingungen verantwortlich für die fulminante Säure und die grandiose Balance zwischen Frucht und Mineralik. Ein Wein, der sich vor keinem Sauvignon auf der Welt verstecken muss (95 P.).

4. Bester Weißer Burgunder: Vincent Girardin Puligny-Montrachet Premier Cru Les Combettes 2021

Ich wiederhole ungern einen Wein bei meinen Rückblicken, aber in diesem Fall konnte ich nicht anders. Den Puligny-Montrachet Les Combettes hatte ich bereits im letzten Jahr präsentiert, damals aus dem Jahrgang 2020 (siehe hier). Unnötig zu betonen, dass die Möglichkeit, auf der ProWein große Burgunder zu verkosten, 2024 nicht zugenommen hat. Diesmal hat Vincent Girardin den Jahrgang 2021 mitgebracht. Das wäre eigentlich nicht der Rede wert, wenn das Burgund nicht 2021 eine minimale, aber für Weißweine großartige Ernte gehabt hätte. Die Folge: astronomische Preise für Top-Premier-Crus bei sehr geringer Verfügbarkeit. Gerade aus diesem Grund, so Girardin, hätte er diesen Wein nach Düsseldorf mitgebracht. Damit diese großartigen Weine auch verkostet und nicht als Investment auf dem Sekundärmarkt verschwänden. Es ist vielleicht Girardins vielleicht bester Combettes bisher. Bei aller Kraft und Statur mit wunderbarer Frische. Das Holz ist präzise eingesetzt, der Wein ist facettenreich und sehr lang (96 P.).

5. Bester italienischer Weißwein: Cantina Tramin Epokale Gewürztraminer 2016

Ende August 2018 ging ein Donnerhall durch Südtirol. Denn Weinkritikerin Monica Larner hatte in Robert Parker՚s Wine Advocate dem ersten italienischen Weißwein 100 Punkte verliehen. Und das für einen Wein aus dem Alto Adige (!), ausgerechnet einem Gewürztraminer (!!), noch dazu von einer Winzergenossenschaft (!!!). Seither ist der Epocale natürlich zur Legende geworden. Auch wegen seiner Geschichte, reift der Wein doch viele Jahre in einem alten, kühlen Bergwerksstollen auf 2.000 Metern über dem Meeresspiegel. Tatsächlich wirkt der Wein mit seinem futuristisch designten Etikette wie eine Erinnerung an die Belle Époque. Mit 64 Gramm Restzucker spürbar im lieblichen Bereich, ist aromatisch aber überaus komplex. Im Bouquet finden sich Rosen und Mango, dabei aber auch viel Würze. Und eine gute Säure, die sich der Weinbergshöhe von über 400 Metern verdankt (96 P.). Leider ist der Preis enorm (> 300 Euro) und die Verfügbarkeit minimal (2.100 Flaschen).

6. Bester deutscher Weißwein: Egon Müller zu Scharzhof Scharzhofberger Kabinett #2 2023

Eine der Höhepunkte der diesjährigen ProWein war das private Tasting, das mir Cristophe Brunet, der Generalsekretär von Primum Familiae Vini, ermöglichte. Diese Vereinigung von zwölf internationalen Weingütern wurde 1993 von Miguel Torres und Robert Drouhin gegründet. Ziel ist, das Wissen der besten Winzer der Welt zu bündeln und auszutauschen. Gleich zwei der Weine haben es in meine Top 10 geschafft. Bei den Weißweinen war es ein frisch gefüllter 2023er Riesling Scharzhofberger Kabinett von Saar-Winzer Egon Müller. Schon der einfache Gutswein Scharzhof 2023 ist ein Genuss. Nach „Granaten“ wie Drouhin Clos des Mouches 2020 und 2019 (in der Magnum) sowie Roussanne Vielles Vignes 2022 von Beaucastel klärte er sofort den Gaumen. Der Kabinett von 2023 ist einer der stärksten, die ich von Egon Müller jemals verkosten konnte. Glasklar und elektrisierend, mit 8 Prozent Alkohol perfekt balanciert. Einfach Weltklasse (96 P.).

7. Bester italienischer Rotwein: Il Caggio Chianti Classico Gran Selezione Ipsus 2019

Italien hat sich erneut stark auf der ProWein präsentiert und ist seit Jahren Aussteller Nummer 1 – trotz Dreifachbelastung ProWein, Wine Paris und Vinitaly im Frühjahr. Düsseldorf darf hoffen, dass das so bleibt, denn selbst, wenn viele Aussteller wenig begeistert waren: In Paris schäumte der Enthusiasmus auch nicht gerade über. Noch vor einigen Jahren konnte sich Italien als Liebling der Deutschen fühlen. Heute ist, wie es ein Aussteller formulierte, „der Zauber verschwunden“. Mittlerweile zeigen viele Länder herausragende Weine und ist Italien nur noch ein Produzent unter vielen. Was für enorme Qualität aber weiterhin jenseits der Alpen entsteht, zeigt beispielhaft etwa der jüngste Jahrgang 2021 des Cepparello von Isole e Olena, den der neue Gutsdirektor Emanuele Reolon präsentierte (96 P.). Noch eine Spur eindrucksvoller (allerdings auch dreimal so teuer): Ipsus 2019. Ein Chianti Classico Gran Selezione von Il Caggio, seit 2006 im Besitz der Mazzei-Familie. Die produziert neben ihren Chianti-Klassikern von Fonterutoli auch Supertuscans wie den Siepi.

Ipsus ist der wohl ambitionierteste Wein der Familie. Neun Jahre wurden die Trauben von Il Caggio bei Castellina in Chianti für die Weine von Fonterutoli verwendet. Dann wurde die Qualität des zentralen 6,5 Hektar großen Weinbergs überdeutlich. Kein Wunder, war Il Caggio doch seit 1968 im Besitz des Önologen Ezio Rivella, einem der führenden toskanischen Önologen. 2015 wurde der erste Ipsus gefüllt (Deutsch: „er selbst“, aus 100 Prozent Sangiovese), 2019 ist der vierte Jahrgang. In seinen Erläuterungen, die mir Giovanni Mazzei bei unserem Tasting gibt, wird deutlich, welch unglaublicher Detailaufwand hier betrieben wird. Dass dieser Wein die Summe einer gut 50 Jahre währenden Suche nach dem optimalen Ausdruck des Sangiovese bildet, macht auch die Verkostung deutlich. Mit einem überwältigenden Mundgefühl, in dem der erste Eindruck, der „midpalate“ und der lange Abgang übergangslos verbunden sind. Sehr strukturiert, vielschichtig und mit der kultivierten Sinnlichkeit eines großen Sangiovese (97 P.). Bravo!

8. Bester französischer Rotwein und „Best Wine in Show“: Château de Beaucastel „Hommage à Jacques Perrin“ 2018

Die Serie großer Rotweine, die ich bei Primum Familiae Vini verkostete, hätte eine ausführliche Besprechung verdient. Zumal sie, wie die beeindruckenden Tignanello 2019, Sassicaia 2018 und der wunderbar gereifte Petit Mouton de Mouton Rothschild 2009 in der Magnum präsentiert wurden. Aber dann kam ein Wein, der mich völlig überraschte: Hommage à Jacques Perrin 2018 von Château Beaucastel. Meine letzte Verkostung war der Jahrgang 2015 im Herbst 2022. Dicht, opulent und überwältigend, aber nicht mein Châteauneuf-Stil. Und die Nachrichten vom Jahrgang 2018 von der Rhône waren auch nicht großartig. Ernteverluste wegen Mehltau von gut 50 Prozent und eher vordergründige, früh trinkfertige Weine. Diese Hommage aber war schlicht sensationell und mein Wein der Messe überhaupt. Der Mourvèdre-betonte Blend (75 Prozent) war extrem dunkel im Glas und geprägt von einer würzigen Fruchtigkeit, die mir schier den Atem verschlug. Von der samtigen Textur und dem minutenlangen Abgang gar nicht zu reden (100 P.)

9. Bester roter Napa-Klassiker: Shafer Vineyards Hillside Select 2019

Nach wie vor einer der wichtigsten Gäste der ProWein ist Kalifornien. In diesem Jahr waren es 220 Weingüter, ein Rekord in Düsseldorf. Da kann man leicht den Überblick verlieren. Natürlich gehörte Ridge zum Pflichtprogramm (noch sehr verschlossener 2021er sowie druckvoller 2017er Montebello in der Magnum). Ebenso wie Chappellet, der seine Ikone Pritchard Hill aus 2021 mitgebracht hatte (dramatische, kühle Frucht, samtweiche Tannine). Neu in diesem Jahr waren zwei weitere große Klassiker. Einmal Heitz Cellars mit einem feinen Cabernet Sauvignon Lot C91. Und dann Chateau Montelena, die den geschichtsträchtigen Estate Cabernet Sauvignon von 2019, vor allem aber aus 2009 in der schön gereiften Library Edition mit nach Düsseldorf gebracht hatten.

Während Letztere auf der großen Präsentierfläche der Napa Valley Vintners zu finden waren, musste man über Premierengast Shafer Vineyards regelrecht stolpern, um es zu finden, so versteckt war der Mini-Stand in Halle 14 gelegen. Dort gab es unter anderem Red Shoulder Ranch Chardonnay aus 2022 und den Stags-Leap-Klassiker One Point Five aus 2021. Vor allem aber einen der großen Kult-Cabernets des Napa Valley: Hillside Select 2019. 32 Monate in neuem französischem Holz ausgebaut, zeigte sich der Wein enorm konzentriert. Jetzt schon gut zu trinken, mächtig und mit viel reifer, süßer Frucht (97 P.).

10. Bester Napa-Newcomer: Cliff Lede Vineyards Poetry 2021

Erstmals ausgestellt hat auch die Cliff Lede Winery. Erst 2002 im Stags Leap District gegründet, gehört das Weingut zu den Überfliegern des Napa Valley. Auch Cliff Lede präsentierte 2021, in 2020 sind wegen der Waldbrände bekanntlich kaum Rotweine in Napa gefüllt worden. Aus Liebe zur Musik hat Lede Weinbergblocks nach Song-Titeln benannt. Der erstmals gefüllt Rhythm aus 2021 entstammt einer Lage um das Weingut und besteht vor allem aus Cabernet Sauvignon mit einem kleineren Anteil weiterer Bordeaux-Rebsorten. Ganz großes Kino dann beim Poetry 2021 von einer höher in den Hügeln gelegenen Steillage in Westexposition. 1970 erstmals bestockt, hatte sie der berühmte David Abreu zwischen 2005 und 2007 mit hoher Pflanzdichte neu angelegt und mit Heritage Klonen bepflanzt. Der Wein (Produktion: 1.900 Kisten) kommt erst im September auf den Markt, aber mit seiner enormen Intensität und schillernden Komplexität zeigt er bereits, warum viele Napa Cabs Weine zum Träumen sind (98 P.).

Bildrechte

Alle Bilder: Stefan Pegatzky / Time Tunnel Images

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